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Ein ultraschnell in eine polare Flüssigkeit eingebrachtes Elektron erzeugt in einem kugelförmigen Nanovolumen kollektive Molekülschwingungen, die für mehr als 100 Pikosekunden die Größe der Kugel periodisch verändern. Neue Ergebnisse der Ultrakurzzeitspektroskopie zeigen, wie sich diese Oszillationen in radialer Richtung von transversalen Anregungen unterscheiden und beide zusammen das elektrische Verhalten der Flüssigkeit beeinflussen. Durch Einstellung der Elektronenkonzentration können elektrische Eigenschaften unterschiedlicher Flüssigkeiten angepasst werden.
Ein ultraschnell in eine polare Flüssigkeit eingebrachtes Elektron erzeugt in einem kugelförmigen Nanovolumen kollektive Molekülschwingungen, die für mehr als 100 Pikosekunden die Größe der Kugel periodisch verändern. Neue Ergebnisse der Ultrakurzzeitspektroskopie zeigen, wie sich diese Oszillationen in radialer Richtung von transversalen Anregungen unterscheiden und beide zusammen das elektrische Verhalten der Flüssigkeit beeinflussen. Durch Einstellung der Elektronenkonzentration können elektrische Eigenschaften unterschiedlicher Flüssigkeiten angepasst werden.
Polare Flüssigkeiten wie Wasser oder Alkohole bestehen aus Molekülen, die ein elektrisches Dipolmoment besitzen. Die Moleküle üben durch ihre Dipole elektrische Kräfte aufeinander aus, wodurch gekoppelte kollektive Bewegungen großer Molekülgruppen ermöglicht werden. Derartige Bewegungen haben starken Einfluß auf elektrische Eigenschaften der Flüssigkeit, etwa die Mikrowellenabsorption, sind bislang aber wenig erforscht und auf molekularer Ebene nicht verstanden.
Ionisiert man mit einem ultrakurzen Lichtimpuls Moleküle in der Flüssigkeit, so gehen die freiwerdenden Elektronen innerhalb einiger Hundert Femtosekunden in einen lokalen Zustand über. Dort sind sie in eine Wolke mit einem Durchmesser von einigen Nanometern eingebettet, die aus Tausenden Molekülen besteht (Fig. 1(a)). In der Frühphase des Lokalisationsvorgangs werden kollektive Schwingungen der Molekülwolke, sog. Polaronen angestoßen, die sich optisch als periodische Modulation der Absorption im Terahertz-Frequenzbereich (1 THz = 1012 Hz = 1012 Schwingungen pro Sekunde) nachweisen lassen (Fig. 2(a)). Die Polaronfrequenz ist durch die Elektronenkonzentration in der Flüssigkeit bestimmt.
Neue Experimente am Max-Born-Institut, die kürzlich publiziert wurden (Physical Review Research 7, 023304 (2025)) zeigen dass Polaronen mit radialen, d.h. longitudinalen Bewegungen der Moleküle um das Elektron verbunden sind und von der Umgebung jenseits der schwingenden Molekülwolke entkoppelt sind (Schema in Fig. 1(b)). Der Durchmesser dieser Wolke ist durch die Abschirmlänge des elektrischen Feldes des Elektrons bestimmt, d.h. eine Länge von einigen Nanometern, über die dieses Feld in der Flüssigkeit wirksam ist.
Experimente, in denen Elektronen durch zwei zeitlich getrennte Lichtimpulse erzeugt wurden, ergaben dass die Frequenz der Polaronen durch die jeweils einzeln erzeugte Elektronenkonzentration bestimmt ist (Fig. 2(b)). Nach dem zweiten Anregungsimpuls bleibt die Polaronfrequenz gleich obwohl sich die Gesamtkonzentration der Elektronen verdoppelt hat (Fig. 3(a)). Dieser überraschende Befund unterstreicht die Abkopplung der einzelnen schwingenden Molekülwolken voneinander und von ihrer weiteren Umgebung. Untersucht man hingegen transversale Anregungen der Flüssigkeit nach der Elektronenerzeugung (Fig. 1c), so sind diese auf einer makroskopischen Längenskala additiv. Die entsprechende stufenförmige Absorptionsänderung (Fig. 2(b)) ist durch die Gesamtkonzentration der Elektronen bestimmt.
Eine zweiten Studie, die gemeinsam mit Forschern in den USA und in Großbritannien durchgeführt wurde (Physical Review A 112, L011101 (2025)) zeigt, wie man die elektrischen Eigenschaften unterschiedlicher Flüssigkeiten im Terahertzbereich nahezu identisch machen kann. Die Kontrolle der Elektronenkonzentration in verschiedenen Alkoholen führt zu identischen Frequenzen und nahezu gleichen Linienformen der Polaronresonanz (Fig. 3(b)). Man kann also mit dem Verhalten des einen Systems dasjenige eines anderen vortäuschen, ein kontrollierter Betrug (engl. ‚driven imposter‘). Dieses Verfahren könnte für Anwendungen in der Optoelektronik und Informationsverarbeitung ausgenutzt werden.
