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13.06.2025 10:32

Archäologische Untersuchungen in der Ruine der ottonenzeitlichen Stiftskirche St. Marien in Walbeck an der Aller

Dr. Oliver Dietrich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt - Landesmuseum für Vorgeschichte

    Die Ruine der einstigen Stiftskirche St. Marien zu Walbeck an der Aller, nach 941 von Graf Lothar II. als Sühneleistung für die Beteiligung an einer Verschwörung gegen Otto I. gegründet, gilt als ein bedeutendes architektonisches Zeugnis der Ottonenzeit.Inmitten der Vierung wurde 1932 eine reich verzierte, einzigartige Tumba (freistehendes Grabmal) aus Stuck geborgen. Der Fundort in der Stiftskirche wird derzeit im Rahmen einer zweiwöchigen Forschungsgrabung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt mit modernen Methoden erneut untersucht. Im Zentrum stehen insbesondere Fragen nach dem Fundkontext und der Datierung der Tumba.

    Die Stiftskirche St. Marien zu Walbeck und ihr historischer Hintergrund

    Die Ruine der Stiftskirche St. Marien in Walbeck (Landkreis Börde) zählt zu den wichtigsten und malerischsten Stationen auf der Straße der Romanik. Gegründet wurde das der Jungfrau Maria geweihte, hoch über der Aller gelegene Kanonikerstift, zu dem die Kirche einst gehörte, durch Graf Lothar II. von Walbeck auf dessen Eigengut. Graf Lothar war Angehöriger eines Adelsgeschlechts, das sowohl in der sächsischen Geschichte als auch in der Reichsgeschichte eine herausgehobene Rolle spielte. Bedeutendster Vertreter dieses Adelsgeschlechts war der spätere Bischof von Merseburg und wichtigster Geschichtsschreiber der ottonischen Epoche Thietmar, dessen Chronik einige Informationen über Anfangszeit des Stifts enthält. Lothar II. war zu Ostern des Jahres 941 an einem Komplott Heinrichs, des späteren Herzogs von Bayern, gegen dessen Bruder König Otto I., den späteren Kaiser Otto den Großen, beteiligt gewesen. Die geplante Ermordung des Königs in Quedlinburg schlug fehl, etliche Mitverschwörer Heinrichs wurden hingerichtet. Lothar II. von Walbeck allerdings wurde begnadigt. Als Sühneleistung gründete er ein Stift.
    Obwohl seit dem 19. Jahrhundert nur noch als Ruine erhalten, zählt die Kirche des einstigen Stifts zu den bedeutenden architektonischen Zeugnissen der Ottonenzeit in Deutschland, denn nur an sehr wenigen Bauten hat sich aufgehendes Mauerwerk aus dieser Zeit erhalten.

    Die Stucktumba aus der Walbecker Stiftskirche

    An zentraler Stelle der Ruine, inmitten der Vierung der Kirche, wurde im Jahr 1932 ein außergewöhnliches Denkmal aus Stuck entdeckt: eine Tumba, die hier vormals oberirdisch eine unterirdische Grabanlage prominent auszeichnete. Die zentrale Aufstellung und die reiche Verzierung dieser Stuckplastik verweisen auf die Bestattung einer besonderen Persönlichkeit, die vermutlich mit dem Gründer des Stifts, Graf Lothar II., in Verbindung zu bringen ist.
    Die etwa 2 Meter lange und 0,5 Meter hohe, ursprünglich farbig gefasste und reich verzierte, massive Tumba trägt auf den Seiten eine umlaufende Bogenreihe. Ihre Oberfläche, in die vormals vermutlich zwei Alabasterplatten eingelassen waren, wird von einem Rankenfries sowie einem umlaufenden Zahnfries gerahmt. Das herausragende Kunstwerk wurde nach seiner Bergung in der neoromanischen Walbecker Dorfkirche aufgestellt. Um das Jahr 2000 befanden sich sowohl die Dorfkirche als auch die Stucktumba in einem schlechten Erhaltungszustand, der eine Konservierung dringend erforderlich machte. Seitens der Abteilung ›Bau- und Kunstdenkmalpflege‹ des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt wurde damals nicht nur die Sanierung der Kirche unterstützend begleitet, sondern auch ein erfolgreicher Fördermittelantrag bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gestellt. Die Förderung ermöglichte ein umfangreiches und interdisziplinäres Projekt für die Erforschung und Konservierung der Tumba, das wichtige neue Erkenntnisse zu Materialtechnik, Herstellung und ursprünglicher Gestaltung erbrachte. Das Kunstwerk konnte dadurch gesichert, konserviert und verbessert präsentiert werden.

