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15.05.2025 12:12

Bei der Nahrungssuche zu kooperieren hat für Geier mehr Vorteile als Nachteile

Jan Zwilling Wissenschaftskommunikation
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.

    Allein oder nicht allein, das ist hier die Frage – nicht nur Hamlet steht vor großen Fragen, auch Wildtiere müssen täglich Entscheidungen treffen, die für ihr Überleben entscheidend sind. In einer Fallstudie modellierten Forschende der GAIA-Initiative, ob ein Informationsaustausch unter Weißrückengeiern (Gyps africanus) dem Einzeltier bei der Nahrungssuche mehr Vor- als Nachteile bringt. Sie fanden heraus, dass soziale Strategien insgesamt vorteilhafter sind als nicht-soziale Strategien, dass aber Umweltbedingungen wie die Dichte von Geiern und Kadavern in der Landschaft starken Einfluss darauf haben, welche Strategie zu den besten Ergebnissen führt.

    In dem in der Fachzeitschrift „Ecological Modelling“ veröffentlichten Aufsatz analysiert das GAIA-Team um Erstautorin Dr. Teja Curk vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) anhand von Computermodellen, wie sich verschiedene Strategien der Nahrungssuche unter unterschiedlichen ökologischen Bedingungen bewähren, und verglich die Ergebnisse der Modellierungen mit Feldbeobachtungen. Die Forschenden berechneten unter anderem die Sucheffizienz (die Zeit bis ein Kadaver entdeckt wird und Anteil an der Population, die den Kadaver entdeckt hat), die Auffinderate (der Anteil der in der Landschaft verbleibenden Nahrung) und den Grad der Konkurrenz um Ressourcen (die Anzahl der Geier, die an einem einzelnen Kadaver fressen). Dafür erstellten sie sogenannte „agentenbasierte“ Modelle für drei verschiedene Futtersuchstrategien: die nicht-soziale Futtersuche, bei der jeder Geier allein darauf angewiesen ist, selbst Kadaver in der Landschaft aufzuspüren; die Strategie der „lokalen Anreicherung“, bei der Geier nicht nur von Kadavern angelockt werden, sondern auch durch die direkte Beobachtung von fressenden Artgenossen; und die Strategie der „Geierkette“, bei der die Geier nacheinander anderen Geiern am Himmel folgen, die sich möglicherweise auf dem Weg zu einem Kadaver befinden.

    Geier sind sozial und kommunikativ – und finden auf diese Weise besser Nahrung

    Die agentenbasierten Modelle wurden anhand von Daten erstellt und validiert, die von 30 Geiern mit Tiersendern im Etosha-Nationalpark in Namibia gesammelt wurden. Von diesen Tieren flossen mehr als 26 Millionen GPS-Positionen und entsprechende Bewegungs- bzw. Beschleunigungsdaten (ACC) in die Modellierung ein. ACC-Sensoren zeichnen kleinskalige Bewegungen in drei räumlichen Achsen auf und erlauben es, genaue Bewegungsprofile typischer Verhaltensweisen abzuleiten. Die GAIA-Wissenschaftler:innen nutzen ihre selbst entwickelten Machine-Learning-Algorithmen, um die GPS- und ACC-Daten zu klassifizieren; so identifizierten sie das Fressverhalten der Geier und die Kadaverstandorte in der Landschaft.

    „In unseren Modellen haben wir die drei Strategien mit den empirischen Daten aus Namibia verglichen und waren so in der Lage, Parameter wie die Sucheffizienz zuverlässig zu berechnen“, erklärt Curk. „Wir fanden heraus, dass beide sozialen Strategien den nicht-sozialen Ansatz in Bezug auf die Sucheffizienz übertrafen, da die Geier die Kadaver im Vergleich zum nicht-sozialen Modell schneller fanden. Die 'Geierkette' ist besonders vorteilhaft, wenn sich viele Geier in einem Gebiet aufhalten, die ihre Suchanstrengungen koordinieren können und einen Informationsaustausch über große Entfernungen realisieren können.“

    Effektive „Mundpropaganda“ kann zu überfüllten Futterstellen führen

    Die Analysen ergaben allerdings auch, dass eine „Geierkette“ zu großen Ansammlungen von Geiern an Kadavern führen kann. Dies hat für den einzelnen Geier zur Folge, dass er möglicherweise weniger Nahrung aufnehmen kann. Die Strategie der lokalen Anreicherung hingegen schafft bei sehr vielen Geiern in einem Gebiet ein Gleichgewicht zwischen mittelhoher Sucheffizienz und geringerer Konkurrenz am Kadaver.

