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Wissenschaft
„Der aktuelle Diskurs um die Waldorfpädagogik. Eine kritische Bestandsaufnahme“: unter diesem Titel hatte die Freie Hochschule Stuttgart ihre medienrelevanten Kritiker und eine Kritikerin zu einer wissenschaftlichen Tagung in das Stuttgarter Linden-Museum eingeladen. Und sie alle hatten diese Einladung sofort angenommen: der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Helmut Zander, der Religionsphilosoph Dr. Ansgar Martins und die Erziehungswissenschaftlerin Ann-Kathrin Hoffmann.
"Eine sehr anregende Tagung - vielleicht weil so wunderbar verschiedene Welten aufeinandertreffen und man wechelseitig leicht so viele Wahrnehmungsfilter entdecken kann", resümierte Zander.
„Wir sind dankbar für die Offenheit, denn wir wollen mit dieser Veranstaltung wirklich die Breite der Diskussion abbilden“, begrüßte Prof. Dr. Tomáš Zdražil für die Freie Hochschule Stuttgart. Auch der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Heiner Ullrich hatte sein Kommen zugesagt, war aber krankheitsbedingt verhindert. Für ihn war Prof. i.R. Dr. Christian Rittelmeyer eingesprungen. Das Programm umfasste natürlich auch Beiträge von Erziehungswissenschaftlern, die der Waldorfpädagogik nahestehen - Prof. Dr. Thomas Damberger und Prof. Dr. Peter Lutzker von der Freien Hochschule Stuttgart und Prof. Dr. Jost Schieren von der Alanus-Hochschule. Die Moderation des Tages übernahm Dr. André Bleicher, Professor für Betriebswirtschaftslehre.
Die Waldorfpädagogik besteht seit über einem Jahrhundert und hat sich als fester Bestandteil der deutschen und internationalen Bildungslandschaft etabliert. Die Tagung zielte darauf ab, den wissenschaftlichen Diskurs zur Waldorfpädagogik zu intensivieren und nachhaltig in der akademischen Welt zu verankern. Viele Forschungsfragen, auch von gesellschaftlich grundsätzlicher Relevanz, wurden deutlich.
„Stellt man sich die Frage, an welchen Koordinaten sich das Forschungsfeld zur Waldorfpädagogik fixieren lässt, dann sind es die beiden Pole: wie nah oder fern steht man der Anthroposophie und begegnet man ihr theoretisch oder empirisch?“, fragte Ann-Katrin Hoffmann, die in den Fußstapfen Helmut Zanders gerade ihre wissenschaftliche Reputation auf der Kritik an der Waldorfpädagogik aufbaut und damit die zentrale Frage dieses Tages in den Raum stellte. Das Argument des Praxiserfolges von mehr als 100 Jahren Waldorfpädagogik wollte sie nicht unhinterfragt gelten lassen: „Gucken wir uns die Empirie an, ohne dann immer auch die Norm, die da drin steckt, mitzureflektieren?“
Doch was genau soll das sein, die Norm der Anthroposophie? Für Zander ist klar: „Steiner hat ein ungeklärtes Verhältnis zwischen diskursivem und nicht-diskursivem Wissen. Das erbt die Waldorfpädagogik. Epistemologisch und inhaltlich.“ Schieren dagegen definierte den Ansatz der Anthroposophie fernab einer Weltanschauung: Die von Steiner angesprochene geistige Dimension sei keine Vorstellung, sondern eine Vollzugsform des Denkens. Aufgabe sei die „geistige Durchdringung der Erscheinungswelt durch eine radikale Phänomenologie und die geistige Durchdringung der Bewusstseinswelt, nach innen, als geistige Realität.“
Doch auch, wenn Zander den Rat gab, sich den Weg der Abgrenzung der katholischen Schulen von der Kirche zum Vorbild zu nehmen, sprach sich letztlich niemand dafür aus, am Ende die Anthroposophie von der Waldorfpädagogik trennen zu wollen. Im Gegenteil, Zander entschuldigte sich sogar dafür, sein von ihm einst geprägter Begriff vom „Anthroposophieverzicht“ sei in den falschen Hals geraten. Vielmehr habe er damit auf die Gefahr eines Mangels an „kritischem Hinterfragen durch reinen vorstellungsförmigen Transport“ aufmerksam machen wollen.
Damit sprach er ein gesellschaftspolitisches Thema an, das Martins zugespitzt im Hinblick auf allgemeine kulturelle und christliche Werte formulierte: "Ich nenne das `religiöse Analphabetisierung`. Was machen wir mit all diesen geronnenen kulturellen Inhalten, die wir in der Gesellschaft haben, von denen niemand mehr weiß oder niemand mehr sich erinnert, wo die herkommen?"
