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14.09.2004 15:34

Gynäkologen: Rütteln am Embryonenschutz-Gesetz

Dipl. Biol. Barbara Ritzert Pressearbeit
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

    Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hält das Embryonenschutz-Gesetz für erneuerungsbedürftig. Ziel der Experten ist ein Gesetz, das den positiven Entwicklungen der Fortpflanzungsmedizin Rechnung trägt, von denen Paare in anderen Ländern schon lange profitieren. Eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe aus Ärzten, Juristen und Ethikern wird darum unter Leitung des DGGG-Präsidenten Professor Klaus Diedrich, Lübeck, ein Positionspapier erarbeiten. In welchen Bereichen die Experten Handlungsbedarf sehen, diskutieren sie auf dem 55. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Hamburg.

    Das erste "Retortenbaby" Louise Brown kam 1978 auf die Welt. Seitdem wurden weltweit über 1,8 Millionen Kinder geboren, deren Leben bei der Befruchtung einer Eizelle im Reagenzglas begann. In Deutschland werden derzeit ein bis zwei Prozent aller Kinder (etwa 10000 von 700000) nach assistierter Reproduktion - dem Sammelbegriff der reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten - geboren. Sie sind das Ergebnis von 90000 Behandlungszyklen mit Reagenzglasbefruchtung (in vitro Fertilisation = IVF) oder jenem kurz ICSI (intrazytoplasmatische Spermieninjektion) genannten Verfahren, bei dem ein Spermium in die Eizelle gespritzt wird.

    Zahl der ungewollt kinderlosen wächst.

    Rund 15 Prozent der Paare, etwa 2 Millionen, sind hierzulande derzeit ungewollt kinderlos. "Und ihre Zahl dürfte weiter wachsen", prophezeit Professor Klaus Diedrich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, "da Paare ihren Kinderwunsch zunehmend erst in einer späteren Lebensphase jenseits des 30. Lebensjahres realisieren, dann wenn die Chancen schwanger zu werden sinken."

    Fortschritt ist an Deutschland vorbeigegangen.

    Das Deutsche IVF-Register weist für 2002 eine Schwangerschaftsrate pro Zyklus von etwa 28 Prozent aus. Zum Vergleich: die natürliche Schwangerschaftsrate bei Paaren ohne Fruchtbarkeitsprobleme liegt bei etwa 25 Prozent pro Zyklus. Doch zufrieden sind die Reproduktionsmediziner mit ihren Ergebnissen und vor allem den dafür ursächlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen keineswegs. "Nur in wenigen Bereichen der Medizin ist der internationale Fortschritt in den letzten 20 Jahren so rapide verlaufen wie in der Reproduktionsmedizin" betont Diedrich. Das 1991 verabschiedete Embryonenschutz-Gesetz habe jedoch dazu geführt, dass Deutschland in vielen Bereichen von diesem Fortschritt abgekoppelt wurde, weil eine entsprechende Forschung nicht möglich ist. Ein regelrechter Reproduktions-Tourismus ist die Folge: Paare, die es sich leisten können, lassen sich im benachbarten Ausland behandeln, wo viele Maßnahmen möglich sind, die hierzulande strafbewehrt verboten sind.
    Darum ist das Embryonenschutzgesetz nach Meinung der Experten dringend erneuerungsbedürftig. Nötig sei ein Gesetz, dass die Fortpflanzungsmedizin so regelt, dass Fortschritt möglich ist.

    Juristische Hürden.

    Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben muss jeder Embryo, der im Reagenzglas entsteht, zwingend in die Gebärmutter der Patientin eingesetzt werden - maximal drei Embryonen pro Behandlungszyklus. Um die Schwangerschaftsrate zu erhöhen schöpfen Patientinnen und Ärzte diese Obergrenze vielfach aus. Mehrlingsschwangerschaften sind die Konsequenz, die das Leben von Mutter und Kindern gefährden und zumeist zu Frühgeburten mit allen daraus resultierenden negativen Folgen führen. Darum wird mitunter ein Fötus im Mutterleib getötet und abgetrieben, um das Leben der anderen Kinder zu retten. " Ziel einer jeden Kinderwunschbehandlung muss die Einlingsschwangerschaft sein", fordert darum Klaus Diedrich, "denn es ist kein Erfolg der Reproduktionsmedizin, wenn es zu einer Drillingsschwangerschaft kommt, sondern die Ärzte müssen alles dafür tun, diese zu vermeiden."

