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18.07.2025 20:05

Schnellere Sepsis-Diagnose durch hyperspektrale Bildgebung und künstliche Intelligenz

Dr. Sibylle Kohlstädt Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum

    Sepsis, früher auch oft als „Blutvergiftung“ bezeichnet, zählt zu den gefährlichsten medizinischen Notfällen überhaupt. Die Erkrankung ist die Folge einer fehlgeleiteten Immunreaktion auf eine Infektion, die rasch zu Organversagen und Tod führen kann. Jede Stunde zählt – doch gerade die frühzeitige Erkennung gestaltet sich in der klinischen Praxis schwierig. Eine neue Studie aus Heidelberg stellt nun einen innovativen Ansatz vor: Künstliche Intelligenz und hyperspektrale Bildgebung der Haut ermöglichen eine sofortige und nicht-invasive Sepsis-Diagnose direkt am Krankenbett.

    Forschende des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und der Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) berichten in ihrer aktuellen Publikation von einem neuen Ansatz, eine Sepsis mit hoher Genauigkeit zu erkennen. Sepsis ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und eine der schwerwiegendsten Komplikationen bei onkologischen OPs. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich mithilfe der hyperspektralen Bildgebung und KI-gestützter Analysen eine Sepsis schnell und sogar ohne Blutabnahme diagnostizieren lässt“, erklärt Lena Maier-Hein, Abteilungsleiterin am DKFZ und Direktorin am NCT Heidelberg, die die Studie gemeinsam mit zwei Kollegen vom UKHD leitete.

    Unter hyperspektraler Bildgebung verstehen Experten eine Kameratechnik, die verschiedene Bereiche des elektromagnetischen Spektrums auch jenseits der sichtbaren Wellenlängen abbildet und dadurch Unsichtbares sichtbar machen kann.

    Haut als Spiegel der Mikrozirkulation

    „Ein kritischer Aspekt der Sepsisbehandlung ist die frühzeitige und genaue Diagnose, bevor anhaltende Organfunktionsstörungen auftreten“, erklärt Markus A. Weigand, Direktor der Klinik für Anästhesiologie des UKHD und Generalsekretär der Deutschen Sepsis Gesellschaft, der die Studie gemeinsam mit Lena Maier-Hein und seinem Kollegen Maximilian Dietrich leitete. Diese Herausforderung wird durch die unspezifischen Anzeichen und Symptome des Sepsis-Syndroms erschwert, da zuverlässige Biomarker, die eine Sepsis eindeutig anzeigen, bislang fehlen.

    „Die Durchblutung kleinster Blutgefäße – die sogenannte Mikrozirkulation – verändert sich bereits in einem sehr frühen Stadium einer Sepsis. Gleichzeitig führt die Entzündungsreaktion im Körper dazu, dass die Wände der Blutgefäße durchlässiger werden, sodass Flüssigkeit ins umliegende Gewebe austritt. Diese Prozesse lassen sich mit der entwickelten Technologie innerhalb weniger Sekunden sichtbar machen. Da sie ähnlich wie eine Fotoaufnahme funktioniert, bedeutet sie keine Belastung für die Patientinnen und Patienten“, so Maximilian Dietrich, Intensivmediziner der Klinik für Anästhesiologie des UKHD.

    Die Forschenden setzten in der Studie ein speziell entwickeltes KI-basiertes Kamerasystem ein, das die Lichtreflexion der Haut an Handflächen und Fingern erfasst. Das reflektierte Licht lässt sich zur Beurteilung der Mikrozirkulation nutzen, da es sensitiv auf Änderungen in der Konzentration von Wasser, Blut und Sauerstoff reagiert. So lassen sich die hochdimensionalen – nicht von Menschen interpretierbaren – Messdaten mittels neuronaler Netze in klinisch relevante Information überführen.

    Besser als etablierte Scores und Biomarker

    In einer prospektiven Studie auf der interdisziplinären operativen Intensivstation des Universitätsklinikums Heidelberg wurden bei über 480 kritisch kranken Patientinnen und Patienten hyperspektrale Bilder der Handflächen und Finger aufgenommen. Eine darauf trainierte KI konnte Sepsis anhand dieser Daten mit hoher Genauigkeit identifizieren: Die Vorhersagegüte* lag bei 0,80. Wurden zusätzlich einfach verfügbare klinische Daten wie Vitalparameter in die Analyse einbezogen, stieg der Wert auf 0,94. Auch die Vorhersage der 30-Tage-Sterblichkeit gelang mit hoher Genauigkeit.