    Vergleiche der Auffinderate zeigten, dass die Menge an potenzieller Nahrung, die in der Natur verbleibt, bei sozialen und nicht-sozialen Strategien sehr vergleichbar ist, solange sich in einem Gebiet nur wenige Geier aufhalten. Bei höheren Geierdichten übertreffen die beiden sozialen Strategien die nicht-soziale Strategie. Nur wenn es enorm viele Geier in einem Gebiet gibt, bleibt die Effizienz der „Geierkette“ hinter der „lokalen Anreicherung“ zurück – bei sehr langen Geierketten kommt es häufig zu einer Konzentration auf wenige Futterstellen, und viele Individuen ernähren sich nur von einigen wenigen Kadavern, während andere unbesetzt bleiben.

    Schutz für die hochbedrohten Geierarten ist dringend und wichtig

    Die Autorinnen und Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Geier im Untersuchungsgebiet wahrscheinlich verschiedene Strategien zur Nahrungssuche kombinieren, die von Umweltvariablen wie der Geier- und Kadaverdichte beeinflusst werden. Diese Verhaltensflexibilität deutet darauf hin, dass Geier ihren Erfolg bei der Nahrungssuche optimieren können, indem sie die Nutzung von sozialen Informationen als Reaktion auf veränderte ökologische Bedingungen anpassen. Die bestätigten Vorteile sozialer Futtersuchstrategien unterstreichen jedoch die Bedeutung des Schutzes der drastisch schrumpfenden Bestände vieler Geierarten: Wenn die Geierdichten unter einen Schwellenwert fallen, gibt es zu wenige Geier um soziale Informationen zu nutzen. Die Sucheffizienz und die Auffinderate sinken und eine beträchtliche Menge an Nahrung bleibt unentdeckt, was die Herausforderungen für die Geier in Bezug auf Ernährung, Fortpflanzung und damit auch Überleben weiter erhöht. Aus Sicht des Geierschutzes ist es daher von entscheidender Bedeutung zu verstehen, wie Umweltbedingungen die Strategien zur Nahrungssuche beeinflussen und was damit verbundene Vor- und Nachteile sind.

    In den letzten Jahrzehnten sind die Bestände vieler Geierarten stark zurückgegangen, sie sind nun akut vom Aussterben bedroht. Die Hauptursachen dafür sind der Verlust von Lebensraum und Nahrung in vom Menschen geprägten Landschaften sowie eine hohe Anzahl direkter oder indirekter Vergiftungen. Der Bestand des Weißrückengeiers ist beispielsweise innerhalb von nur drei Generationen um etwa 90 Prozent zurückgegangen – das entspricht einem durchschnittlichen Rückgang von 4 Prozent pro Jahr. Der Erhaltungszustand des Weißrückengeiers wurde in der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) im Jahr 2007 von „least concern“ (nicht gefährdet) auf „near threatened“ (potenziell gefährdet) verändert. Nur fünf Jahre später wurde die Art als stark gefährdet eingestuft und im Oktober 2015 wurde ihr Status erneut auf „vom Aussterben bedroht“ geändert, da der anhaltende Rückgang schneller und gravierender ist als vorher vermutet wurde.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
    Alfred-Kowalke-Str. 17, 10315 Berlin

    _ Dr. Teja Curk
    Wissenschaftlerin in der Abteilung für Evolutionäre Ökologie
    Telefon: +49 (0)30 5168467
    E-Mail: curk@izw-berlin.de

    _ Dr. Jörg Melzheimer
    Wissenschaftler in der Abteilung für Evolutionäre Ökologie
    Telefon: +49 (0)30 5168462
    email: melzheimer@izw-berlin.de

    _ Dr. Ortwin Aschenborn (Dr University of Pretoria)
    Wissenschaftlerin in der Abteilung für Evolutionäre Ökologie
    E-Mail: aschenborn@izw-berlin.de


    Originalpublikation:

    Curk Te, Rast W, Portas R, Kohles J, Shatumbu G, Cloete C, Curk Ti, Radchuk V, Aschenborn OHK, Melzheimer J (2025): Advantages and disadvantages of using social information for carcass detection–A case study using white-backed vultures. Ecological Modelling 499 (2025) 110941. DOI: 10.1016/j.ecolmodel.2024.110941


    Bilder

    Weißrücken- und Sperbergeier in Uganda
    Weißrücken- und Sperbergeier in Uganda
    Jon A. Juarez
    Leibniz-IZW/Jon A. Juarez

    Ein Weißrückengeier wird mit einem Tiersender ausgestattet
    Ein Weißrückengeier wird mit einem Tiersender ausgestattet
    Jan Zwilling
    Leibniz-IZW/Jan Zwilling


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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