    Zu viele Mehrlingsschwangerschaften.

    Doch der Trend könnte genau in die andere Richtung laufen, da die jetzt schon bestehenden Schwierigkeiten durch gesundheitspolitische Maßnahmen verstärkt werden. Seit Januar müssen Kinderwunschpaare die Hälfte der Behandlungskosten übernehmen, also zwischen 1500 und 2000 Euro pro Behandlungszyklus. Manche Paare werden sich die Therapie daher nicht mehr leisten können. Doch gravierender ist die Gefahr, dass die Paare - aus verständlichen Gründen - ihre Erfolgschancen erhöhen wollen und daher auf der Implantation der maximalen Embryonenzahl bestehen, also lieber Mehrlingsschwangerschaften als einen erneuten Fehlschlag in Kauf nehmen.

    Vorbild Ausland.

    Im benachbarten Ausland machen die Reproduktionsmediziner ihren deutschen Kollegen dabei inzwischen vor, wie man die Erfolgsrate nach assistierter Reproduktion steigern und Mehrlingsschwangerschaften vermeiden kann. Eine Möglichkeit ist die Beurteilung der Entwicklung der Embryonen unter dem Mikroskop. Der Arzt untersucht, wie sich der frühe Embryo entwickelt, ob er sich schnell, regelmäßig und gleichmäßig teilt. Werden nur solche Embryonen der Frau übertragen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft deutlich, während diese sinkt, wenn auch jene Embryonen übertragen werden, die sich weniger gut entwickeln.

    Bei der so genannten Polkörperbiopsie können die Ärzte vor einer Befruchtung überprüfen, ob es bei einer Eizelle zu einer Verteilungsstörung der Chromosomen genannten Erbträger gekommen ist - ein Phänomen, was bei Frauen über 35 Jahren häufiger wird. (Untersucht wird dabei das so genannte Polköperchen, in das die Eizelle ihren nicht benötigten halben Chromosomensatz "entsorgt". Stimmt die Chromosomenzahl darin nicht, wissen die Ärzte, dass der Chromosomensatz der Eizelle selbst ebenfalls verändert ist.) Durch eine Präimplantationsdiagnostik, bei der das Erbgut einer Zelle des Embryos untersucht wird, ließen sich weitere Chromosomenstörungen oder Erbkrankheiten diagnostizieren.
    Positionspapier der DGGG. Das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe soll daher mehrere Punkte ansprechen:
    1. Möglichkeiten zur Verbesserung der Schwangerschafts- und Reduzierung der Mehrlingsrate einschließlich einer Formulierung der eigenen Position zum Status des Embryos.
    2. Regelungsvorschläge zur Kryo-Konservierung und Polkörperdiagnostik.
    3. Forderung nach Schaffung einer staatlichen Aufsichtsbehörde, die für Dokumentation, Beratung und Qualitätssicherung und sozial rechtliche Regelungen zuständig ist, ähnlich der HFEA in England
    4. Regelung der Präimplantationsdiagnostik unter strenger Indikationsstellung, ähnlich wie es bereits im Richtlinienentwurf des wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer formuliert wurde.

    Voller Neid blicken die deutschen Reproduktionsmediziner ins kleine Nachbarland Belgien, wo man, so Diedrich, "eine weise Lösung gefunden hat, um Mehrlingsschwangerschaften zu vermeiden und trotzdem eine hohe Schwangerschaftsrate zu erreichen: die Ärzte haben sich verpflichtet, nur einen Embryo nach in vitro-Fertilisation und entsprechender Auswahl in die Gebärmutter zu transferieren." Mit dem so eingesparten Geld für die Intensivbehandlung von zu früh geborenen Mehrlingen könnten unproblematisch auch hierzulande die Kosten für die Kinderwunschbehandlung vollständig übernommen werden.

    Pressestelle: ProScience Communications - Die Agentur für Wissenschaftskommunikation GmbH
    während der Tagung: Congress-Centrum Hamburg · Saal 18 ·
    Fon: 040/808037-5351
    Barbara Ritzert · Valerie Neher Andechser Weg 17 · 82343 Pöcking
    Fon: 08157/ 9397-0 · Fax: 08157/ 9397-97
    ritzert@proscience-com.de


    Weitere Informationen:

    http://www.dggg.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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