Auf den grundlegenden Zusammenhang zwischen Anthropologie und Anthroposophie in Bezug auf die Waldorfpädagogik machte Damberger aufmerksam: Die anthroposophische Menschenkunde könnte sich seiner Meinung nach als eine gewinnbringende Ergänzung im Facettenreichum anthropologischer Forschung und damit insbesondere auch für eine an der Anthropologie orientierten Pädagogik erweisen.
Als Ergebnis des Tages mag der Satz von Damberger stehen: „Der gemeinsame Diskurs vermag für eine Verlebendigung sowohl der Waldorfpädagogik als auch der etablierten wissenschaftlichen Pädagogik zu sorgen“.
Die Beiträge zu dieser Tagung werden in Kürze in einem Sammelband des Beltz-Verlages erscheinen.
Abschluss-Podium: v.l.: Prof. Dr. André Bleicher. Ann-Kathrin Hoffmann, Dr. Ansgar Martins, Prof. Dr ...
Petra Plützer
Freie Hochschule Stuttgart
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Wissenschaftliche Tagung zur Waldorfpädagogik: Breite Perspektiven im akademischen Diskurs
Unter dem Titel „Der aktuelle Diskurs um die Waldorfpädagogik. Eine kritische Bestandsaufnahme“ fand am 16. Mai 2025 im Linden-Museum Stuttgart eine wissenschaftliche Tagung der Freien Hochschule Stuttgart statt. Ziel der Veranstaltung war es, zentrale Forschungsfragen zur Waldorfpädagogik in einem pluralen, wissenschaftlich fundierten Rahmen zu diskutieren.
Das Symposium versammelte Vertreter verschiedener akademischer Fachrichtungen – darunter Religionswissenschaft, Erziehungswissenschaft und Philosophie. Eingeladen waren sowohl Wissenschaftler, die sich in ihren Arbeiten kritisch mit der Entwicklung und den Grundlagen der Waldorfpädagogik auseinandersetzen – wie der Theologe Prof. Dr. Dr. Helmut Zander, der Religionsphilosoph und -soziologe Dr. Ansgar Martins sowie die Erziehungswissenschaftlerin Ann-Kathrin Hoffmann – als auch Fachvertreter, die sich aus bildungswissenschaftlicher Perspektive mit den Potenzialen alternativ geprägter pädagogischer Konzepte befassen, darunter Prof. Dr. Jost Schieren (Alanus Hochschule Alfter bei Bonn), Prof. Dr. Peter Lutzker und Prof. Dr. Thomas Damberger (beide Freie Hochschule Stuttgart).
Prof. i. R. Dr. Christian Rittelmeyer bereicherte das Programm in Vertretung von Prof. Dr. Heiner Ullrich, der aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte. Die Moderation des Tages übernahm Dr. André Bleicher, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Biberach.
Im Zentrum der Diskussion standen grundlegende Fragen nach dem Verhältnis zwischen Anthroposophie und Wissenschaft, nach erkenntnistheoretischen Spannungen zwischen empirischer Forschung und pädagogischen Konzepten mit ideengeschichtlichem Hintergrund sowie nach dem Platz der Waldorfpädagogik in der gegenwärtigen Bildungslandschaft.
Während Helmut Zander auf strukturelle Herausforderungen im Umgang mit nicht-diskursiven Wissensformen verwies, betonte Ansgar Martins den gesellschaftlichen Bedeutungsverlust religiös-kultureller Bildungstraditionen. Ann-Kathrin Hoffmann hinterfragte empirisch den argumentativen Rückgriff auf die über hundertjährige Praxisgeschichte der Waldorfpädagogik.
Demgegenüber stellten Peter Lutzker und Thomas Damberger Perspektiven vor, die die Bedeutung der geisteswissenschaftlich fundierten Menschenkunde für eine plural ausgerichtete anthropologische Pädagogik hervorhoben. Jost Schieren argumentierte, dass sich die Waldorfpädagogik auf der Grundlage einer phänomenologischen Erkenntnismethode begründen lasse. Diese Methode, so Schieren, orientiere sich an Goethes Naturauffassung sowie an idealistischen Denkern wie Fichte und Novalis und ermögliche eine wissenschaftlich verantwortbare Erschließung sowohl der Außenwelt als auch des Bewusstseins.
Die Tagung unterstrich den Anspruch der Freien Hochschule Stuttgart, den wissenschaftlichen Diskurs zur Waldorfpädagogik nicht nur zu begleiten, sondern aktiv mitzugestalten. Dabei wurde deutlich, dass die behandelten Fragen weit über den pädagogischen Rahmen hinausreichen und auch zentrale gesellschaftliche und bildungspolitisch relevante Diskurse berühren.
Ein Sammelband mit ausgewählten Beiträgen der Tagung erscheint voraussichtlich im Herbst 2025 im Beltz Verlag.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Pädagogik / Bildung
überregional
Schule und Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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