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Auf ihrem 55. Kongress präsentiert die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ein Positionspapier zu den Themen "Pränataldiagnostik, Beratung und möglicher Schwangerschaftsabbruch" mit konkreten Empfehlungen für den Gesetzgeber. Das Papier ist das Ergebnis eines umfangreichen öffentlichen Diskussionsprozesses, den die Gynäkologen auf ihrem letzten Kongress im Jahr 2002 angestoßen haben. Die dabei erarbeiteten konkreten Verbesserungsvorschläge gelte es nun in die Tat umzusetzen, fordern die Experten auf der Fachtagung in Hamburg.
Es ist ein grausames Dilemma der modernen Geburtsmedizin: In einem Kreissaal kämpfen Ärzte und Pflegepersonal verzweifelt um das Leben eines Winzlings, der viel zu früh geboren wurde. Und im Kreissaal nebenan wird ein Kind, das eigentlich lebensfähig wäre, im Mutterleib erst getötet und danach abgetrieben, weil es eine schwere Krankheit hat.
Im vergangenen Jahr nahmen Gynäkologinnen und Gynäkologen - laut Statistischem Bundesamt - 377 Mal einen so genannten späten Schwangerschaftsabbruch vor. "Spät": das heißt nach 22 Schwangerschaftswochen, also dann, wenn das Ungeborene bereits außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre. Theoretisch ist der Abbruch sogar bis kurz vor der Geburt möglich.
Schon lange schwelt bei den Gynäkologen das Unbehagen über unerwünschte Folgen der Reform des Paragrafen 218. Und daran hat die moderne Pränataldiagnostik einen entscheidenden Anteil. Einerseits fungiert sie als Lebensschutz: Sie nimmt den Eltern Sorgen, verhindert Abbrüche "auf Verdacht" und hilft im Falle eines Falles, eine Therapie vor oder gleich nach der Geburt vorzubereiten. Andererseits sehen sich die Ärzte zunehmend mit einem vermeintlichen "Rechtsanspruch" auf ein gesundes Kind konfrontiert, zu dessen Verwirklichung auch ein - später - Schwangerschaftsabbruch in Kauf genommen wird.
Forderungen an den Gesetzgeber.
Aus diesem Anlass legt eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe unter der Leitung von Professor Klaus Diedrich, dem Präsidenten der Gesellschaft und Direktor der Frauenklinik Universitätsklinikum Schlewsig-Holstein Campus Lübeck, nun ein Positionspapier vor. Durch ein vorausgegangenes Diskussionspapier konnte die Gesellschaft ihr erstes Ziel erreichen - die breite gesellschaftliche Diskussion von Schwangerschaftsabbrüchen. Nun gilt es, konkrete Verbesserungsvorschläge in die Tat umzusetzen. Im Klartext: Es geht darum, wie und unter welchen Bedingungen in der Zukunft die Pränataldiagnostik ablaufen soll. Ebenso geht es um die Rahmenbedingungen des Schwangerschaftsabbruches.
2,7 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland erfolgten im vergangenen Jahr aus medizinischer Indikation: 3421 von 128030 Abbrüchen, die meisten davon - 2261 - nach zwölf Schwangerschaftswochen. "Medizinisch" bedeutet seit der Reform des Paragrafen 218 im Jahr 1995 zumeist keine plötzliche Erkrankung der Frau, die zum Abbruch der Schwangerschaft zwingt, sondern eine schwere Erkrankung oder Fehlbildung des Feten, weshalb der Mutter das Austragen der Schwangerschaft nicht zugemutet werden kann.
Unerwünschte Wirkungen einer Gesetzesreform.
Mit der Aufnahme dieser früher "embryopathische Indikation" genannten Begründung in die medizinische Indikation verschwanden weitere Hürden: die Beratungspflicht samt einer Bedenkzeit danach für die Mutter sowie die genaue statistische Erfassung der Abbruchgründe. Vor allem fiel jedoch die Grenze, jenseits derer ein Abbruch nicht mehr möglich ist - die 22. Schwangerschaftswoche. Und: Das Recht des Arztes, die Mitwirkung bei einem Abbruch mit medizinischen Indikation zu verweigern, ist in Frage gestellt.
Sorgen bereitet den Gynäkologen auch der Haftungsdruck, der nach der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung ("Kind als Schaden") steigt. Die Folge heißt: Defensivmedizin. Im Zweifelsfall rät der Arzt zum Abbruch, da er im Falle eines geschädigten Kindes einen Haftungsprozess fürchten muss. Eine Haftung sollte daher nach Meinung der Gynäkologen nur bei "grober Fahrlässigkeit" - ähnlich wie in Frankreich - zugelassen werden.
Präzise hat die Arbeitsgruppe nun Forderungen nach Klarstellungen und Gesetzesänderungen formuliert:
' Bei der Neufassung der Mutterschaftsrichtlinien muss eine umfangreiche Beratung durch den Arzt vor der ersten Ultraschall-Untersuchung festgeschrieben werden. Nur so kann die Frau ihr Recht auf Wissen und Nicht-Wissen wahrnehmen. Vor weiterführender Diagnostik muss sich diese Beratung auch auf die Konsequenzen der Untersuchungen beziehen, also einen möglichen Schwangerschaftskonflikt oder den Schwangerschaftsabbruch. Aufgenommen werden soll in den Mutterpass auch ein Beratungsangebot nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz.
' Bei der Neufassung der Richtlinien der Bundesärztekammer sollen ebenfalls die Beratungspflicht des Arztes, das Einholen einer qualifizierten zweiten Meinung bei umfangreicher Pränataldiagnostik oder Fetozid sowie eine interdisziplinäre Beratung des Arztes bei zu erwartender Lebensfähigkeit des Kindes bei einem Schwangerschaftsabbruch festgeschrieben werden.
Gesetzlicher Regelungs- und Änderungsbedarf sieht die Arbeitsgruppe sowohl beim Schwangerschaftskonfliktgesetz als auch beim Bundesstatistikgesetz:
' Analog zur Beratungsregelung sollte auch vor einem Abbruch aus medizinischer Indikation eine Beratung mit angemessener Bedenkzeit (3 Tage) Pflicht werden.
' Bei einer zu erwartenden Lebensfähigkeit des Kindes soll ein interdisziplinär besetztes Konsil den behandelnden Arzt beraten.
' Nötig ist die Überarbeitung des Erhebungsvordruckes zum Erfassen eines Schwangerschaftsabbruches. Dieser Vordruck ist insbesondere bei zu erwartender Lebensfähigkeit des Kindes ungenau, die Methode des Fetozids muss ergänzt werden. Nötig sind auch genaue Angaben zur Dauer der Schwangerschaft sowie die Erfassung der Abbrüche als "vorwiegend fetal bedingt" und "vorwiegend mütterlich bedingt". Angepasst werden muss auch das Personenstandsgesetz, damit nicht-repräsentative und unklare Erhebungen in verschiedenen Statistiken vermieden werden.
' Das Weigerungsrecht des Arztes, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken, gilt dann nicht, wenn diese Mitwirkung nötig ist, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder eine schwere Gesundheitsschädigung abzuwenden. In Anbetracht der Beurteilungsspielräume bedarf dies der Präzisierung. Das Weigerungsrecht des Arztes sollte nur bei unmittelbar drohender schwerer Gesundheitsgefahr oder Lebensgefahr für die Mutter aufgehoben sein.
Pressestelle:
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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