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Wissenschaft
MHH-Kooperationsprojekt untersucht, wie die Muskelfunktion nach Nervenverletzungen wieder stimuliert werden kann. Dafür entwickeln die Forschenden ein magnetisches Vlies auf Kunststoffbasis, das unter die Haut implantiert das Muskelgewebe mit Schwachstrom direkt stimulieren soll. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Vorhaben mit rund 800.000 Euro.
Motoradunfälle, schwere Stürze, Amputationen oder tiefe Schnittverletzungen können erhebliche Verletzungen des Nervengewebes in Armen und Beinen nach sich ziehen. Im schlimmsten Fall ist das Rückenmark betroffen. Aber auch Verletzungen des peripheren Nervensystems nach Verletzungen der Nervengeflechte in den oberen und unteren Extremitäten können für Betroffene gravierende Folgen haben. Denn dort werden die Nervenfasern verschiedener Spinalnerven angeordnet, neu zusammengefasst und gebündelt, ähnlich wie Stromleitungen in einem häuslichen Sicherungskasten. Sind die Nervenfasern durchtrennt, können sie ihrer Funktion nicht nachkommen und es treten Empfindungsstörungen in den betroffenen Körperregionen auf. Gleichzeitig sind die Muskeln betroffen, da das elektrische Signal durch die unterbrochene Nervenleitung nicht mehr an den Zielort übertragen werden kann.
Diesem Problem widmet sich ein Forschungsteam um Privatdozentin (PD) Dr. Doha Obed, Assistenzärztin an der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). In Kooperation mit dem Institut für Mehrphasenprozesse der Leibniz Universität Hannover (LUH) wollen die Forschenden ein neuartiges piezoelektrisches Faservlies entwickeln, das unter der Haut auf den gelähmten Muskel aufgelegt und dann von außen über ein magnetisches Feld eine Muskelstimulation durch die Haut ermöglicht. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über drei Jahre mit rund 800.000 Euro gefördert.
Elektrischer Nervenimpuls fehlt
Im Falle einfacher Verletzungen, lässt sich ein Nerv operativ wiederherstellen. Diese Möglichkeit besteht bei direkten Verletzungen des Rückenmarks nicht. „Mit einer Reparatur der Signalleitung ist die Nervenfunktion selbst jedoch nicht wiederhergestellt“, betont PD Dr. Obed. „Die Nervenfasern müssen sich die gesamte Strecke über von der Durchtrennung bis zum jeweiligen Zielmuskel regenerieren.“ Das kann mehrere Monate dauern. In dieser Zeit verlieren viele der betroffenen Muskeln ihre Funktion, da der elektrische Nervenimpuls fehlt. Je länger die Lähmung dauert, desto schlechter funktioniert der Muskel langfristig. Bei Verletzungen nahe am Rückenmark ist die Einschränkung noch stärker. Bislang werden Muskellähmungen unter anderem mit der sogenannten Funktionellen Elektrostimulation (FES) behandelt. Dabei werden Elektroden auf die Haut geklebt und unter Strom gesetzt, so dass sich der darunterliegende Muskel anspannt. Dieses Verfahren heilt jedoch keine Lähmung, sondern hilft bestenfalls den Muskel zu stärken. Auch unter die Haut implantierte Elektroden haben Nachteile. „Zum einen besteht das Problem, dass Kabel aus der betreffenden Hautregion heraushängen, zum anderen sind die Systeme stör- und infektanfällig“, sagt die angehende plastische Chirurgin.
Hauchdünnes, stabiles Kunststoffvlies
Die Forschenden verfolgen daher einen anderen, völlig neuen Ansatz. Sie wollen ein spezielles Faservlies aus Polyvinylidenfluorid (PVDF) herstellen. PVDF gehört zu den sogenannten thermoplastischen Fluorkunststoffen, ist weitgehend unempfindlich gegen Wärme und chemische Einflüsse und wird unter anderem als Auskleidung für Rohre oder Außenbauteile eingesetzt. Am Institut für Mehrphasenprozesse der LUH wird dieser Ausgangsstoff umfassend bearbeitet und zu einem hauchdünnen, aber sehr stabilen Faservlies umgeformt, das möglichst leicht unter die Haut implantiert werden kann und dort das Zusammenspiel mit dem gelähmten Muskelgewebe begünstigt. „Das magnetische Faservlies ist piezoelektrisch, verformt sich also beim Anlegen einer elektrischen Spannung“, sagt PD Dr. Obed. Diese wird von außen durch ein magnetisches Feld erzeugt. Die Verformung des Faservlieses wiederum erzeugt einen elektrischen Strom, der den Muskel stimulieren kann.
Aktivierung durch Mini-MRT
„Wir tüfteln noch aus, wie das Faservlies am besten aktiviert werden kann, etwa durch einen möglichst handlichen Gegenstand, der wie eine Art Mini-Magnetresonanztomographie-Röhre arbeitet“, sagt die Medizinerin. Derzeit arbeiten die Forschenden noch daran, wie sich die erzeugte Spannung im gelähmten Muskel objektiv ohne Kabel messen lässt. An der LUH entwickeln die Ingenieurinnen und Ingenieure dafür kleine Messsonden, die als Mikrochips ebenfalls unter die Haut implantiert werden sollen. Im Verlauf soll das Faservlies-Implantat im Tiermodell erprobt werden. Funktioniert die Muskelstimulation, könnte das Modell nicht nur nach Nervenverletzungen, sondern auch für die Muskelstimulation nach einem Schlaganfall in Frage kommen.
SERVICE:
Weitere Informationen erhalten Sie bei Privatdozentin Dr. Doha Obed, obed.doha@mh-hannover.de.
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Deutsch
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