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11.08.2025 14:23

Erster Zellbiologie-Kurs an der TU Berlin ohne Tierleid

Stefanie Terp Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

    Nächste Generation von Forscher*innen soll mit verlässlicheren Alternativmethoden arbeiten

    An der TU Berlin wird der einwöchige Laborkurs „Nukleinsäuretechnologien“ im Rahmen des Moduls „Molekulare Medizin“ für Studierende im Masterstudiengang Biotechnologie künftig ohne Hilfsstoffe oder Methoden durchgeführt, die auf der Verwendung von Tieren basieren. Damit sollen den angehenden Wissenschaftler*innen Wege aufgezeigt werden, im Labor nicht nur ohne Tierversuche, sondern ganz ohne tierbasierte Verfahren auszukommen. Dies vermeidet nicht nur Tierleid, sondern trägt auch zu verlässlicheren Forschungsergebnissen bei – denn tierische Produkte unterliegen stets Qualitätsschwankungen und bringen zudem in die humanmedizinische Forschung eine zusätzliche Komponente ein, die die Aussagekraft der Ergebnisse reduziert. Das Fachgebiet „Angewandte Biochemie“ stellt das gesamte Praktikumsprotokoll des Laborkurses als Open Source auch anderen Universitäten zur Verfügung.

    Einige Forschungsreinrichtungen arbeiten mittlerweile daran, mit Hilfe von Alternativmethoden Tierversuche zu ersetzen oder sie zumindest zu reduzieren. An der TU Berlin beschäftigt sich etwa Prof. Dr. Jens Kurreck, der Leiter des Fachgebiets „Angewandte Biochemie“, mit Organmodellen, die mit Hilfe von 3D-Druck aus menschlichen Zellen hergestellt werden. Diese können als Alternative zum Einsatz von Labortieren in Experimenten dienen. „Was viele nicht wissen: Auch die Hilfsstoffe und Methoden, die wir in ganz normalen zell- und molekularbiologischen Laboren verwenden, sind oft tierischen Ursprungs“, erklärt Kurreck. Als Nährmedium für die Vermehrung von Zellen etwa wird meist „fötales Kälberserum“ verwendet – das aus den Kälbern trächtiger Kühe gewonnen wird.

    In Deutschland ist es eigentlich verboten, trächtige Kühe zu schlachten
    Diese auch FBS genannte Substanz hat eine ambivalente Herkunft, denn eigentlich ist es in Deutschland verboten, trächtige Tiere zu schlachten. In anderen Ländern sind die Regelungen weniger strikt. Hier kann es auch vorkommen, dass trächtige Kühe geschlachtet werden. In dem Fall ist es üblich, dem Fötus Blut abzunehmen. Denn dieses enthält viele Stoffe, die das Wachstum anregen und daher für die Vermehrung von Zellen in der biologischen Forschung ideal geeignet sind. „Eine Veröffentlichung von 2021 geht von weltweit zwei Millionen so genutzter Kälberföten pro Jahr aus, und seitdem hat der Verbrauch von FBS eher zugenommen“, sagt Kurreck. Ein Großteil davon komme aus Schlachtungen im Nicht-EU-Ausland und könne daher nur schlecht von deutschen oder europäischen Institutionen überwacht werden.

    Kommerzielle Ersatzprodukte geben häufig ihre Zusammensetzung nicht an
    Neben dem Tierleid hat die Verwendung von FBS auch das gewichtige Problem, dass es als tierisches Produkt natürlichen Schwankungen unterliegt. Ein Artikel in der renommierten Fachzeitschrift Nature identifizierte daher auch FBS als einen wesentlichen Faktor für die Variabilität in Zellkulturexperimenten und betonte die Notwendigkeit standardisierter und klar definierter Alternativen. „Für einige Zell-Linien gibt es zwar mittlerweile kommerziell erhältliche Ersatzprodukte für FBS, aber diese sind teuer und ihre genaue Zusammensetzung wird von den Firmen geheim gehalten. Auch hier kann man also nicht wissen, welchen Einfluss das Nährmedium spielt, wenn sich zum Beispiel die Ergebnisse von anderen Forschungsgruppen im eigenen Labor nicht reproduzieren lassen.“

