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06.08.2025 11:00

Reiner Quantenzustand ohne Kühlaufwand

Franziska Schmid Hochschulkommunikation
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

    Auch grosse Objekte mit mehreren hundert Millionen Atomen können sich quantenmechanisch verhalten – ganz ohne Kühlung und bei Raumtemperatur, wie Forschende der ETH Zürich zeigten. Das bringt spannendes Potenzial für neue Technologien.

    Drei Nano-Glaskügelchen heften aneinander. Sie bilden einen Turm, wie wenn man drei Kugeln Eis aufeinanderschichtet – nur deutlich kleiner: Der Durchmesser des Nano-Gebildes ist zehnmal kleiner als der eines menschlichen Haars. Forschenden der ETH Zürich ist es gelungen, mithilfe einer optischen Apparatur und Laserstrahlen solche Objekte beinahe komplett still in Schwebe zu halten. Das ist im Hinblick auf die künftige Entwicklung von Quantensensoren bedeutend, die neben Quantencomputern zu den aussichtsreichsten Anwendungen der Quantenforschung zählen.

    In ihrem Schwebe-Experiment konnten die Forschenden um Martin Frimmer, Titularprofessor für Photonik, die auf die Glaskügelchen wirkende Schwerkraft ausschalten. Dennoch zitterte das längliche Nanoobjekt ähnlich wie die Nadel eines sich einpendelnden Kompasses. Im Fall des Nano-Gebildes war es ein sehr schnelles, aber schwaches Zittern: Das Objekt machte etwa eine Million Mal pro Sekunde Auslenkungen von wenigen Tausendstel Grad. Bei dieser winzigen Drehschwingung handelt es sich um eine fundamentale quantenphysikalische Bewegung aller Objekte, die Physiker:innen als Nullpunktsfluktuation bezeichnen. «Die Quantenmechanik sagt, dass kein Körper jemals perfekt stillstehen kann», erklärt Lorenzo Dania, Postdoc in Frimmers Gruppe und Erstautor der Studie. «Je grösser ein Körper ist, desto kleiner werden diese Nullpunktsfluktuationen und desto schwieriger ist es, sie zu beobachten.»

    Mehrere Rekorde

    Bislang ist es denn auch für ein Objekt dieser Grösse noch niemandem gelungen, diese winzigen Bewegungen so genau zu erkennen, wie nun den ETH-Forschenden. Sie schafften dies, weil sie alle Bewegungen, die aus dem Bereich der klassischen Physik stammen und den Blick auf die Quantenbewegungen verdecken, weitestgehend ausschalten konnten. Die ETH-Forschenden ordnen die Bewegungen des Objekts in ihrem Experiment zu 92 Prozent der Quantenphysik und zu 8 Prozent der klassischen Physik zu und sprechen daher von hoher Quantenreinheit. «Dass wir eine so hohe Quantenreinheit erreichen, hätten wir im Voraus nicht erwartet», sagt Dania.

    Ein weiterer Rekord: Die Forschenden schafften dies alles bei Raumtemperatur. Normalerweise müssen Quantenwissenschaftler ihre Objekte dazu mit speziellen Anlagen auf eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius kühlen. Das war hier nicht nötig. Frimmer zieht eine Analogie: «Wir haben ein neues Fahrzeug gebaut, das mehr Ladung transportiert als herkömmliche Lastwagen und gleichzeitig weniger Benzin verbraucht.»

    Winzig und zugleich riesig

    Während viele Wissenschaftler:innen Quanteneffekte bei einzelnen oder wenigen Atomen erforschen, gehören Frimmer und seine Gruppe zu jenen, die mit vergleichsweise grossen Objekten arbeiten. Ihr Nanokugel-Turm mag für Alltagsverhältnisse winzig sein, er besteht aber aus mehreren hundert Millionen Atomen und ist daher für Quantenphysiker riesig. Das Interesse an Objekten dieser Grösse hat unter anderem mit erhofften künftigen Anwendungen der Quantentechnologie zu tun. Diese setzen voraus, dass sich auch grössere Systeme quantenmechanisch kontrollieren lassen.

    Den Forschenden ist es gelungen, ihr Nanoteilchen mit einer sogenannten optischen Pinzette in der Schwebe zu halten. Das Teilchen befindet sich dabei in einem transparenten Behälter im Vakuum. Über eine Linse wird polarisiertes Laserlicht an einem Punkt in diesem Behälter gebündelt. In diesem Brennpunkt richtet sich das Teilchen am elektrischen Feld des polarisierten Lasers aus und bleibt so stabil.

    «Ein perfekter Anfang»

    «Was wir erreicht haben, ist ein perfekter Anfang, um damit weitere Forschung zu betreiben, die dereinst auch in Anwendungen münden könnte», sagt Frimmer. Für solche Anwendungen brauche man zuerst ein System mit hoher Quantenreinheit, in dem alle äusseren Störungen erfolgreich unterdrückt und die Bewegungen wie erwünscht kontrolliert werden könnten. Das habe man jetzt geschafft. Anschliessend könne man sich daran machen, damit quantenmechanische Effekte aufzuspüren, diese zu messen und das System quantentechnologisch zu nutzen.

    Mögliche Anwendungen liegen etwa in der physikalischen Grundlagenforschung, um die Zusammenhänge von Schwerkraft und Quantenmechanik experimentell zu untersuchen. Denkbar ist auch die Entwicklung von Sensoren, um winzige Kräfte zu messen, etwa die von Gasmolekülen oder sogar von Elementarteilchen, die auf den Sensor einwirken. Das wäre bei der Suche nach Dunkler Materie hilfreich. «Wir haben nun ein System, das relativ einfach und kostengünstig ist und sich dafür eignet», sagt Frimmer.

    Anwendungen in Navigation und Medizin

    In ferner Zukunft könnten Quantensensoren auch in der medizinischen Bildgebung zum Einsatz kommen. Man erhofft sich von ihnen, dass sie schwache Signale gut erkennen können in einer Umgebung, in der Messgeräte sonst vor allem Hintergrundrauschen empfangen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit wären Bewegungssensoren. Sie könnten die Fahrzeugnavigation ermöglichen, auch wenn kein Kontakt zu einem GPS-Satelliten vorhanden ist.

    Für die meisten dieser Anwendungen müsste das Quantensystem miniaturisiert werden. Das sei prinzipiell möglich, sagen die ETH-Forschenden. Immerhin haben sie schon einmal einen Weg gefunden, den erwünschten, kontrollierbaren Quantenzustand ohne aufwendige, teure und energieintensive Kühlung zu erreichen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Martin Frimmer, ETH Zürich, frimmerm@ethz.ch


    Originalpublikation:

    Dania L, Schmitt Kremer O, Piotrowski J, Candoli D, Vijayan J, Romero-Isart O, Gonzales-Ballestero C, Novotny L, Frimmer M: High-purity quantum optomechanics at room temperature, Nature Physics 2025, doi: 10.1038/s41567-025-02976-9


    Weitere Informationen:

    https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2025/08/reiner-quanten...


    Bilder

    Die ETH-Forschenden hielten ein Nanoobjekt (Bildmitte) in einer Laserfalle fest. Rot dargestellt ist das Laserlicht, das mit einer Linse gebündelt wird.
    Die ETH-Forschenden hielten ein Nanoobjekt (Bildmitte) in einer Laserfalle fest. Rot dargestellt ist ...
    Quelle: Lorenzo Dania
    Copyright: ETH Zürich


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Elektrotechnik, Informationstechnik, Physik / Astronomie, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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