idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Biologische Alternativen zu chemischen Pestiziden sind immer gefragter. Im europäischen Forschungsprojekt „BioProtect“ wurde jetzt ein vielversprechender Ansatz ausgearbeitet, wie sich Nutzpflanzen gezielt und umweltverträglich vor Viren, Pilzen und Schädlingen schützen lassen: mit natürlicher doppelsträngiger RNA (dsRNA). Mit dabei ist Benjamin Moorlach, Doktorand an der Hochschule Bielefeld. Er hat für die dsRNA eine innovative Formulierung entwickelt, damit sich das Wirkprinzip der dsRNA in der landwirtschaftlichen Praxis anwenden lässt.
Bielefeld (hsbi). Es muss schnell gehen. „Innerhalb der ersten Sekunden passiert das meiste“, sagt Benjamin Moorlach. Routiniert greift er zur Pipette, gibt eine Flüssigkeit zu einer anderen ins Reagenzglas, schüttelt kurz und macht sofort weiter mit der nächsten Einheit. Was genau passiert, ist aber mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Denn Moorlachs Forschungsobjekte sind winzige Moleküle: Der Biotechnologe „formuliert“ – so heißt das in der Fachsprache – doppelsträngige Ribonukleinsäure, kurz dsRNA (engl. double-stranded ribonucleic acid), für den Einsatz als Pflanzenschutzmittel.
Gut gelaunt steht Moorlach im Labor für Biochemie/Mikrobiologie der Hochschule Bielefeld (HSBI). Soeben ist er aus Straßburg zurückgekommen, wo er seine Forschungsergebnisse mit den Kooperationspartnern im Projekt „BioProtect“ diskutiert hat. Das Projekt ist Teil der europäisch geförderten Forschungsinitiative (Sustainable Crop Production (SusCrop) im Netzwerk European Research Area (ERA) und vereint Forschende des Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Straßburg, der Universität Helsinki, der Justus-Liebig-Universität Gießen und der HSBI. Zusammen arbeiten sie an der Entwicklung eines neuartigen biologischen Pflanzenschutzes. „Die negativen Folgen konventioneller, chemischer Pflanzenschutzmittel für Ökosysteme und Gesundheit sind mittlerweile hinreichend bekannt. Mit biologischem Pflanzenschutz wollen wir ihren Einsatz reduzieren, ohne die Erträge im Ackerbau zu schmälern“, sagt Prof. Dr. Anant Patel, Leiter der Arbeitsgruppe „Fermentation and Formulation of Biologicals and Chemicals“ an der HSBI. Als solcher hat er die Beteiligung der Hochschule Bielefeld an „BioProtect“ initiiert und betreut zusammen mit Dr. Waldemar Keil Moorlachs Doktorarbeit.
Wie dsRNA gezielt pflanzeneigene Abwehrmechanismen aktiviert
Der innovative Ansatz der „BioProtect“-Forschenden: „Mit Hilfe von dsRNA-Molekülen werden die pflanzeneigenen Mechanismen zur Abwehr von Viren, Pilzen oder Schädlingen aktiviert“, erklärt Benjamin Moorlach. Denn dsRNAs lösen die sogenannte RNA-Interferenz aus, einen natürlichen Mechanismus zur Genregulation in fast allen Organismen, der zur gezielten Ausschaltung von Genen führt und auch der Abwehr fremder RNA wie beispielsweise von Viren dient: „Dazu wandelt der Organismus dsRNAs in kleine interferierende RNAs (siRNA) um, die die komplementäre Boten-RNAs (mRNAs) der Viren erkennen, daran anbinden und sie schneiden, das heißt ausschalten. So kann sich das Virus in der Pflanze nicht ausbreiten“, erläutert Waldemar Keil den Vorgang. Anstatt darauf zu warten, dass die Pflanze von selbst passende dsRNAs etwa zur Abwehr des Tabak-Mosaik-Virus‘ – ein Modell-Organismus des Projekts – bildet, bringen die Forschenden die benötigten dsRNAs von außen in die Pflanze ein. Moorlach: „Es ist ein Wirkstoff, der die zelleigenen Abwehrmechanismen ausnutzt.“
Die Methode hat überzeugende Vorteile: „dsRNA kann sehr zielgerichtet eingesetzt werden und wirkt je nach Ausführung jeweils gegen spezifische Viren, Pilze oder Insekten. Anders als bei herkömmlichen Breitband-Pestiziden verabreicht man also nur das, was nötig ist“, nennt Benjamin Moorlach ein wichtiges Argument für den neuen Lösungsansatz. „Zudem wird durch die externe Applikation nicht ins Erbgut der Pflanzen eingegriffen“, betont Moorlach und fährt fort: „Beim Pflanzenschutz mittels dsRNA nutzen wir zellinterne Mechanismen aus, die sich über Jahrmillionen bewährt haben, sodass die Resistenzen gegen den Wirkstoff unwahrscheinlich, aber natürlich nie gänzlich auszuschließen sind.“
Wie kann die dsRNA einerseits geschützt und andererseits wirksam gehalten werden?