Bildunterschriften:
Fig. 1. (a) Ein lokalisiertes Elektron in einer polaren Flüssigkeit. Das Schema zeigt die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines lokalisierten Elektrons (Kontur) in einer Umgebung von Lösungsmittelmolekülen, die ein elektrisches Dipolmoment besitzen. (b) Longitudinale Anregung einer Molekülwolke um ein lokalisiertes Elektron. Die longitudinale Polaronanregung verändert den Nanometer-Durchmesser der Kugel durch Auslenkung von Molekülen in radialer Richtung. (c) Schema einer transversalen Anregung der Flüssigkeit auf einer makroskopischen Längenskala, die den Durchmesser der Molekülwolke stark überschreitet.
Fig. 2. Experimentelle Ergebnisse. Die Femtosekunden-Anregungsimpulse A und B ionisieren Isopropanolmoleküle, die dabei freiwerdenden Elektronen gehen ultraschnell in einen lokalisierten Grundzustand über (siehe Fig. 1(a)). Die resultierende Veränderung der elektrischen Eigenschaften der Flüssigkeit wird mit einem Abtastmpuls im Terahertz-Frequenzbereich zu verschiedenen Verzögerungszeiten nach der Anregung nachgewiesen. (a) Messung mit einem einzelnen Anregungsimpuls A. Das nichtlineare Signal entspricht einer Absorptionszunahme der Flüssigkeit und zeigt in Abhängigkeit von der Verzögerungszeit einen stufenförmigen Verlauf, der durch Oszillationen überlagert ist. Die Stufe ist auf transversale Anregungen zurückzuführen, während die Oszillationen durch longitudinale Polaronen verursacht werden. (b) Messung mit zwei Anregungsimpulsen A und B. Das Gesamtsignal besteht aus zwei Stufen, die durch Oszillationen identischer Frequenz überlagert sind (rote Linie). Während die stufenförmigen transversalen Anregungen additiv sind, bleibt die Polaronfrequenz nach der zweiten Anregung unverändert. Schwarze Linie: Summe der Signale aus Messungen mit einem einzelnen Anregungsimpuls A oder B.
Fig. 3. Frequenzspektren der Polaronoszillationen. (a) Frequenzspektren der in Fig. 2 gezeigten oszillatorischen Signale. Ein einzelner Anregungsimpuls A oder B erzeugt eine Elektronenkonzentration ce=0.7 Millimol/Liter, die Polaronfrequenz beträgt in beiden Fällen 4 THz. Die Frequenz bleibt nach Anregung mit beiden Impulsen A und B (Fig. 2(b)), d.h. für eine Gesamtkonzentration ce=1.4 Millimol/Liter, unverändert und ist durch die im einzelnen Anregungsschritt erzeugte Elektronenkonzentration bestimmt. (b) Driven Imposter: Durch kontrollierte Anregungsbedingungen, d.h. Anpassung der Elektronenkonzentration, lassen sich in Isopropanol und Ethylenglycol Polaronspektren erzeugen, deren Frequenzposition und Linienform nahezu identisch sind. Polaronen in Wasser weisen bei gleicher Frequenz eine größere Linienbreite auf.
Kontakt:
Dr. Michael Woerner
michael.woerner(at)mbi-berlin.de
+49 30 6392 1470
Prof. Dr. Thomas Elsaesser
thomas.elsaesser(at)mbi-berlin.de
+49 30 6392 1403
Ten thousand molecules in time – Generation and control of collective vibrations in a liquid
Ultrafast longitudinal and transverse dielectric response of collective polar modes in liquids
Matthias Runge, Michael Woerner*, and Thomas Elsaesser
Physical Review Research 7, 023304 (2025)
https://journals.aps.org/prresearch/abstract/10.1103/45x5-vztx
https://mbi-berlin.de/research/highlights/details/ten-thousand-molecules-in-time...
DOI: https://doi.org/10.1103/45x5-vztx
Tuning the terahertz response of liquids by creating polar many-body excitations
G. McCaul, M. Runge,M. Woerner, D. Talbayev, T. Elsaesser, D. I. Bondar
Physical Review A 112, L011101 (2025)
https://journals.aps.org/pra/abstract/10.1103/qbqx-zcsx
https://mbi-berlin.de/research/publications?tx_publications_publications%5Bcontr...
Ein lokalisiertes Elektron in einer polaren Flüssigkeit
Copyright: MBI T. Elsässer / M. Wörner
Experimentelle Ergebnisse.
Copyright: MBI T. Elsässer / M. Wörner
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Physik / Astronomie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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