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Wissenschaft
Ein Stück GSI/FAIR-Spitzenforschung soll im kommenden Jahr ins All starten: Mit einem hoch innovativen Forschungsprojekt ist die Abteilung Biophysik an einer der nächsten Wissenschaftsmissionen auf der internationalen Raumstation ISS beteiligt. Vor kurzem wurde das Projekt „HippoBox“ von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR erfolgreich geprüft und für die Teilnahme an der CELLBOX-4-Mission auf der ISS ausgewählt. Ziel des Projekts ist es, mithilfe von Hirnorganoiden („Mini-Gehirnen“) neuroplastische Veränderungen in einem bestimmten Gehirn-Areal, dem Hippocampus, zu untersuchen – eine Fragestellung mit hoher Relevanz für die medizinische Vorbereitung zukünftiger Langzeitmissionen im All.
Auf dem Campus des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung und des hier entstehenden internationalen Beschleunigerzentrums FAIR haben die konkreten Planungen des Experiments bereits begonnen, ein wichtiger Meilenstein ist schon erfolgt: Die speziell entwickelte Hardware wurde geliefert, aktuell laufen zahlreiche Vortests, um weitere Erfahrungen beispielsweise mit der Eignung der vorgesehenen Materialen zu sammeln.
Federführend bei dem Projekt „HippoBox“ ist Dr. Insa Schroeder mit ihrem Team aus der GSI-Abteilung Biophysik, die von Professor Marco Durante geleitet wird. Wichtige Beiträge kommen zudem vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, Dr. Christian Liemersdorf, und von der University of Applied Sciences Köln, Professor Sherif El Sheikh. Das Start-up-Unternehmen Yuri ist mit Missionssupport und technischer Infrastruktur beteiligt. „Wir freuen uns außerordentlich über die positive Entscheidung des DLR und sind stolz, mit HippoBox einen Beitrag zur weltraummedizinischen Forschung leisten zu können. Die Möglichkeit, menschliche Hirnorganoide in Schwerelosigkeit im All zu untersuchen, eröffnet vielversprechende neue Perspektiven für die Gesundheitsvorsorge bei Langzeitaufenthalten im All. Es ist wichtig, die Mechanismen, die möglichen neuroplastischen Veränderungen im Hippocampus der Astronauten zugrunde liegen und damit zu einem Showstopper für Langzeitmissionen werden könnten, präzise zu untersuchen“, erklärt Dr. Insa Schroeder.
Das Experiment soll spannende wissenschaftliche Fragen beantworten: Verändern sich die neuronalen Strukturen und ihre Funktionen in Schwerelosigkeit? Gibt es Möglichkeiten, solchen Veränderungen des Netzwerks des Gehirns entgegenzuwirken? Die Forschungsergebnisse könnten entscheidenden Einfluss auf zukünftige Strategien zur Erhaltung der kognitiven Gesundheit von Raumfahrer*innen haben, aber auch neue Erkenntnisse für die Erforschung von Depressionen und Demenz auf der Erde bringen.
Dr. Schroeder und ihr Team arbeiten derzeit an der Zellkulturbox selbst, eine Art Mini-Inkubator, kaum handtellergroß. Sie wird die Organoide aufnehmen und deren Versorgung übernehmen. „Es ist ein Labor in Miniaturform“, erläutert Dr. Insa Schroeder und beschreibt die einzigartigen Forschungsperspektiven durch die Teilnahme am ISS-Programm: Volle 14 Tage lang wird das Kleinstlabor auf der ISS in echter Schwerelosigkeit in Betrieb sein. Daraus ergeben sich deutlich umfangreichere Forschungsmöglichkeiten mit den Organoiden als beispielsweise bei einem Parabelflug mit einem Flugzeug oder einem Flug mit der DLR MAPHEUS-Forschungsrakete, deren ballistischer Flug vergleichsweise kurze Zeiträume der Schwerelosigkeit ermöglicht (Sekunden bis Minuten).