Allerdings ist diese Anwendung von dsRNA für Nutzpflanzen mit gewissen Herausforderungen verbunden. Benjamin Moorlach stellt den Träger mit den gefüllten Reagenzgläsern zum Erwärmen in einen Schüttler und sagt: „Leider ist dsRNA von Natur aus nicht sehr stabil und geht nur schlecht von selbst in die Pflanze.“ Damit sie wechselnde Umweltbedingungen wie Temperatur oder Niederschlag unbeschadet übersteht und von der Pflanze aufgenommen werden kann, muss die dsRNA also erst in eine entsprechende Form gebracht werden. „Die passende Formulierung für einen Wirkstoff zu finden, ist ein wesentlicher Teil des Forschungsprozesses. Sie ermöglicht, dass das Prinzip auch in der Praxis anwendbar wird“, erläutert Anant Patel. Im Fall des Pflanzenschutzes bedeutet das vor allem, dass die Landwirt:innen das Mittel einfach ausbringen können und dass der Effekt auch im Freiland erhalten bleibt.
Mit der Formulierung beginnt Moorlachs Part im Projekt. „Um einen Wirkstoff in eine Pflanze zu bringen, ist die Herstellung von Partikeln als Trägersubstanz ein gängiger Weg“, erzählt Moorlach. Sein Ansatz ist aber ein anderer: „Ich mache die dsRNA zum Teil des Partikels, trenne also Träger und Wirkstoff nicht.“ Der Doktorand ist überzeugt: „Das erhöht die Effizienz des Wirkstoffs.“ Für seine Partikel nutzt er die natürlichen Eigenschaften der dsRNA aus: „Es ist ein langes Polymer-Molekül mit einer negativen Ladung.“ Moorlach bringt es mit Chitosan zusammen, einem natürlichen Polymer mit positiver Ladung: „Deshalb lassen sich beide Moleküle gut aneinanderbinden.“ Damit nicht genug: „Um die Stabilität zu erhöhen, kommt noch weiteres Bio-Polymer hinzu.“ Moorlach nimmt einen Stift und zeichnet ein verschlungenes Knäuel aus drei Strängen ans Whiteboard: „Hier drin ist die dsRNA gut geschützt.“
Was einfach klingt, erwies sich im Labor als komplexe Herausforderung. „Am Anfang tat sich bei unzähligen Formulierungs-Versuchen erstmal gar nichts“, erinnert sich Moorlach. Wochenlang analysierte er unterschiedliche Parameter, variiert systematisch Zusammensetzung, Konzentrationen und Bedingungen – ohne sichtbaren Erfolg. „Man fragt sich irgendwann natürlich, ob das Konzept grundsätzlich tragfähig ist“, so der Doktorand. Doch wissenschaftliche Arbeit lebt vom Ausprobieren, Scheitern und entscheidend vom Verstehen. Der entscheidende Fortschritt kam mit der Herstellung erster Partikel, die zumindest teilweise die gewünschten Eigenschaften aufwiesen. Anstatt sich mit dem ersten Erfolg zufriedenzugeben, begann Moorlach mit gezielter Optimierung: Er änderte die Polymerlänge, justierte pH-Werte, passte die Mischverhältnisse an – immer mit dem Ziel, eine möglichst stabile und zugleich bioverfügbare Partikelstruktur zu erzeugen. Proben wurden an die Projektpartner geschickt, die ihre Wirkung an Modellpflanzen wie Tabak prüften. Erst durch diesen Prozess aus Laborarbeit, Testung und Analyse ließ sich die Formulierung schrittweise verbessern – bis eine Variante gefunden war, die sowohl im Handling als auch in der Wirksamkeit überzeugte.
Trotz des vielversprechenden Ergebnisses bleibt Moorlach zurückhaltend: „Unsere Formulierung zeigt im Modellversuch klare Vorteile. Ob und wie sie sich in größeren Maßstäben und unter realen landwirtschaftlichen Bedingungen bewährt, wird sich in weiteren Studien zeigen müssen.“ Für ihn ist das Teil des wissenschaftlichen Prozesses – und zugleich Ansporn für die nächsten Schritte.
Länge der Polymere, Temperierung und vor allem pH-Wert entscheidend
Inzwischen hat Benjamin Moorlach herausgefunden, worauf es ankommt: „Das Ergebnis hängt vom Zusammenspiel verschiedener Faktoren ab wie der Länge der Polymere, dem Mischungsverhältnis, der Temperierung und vor allem dem pH-Wert.“ Stimmt alles, entsteht schon in den ersten Sekunden des Zusammenbringens der Substanzen die gewünschte Verbindung, die Schädlingen auf den Äckern den Garaus machen wird. „Bis dahin braucht es aber noch mehr anwendungsorientierte Forschung“, warnt Prof. Patel.
https://www.hsbi.de/presse/pressemitteilungen/hsbi-doktorand-entwickelt-formulie... Link zur Pressemitteilung auf www.hsbi.de
Benjamin Moorlach, Doktorand an der HSBI, formuliert dsRNA für den Einsatz als Pflanzenschutzmittel. ...
Copyright: P. Pollmeier/HSBI
Das europäische Forschungsprojekt „BioProtect“ arbeitet an der Entwicklung eines neuartigen biologis ...
Copyright: P. Pollmeier/HSBI
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsprojekte, Kooperationen
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).