    „Im Vergleich zu klassischen klinischen Bewertungsinstrumenten, die auf Parametern wie mentalem Status, Atmungsfrequenz und Blutdruck beruhen (z. B. qSOFA), oder auf Entzündungs-Biomarkern wie C-reaktivem Protein und Procalcitonin, bietet das neue Verfahren Vorteile. Besonders in zeitkritischen Situationen oder bei hohem Patientenaufkommen können KI-gestützte Tools ein schnelles und zuverlässiges Sepsis-Screening ermöglichen“, erklärt Silvia Seidlitz, Wissenschaftlerin am DKFZ und Erstautorin der Veröffentlichung.

    Breites Anwendungspotenzial – auch außerhalb der Intensivstation

    Die Arbeit belegt erstmals, dass eine schnelle, objektive und nicht-invasive Sepsis-Erkennung mittels KI und hyperspektraler Hautbildgebung im klinischen Alltag möglich ist.

    Ziel ist es, die Technologie für den Routineeinsatz nutzbar zu machen – etwa in Notaufnahmen, im Rettungsdienst oder zur Früherkennung von Komplikationen nach größeren chirurgischen Eingriffen. Die eingesetzte Technik ist mobil, ressourcenschonend, kosteneffizient und erfordert keine invasiven Maßnahmen.

    Die Forschenden sehen großes Potenzial, mit KI-Anwendungen die weiterhin hohe Sterblichkeit der Sepsis, einer der weltweit führenden Todesursachen, zu reduzieren. Die Ergebnisse sollen nun in weiterführenden Studien zur klinischen Wirksamkeit überprüft werden – insbesondere auch im Zusammenhang mit daraus folgenden Therapieentscheidungen sowie bei weiteren Patientengruppen wie Kindern.

    Die Arbeit wurde größtenteils durch Mittel des ERC Consolidator Grants NEURAL SPICING, des Projekts Hidss4Health sowie durch den Andreas-Hoeft-Grant der European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC) finanziert.

    * Vorhersagegüte gemessen an der Fläche unter der Receiver-Operating-Characteristic-Kurve (AUROC): Der Wert 0,80 bedeutet, dass die Methode mit 80% Wahrscheinlichkeit beim Vergleich einer septischen und einer nicht-septischen Hand das Bild der septischen Hand identifizieren kann.

    Publikation:
    Silvia Seidlitz, Katharina Hölzl, Ayca von Garrel, Jan Sellner, Stephan Katzenschlager, Tobias Hölle, Dania Fischer, Maik von der Forst, Felix C. F. Schmitt, Alexander Studier-Fischer, Markus A. Weigand, Lena Maier-Hein*, Maximilian Dietrich*: AI-powered skin spectral imaging enables instant sepsis diagnosis and outcome prediction in critically ill patients
    *geteilte Letztautorschaft
    Science Advances 2025, DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.adw1968

    Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

    Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

    Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
    Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
    Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
    Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
    DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
    Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)

    Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

    Ansprechpartner für die Presse:

    Dr. Sibylle Kohlstädt
    Pressesprecherin
    Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
    Deutsches Krebsforschungszentrum
    Im Neuenheimer Feld 280
    69120 Heidelberg
    T: +49 6221 42 2843
    E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de
    E-Mail: presse@dkfz.de
    www.dkfz.de


    Originalpublikation:

    Silvia Seidlitz, Katharina Hölzl, Ayca von Garrel, Jan Sellner, Stephan Katzenschlager, Tobias Hölle, Dania Fischer, Maik von der Forst, Felix C. F. Schmitt, Alexander Studier-Fischer, Markus A. Weigand, Lena Maier-Hein*, Maximilian Dietrich*: AI-powered skin spectral imaging enables instant sepsis diagnosis and outcome prediction in critically ill patients
    *geteilte Letztautorschaft
    Science Advances 2025, DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.adw1968


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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