    Die aktuelle archäologische Ausgrabung in der Ruine der Stiftskirche: Fragestellungen, Ziele und weiterführende Untersuchungen

    Im Fokus der aktuellen zweiwöchigen Forschungsgrabung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in der Walbecker Ruine steht der Fundort der Tumba. Diesen hat Hans Feldtkeller in seiner Disssertation von 1937 dem damaligen Forschungstand gemäß anschaulich beschrieben. Alle wesentlichen Bestandteile wurden erfasst und in einer Skizze festgehalten. Benannt werden unter anderem eine Grabkammer mit bruchsteinverkleideten und verputzten Wänden, Holzreste, der in zwei Teile zerbrochene Grabaufsatz und seitlich oberhalb befindliche Skelettreste.
    Die Nachgrabung hat zum Ziel, mit neuen Methoden mehr über den Fundkontext zu erfahren. Daneben wird Aufschluss darüber gesucht, ob sich die Tumba tatsächlich mit dem anzunehmenden Stiftergrab verbinden lässt und wie sie zeitlich anzusetzen ist.
    Erste Ergebnisse der aktuellen Ausgrabung zeigen, dass die zentrale, 2,63 mal 1,35 Meter messende Grabkammer 1932 gründlich ausgeräumt wurde. In der damals vorgenommenen Wiederverfüllung finden sich große Mengen an unterschiedlichen Stücken von Mörtel und Putz, die in der Masse wohl zum Estrich und zur Wandverkleidung der Grabkammer gehörten, was ein visueller Vergleich mit einigen wenigen noch in situ angetroffenen Resten nahelegt. Aber auch kleine Fragmente von Holz, Stuck und Knochen, die vermutlich jeweils auf den Sarg, die Tumba und die bestattete Person zurückzuführen sind, ließen sich bergen. Diese Funde sollen im Zuge der auf die Ausgrabung folgenden Auswertung mit modernen Methoden weiter untersucht werden, wobei insbesondere Materialanalytik und naturwissenschaftliche Datierungen weitere Erkenntnisse erwarten lassen. Der Identität des einst in der Grabkammer ruhenden Individuums soll sich mittels bioarchäologischer Analysen angenähert werden.
    Nördlich an die zentrale Grabkammer schließt eine weitere, kleinere und etwa 30 Zentimeter höher gelegene Kammer von 0,5 mal 1,45 Metern an. Im Grabungsbericht der 1930er Jahre erscheint sie als Annex. Wahrscheinlich handelt es sich jedoch um ein beräumtes Kindergrab. Jedenfalls unterscheidet sich der noch vorhandene Estrich deutlich von dem der zentralen Grabkammer und ist daher baulich eher nicht als zugehörig zu betrachten.
    Zudem schloss an die Westkante der Grabkammer ein Nord-Süd-ausgerichteter, 0,5 Meter breiter Graben an, der Rätsel aufgibt. Aus diesem Graben stammen mehrere Keramiktöpfe des 10./11. Jahrhunderts. Auch dieser Befund wird erneut untersucht, um nach Möglichkeit Hinweise auf den Aufbau und die Funktion der Grabenstruktur sowie der Gefäße zu erhalten. Diese spricht Hans Feldtkeller als »Behälter für Räucherwerk« oder »wohlriechender Essenzen« an. Ebenso könnte es sich allerdings um Behälter zur Bestattung der inneren Organe, wie sie in der Ottonenzeit belegt sind, von Bauopfern oder von Reliquien handeln. Um Aufschluss über den möglichen Inhalt der Gefäße zu erhalten, sind chemische Analysen an den Oberflächen der vorliegenden Gefäße geplant.
    In Bezug auf die weiterführenden Untersuchungen im Rahmen der auf die Geländearbeiten folgenden Aufarbeitung der Ausgrabung, die neue Erkenntnisse zum gesamten Befundkomplex erbringen sollen, ist vor allem auch die Zusammenarbeit mit dem Institut für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt (IDK) e. V. von Bedeutung, das dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt im Bereich der Bau- und Kunstdenkmalpflege bereits langjährig verbunden ist, es in vergangenen Jahren aber auch verstärkt bei der Auswertung archäologischer Ausgrabungen unterstützt. Hier kommt dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt insbesondere die Expertise des Instituts für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt in der Bestimmung von Gesteinen sowie der Rohmaterialien und Zusammensetzung historischer Putze und Mörtel zugute. Ziel dieser Untersuchungen sind Erkenntnisse hinsichtlich der Verwendung von objektspezifischen Baumaterialien in bestimmten historischen Zeiträumen sowie zur Herkunft von Baumaterialien und deren Transportwegen.
    Daneben wird die Forschungsgrabung in der Stiftskirche St. Marien zu Walbeck durch den Verein für Walbecker Geschichte und Heimatpflege e. V. unterstützt, der sich unter anderem für den Unterhalt der Ruine der Walbecker Stiftskirche engagiert. Die Arbeiten vor Ort enden am 13. Juni 2025. Neben der Forschung kommt die Ausgrabung auch der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses zugute. So umfasst das insgesamt zwölfköpfige Grabungsteam neben dem örtlichen Grabungsleiter auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Freiwilligen Sozialen Jahr in der Denkmalpflege, in der Fortbildung zum Grabungstechniker sowie im Studium der Archäologie. Zudem werden die Arbeiten durch sechs Ehrenamtliche Beauftragte in der Bodendenkmalpflege unterstützt.