Im Mittelpunkt des Projekts „HippoBox“ steht der Hippocampus, jene zentrale Schaltstelle im Gehirn, in der Informationen verschiedener sensorischer Systeme zusammenfließen. Diese Hirnregion ist verantwortlich für die Gedächtnisleistung und das Lernverhalten beispielsweise für die Verarbeitung von Bewegungskoordination. Das ist ein ganz entscheidender Punkt auch für Astronaut*innen: Sie müssen im Weltall wichtige Entscheidungen treffen, sicher und rational, und auch ihre motorischen Fähigkeiten, etwa die Fingerfertigkeit, erhalten. Währenddessen wandern im menschlichen Gehirn kontinuierlich Botenstoffe (Neutrotransmitter) zwischen den Nervenzellen, ein starkes neuronales Netzwerk ist nötig. Doch es gibt Hinweise, dass die neuronalen Zellen in Schwerelosigkeit eventuell weiter auseinanderdriften, es in der Folge weniger Kontaktstellen gibt und das neuronale Netzwerk dadurch schwächer ist, ähnlich wie dies auch bei Menschen mit Demenz oder mit Depressionen festzustellen ist.
Die Hippocampus-Organoide, die derzeit bei GSI/FAIR vorbereitet werden, sollen hier neue Erkenntnisse bringen und zeigen, welchen Effekt neuroprotektive Substanzen, die das Wachstum der Kontaktstellen und die Andockmöglichkeiten der Botenstoffe fördern, haben könnten. Die Organoide bilden das menschliche Gehirn gut ab, vieles lässt sich mit ihrer Hilfe schon vorab klären, bevor Tierversuche und klinische Studien nötig werden. Die aktuellen Forschungen bedeuten damit einen wichtigen Schritt für die Vermeidung von Risiken für den Menschen bei der Erforschung des Weltalls. Die Identifizierung der molekularen Ursachen von kognitiven und neuropsychologischen Defiziten, ihre Entstehung und ihr Fortschreiten spielen aber auch für die Medizin auf der Erde eine entscheidende Rolle.
Organiode
Wissenschaftler*innen setzen auf zerebrale Organoide, die in vitro („im Glas“, außerhalb des Körpers) mit Hilfe von menschlichen Stammzellen gezüchtet werden, um beispielsweise das Verhalten in Schwerelosigkeit oder die Auswirkungen einer Strahlentherapie auf das Gehirn zu untersuchen. Diese Organoide sind keine vollständig ausgebildeten Organe, ähneln aber in ihrer Struktur und Funktion dem menschlichen Gehirn und ermöglichen damit eine präzisere Untersuchung der Reaktionen des Gewebes. Wissenschaftler*inne versprechen sich dabei einen substanziellen Fortschritt für die Forschung und auch für medizinische Therapien, nicht zuletzt bei neurologischen Erkrankungen.
Cellbox-Programm
Das Cellbox-Programm wurde 2011 von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR ins Leben gerufen. Cellbox-Missionen ermöglichen Untersuchungen zu den Auswirkungen der Weltraumbedingungen auf Zellen, Gewebe und Organoide. Die Experimente stammen aus den Forschungsbereichen Gravitationsbiologie, Physiologie, Molekularbiologie und Biomedizin. Sie dauern jeweils mehrere Wochen und werden in einer niedrigen Erdumlaufbahn durchgeführt. Die Experimente werden in Miniaturlabors von der Größe eines Smartphones – den Cellbox-Experimentkammern – durchgeführt, die mehrere Tage oder Wochen lang der Schwerelosigkeit und/oder in einer Zentrifuge 1g-Bedingungen (simulierte Schwerkraft der Erde) ausgesetzt sind. Die Missionen Cellbox-4 und Cellbox-5 werden 2026 mehrere Wochen lang in einem Raumfahrzeug die Erde umkreisen. Acht Teams von deutschen Universitäten werden biologische und biomedizinische Experimente durchführen. Die Cellbox-Missionen werden im Auftrag der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWE) durchgeführt.
Übergabe der HippoBox Hardware an die AG Stammzelldifferenzierung und Zytogenetik von GSI/FAIR durch ...
Copyright: Smit Patel, YURI GmbH, Meckenbeuren
Vorbereitung des Projekts HippoBox. Im Foto Carola Hartel aus der Biophysik von GSI/FAIR
Copyright: Insa Schroeder, GSI
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsprojekte, Kooperationen
Deutsch
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