    Eigenes, tierfreies Nährmedium entwickelt
    Für die Anforderungen ihres Laborkurses haben die Wissenschaftler*innen des Fachgebiets nun ein eigenes Nährmedium aus Wachstumsfaktoren, Insulin, Selen sowie Zuckern und Salzen entwickelt und die genaue Zusammensetzung in ihrem Manuskript angegeben. Ebenso haben sie zum Beispiel einen Ersatz verwendet für das normalerweise von Schweinen gewonnenen Enzym „Trypsin“, das dafür da ist, die in Kulturflaschen vermehrten Zellen von der Flaschenwand abzulösen. „Wir haben hier ein Alternativprodukt benutzt, bei dem das Enzym in Bakterienkulturen hergestellt wird“, so Kurreck.

    Herstellung von Antikörpern mit Phagen
    Ein weiteres Gebiet, bei dem bisher stets auf Ausgangsmaterialien tierischen Ursprungs zurückgegriffen wurde, ist die Arbeit mit Antikörpern. „Traditionell werden hierfür Tiere immunisiert und dann aus ihrem Blut die Antikörper extrahiert“, erzählt Jens Kurreck. „Wir haben für unseren Kurs soweit möglich auf Antikörper zurückgegriffen, die von Firmen mit Hilfe des sogenannten Phage-Display selektiert wurden. Phagen sind spezielle Viren, die nicht Menschen oder Tiere, sondern Bakterien angreifen. Sie haben die besondere Eigenschaft, dass man leicht DNA-Abschnitte in sie einschleusen kann.“ Es existieren bereits Mischungen von Phagen, wobei in die verschiedenen Phagen jeweils die DNA-Sequenz für einen der vielen Milliarden Antikörper des Menschen eingebracht wurde. Die jeweilige Phage bildet dann an ihrer Oberfläche genau diesen Antikörper aus. Für die Produktion einer gewünschten Sorte von Antikörpern muss man dann nur das entsprechende Antigen solch einer „Phagen-Bibliothek“ präsentieren. Nur die Phagen mit dem passenden Antikörper bleiben daran hängen und man kann die nicht passenden auswaschen. „In mehreren solcher Selektionsrunden kann man so Antikörper selektieren und anschließend in beliebiger Menge herstellen“, sagt Kurreck.

    Für die neue Generation sollen tierfreie Methoden ganz normal sein
    „Unser Ziel ist es, eine junge Generation von Wissenschaftler*innen auszubilden, für die diese ganzen ausgefeilten Methoden die normale Laborarbeit darstellen. Denn wie schon Max Planck erkannt hat: Neue wissenschaftliche Paradigmen setzen sich selten dadurch durch, dass sie ihre Gegner überzeugen, sondern vielmehr durch das allmähliche Aufkommen einer neuen Generation, die von Anfang an mit diesen Ideen vertraut ist“, erklärt Jens Kurreck. Und ein Paradigmenwechsel sei bitter nötig. „90 Prozent aller zunächst aussichtsreichen Kandidaten für Arzneimittel scheitern letztlich bei der Erprobung am Menschen. Will man hier besser werden, muss das Ziel sein, irgendwann ganz ohne Tierversuche und auch ganz ohne tierische Hilfsstoffe und -methoden auszukommen. Unser aktuelles Bestreben ist es, sämtliche Laborkurse ab 2026 ohne FBS durchzuführen und die Studierenden in tierfreien Methoden auszubilden.“

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
    Prof. Dr. Jens Kurreck
    Fachgebiet Angewandte Biochemie
    Fakultät III – Prozesswissenschaften
    Technische Universität Berlin
    Tel.: +49 (0)30 314 – 27582
    E-Mail: jens.kurreck@tu-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Medizin, Tier / Land / Forst
    überregional
    Forschungsergebnisse, Studium und Lehre
    Deutsch


     

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