    Hintergrundinformation: Das Institut für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt e. V.

    Das Institut für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt e. V. (kurz IDK e. V.) führt ingenieurwissenschaftliche und naturwissenschaftliche Forschung im Bereich der Denkmalpflege, vorrangig im Land Sachsen-Anhalt und im Freistaat Sachsen durch. Es berät die Denkmalfachämter beider Länder zu ingenieur- und naturwissenschaftlichen Fragestellungen, beantragt, koordiniert und bearbeitet Förderprojekte und Forschungsprojekte beziehungsweise hilft Denkmaleigentümern bei deren Beantragung. Daneben ist es voruntersuchend, baubegleitend und restaurierungsbegleitend an Denkmalobjekten tätig und begleitete mit seiner Fachexpertise beispielsweise auch die Konservierung und Restaurierung der Walbecker Stucktumba zu Beginn der 2000er Jahre. Erreichbar ist das Institut für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt e. V. in den Arbeitsstellen in Halle (Saale) und Dresden und über die Webseite idk-denkmal.de.


    Bilder

    Luftaufnahme der Ruine der Walbecker Stiftskirche. Links im Bild ist im Bereich der Vierung der aktuelle Grabungsschnitt erkennbar.
    Luftaufnahme der Ruine der Walbecker Stiftskirche. Links im Bild ist im Bereich der Vierung der aktu ...
    Matthias Zirm
    Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

    Arbeitsimpression: Nachuntersuchung der Fundstelle der Walbecker Stucktumba.
    Arbeitsimpression: Nachuntersuchung der Fundstelle der Walbecker Stucktumba.
    Matthias Zirm
    Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Bauwesen / Architektur, Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Kunst / Design
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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