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Das erste umfassende Transportmodell einer Calciumpumpe in der Plasmamembran erklärt deren hohe Geschwindigkeit und eröffnet neue Wege für die Entwicklung von Medikamenten
„Trink deine Milch, dann hast du starke Knochen und gesunde Zähne.“ Diesen Ratschlag haben wir alle schon einmal gehört. Er soll uns helfen, den hohen Calciumbedarf unseres Körpers zu decken. Unsere Zellen halten den Calciumspiegel in ihrem Inneren jedoch jederzeit so niedrig wie möglich. Dazu pumpen sie Calciumionen mit Hochgeschwindigkeits-Pumpen in ihrer Membran buchstäblich aus ihrem Inneren heraus. Nun ist es einem Forscherteam um Stefan Raunser, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund, und Bernd Fakler, Direktor an der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg, gelungen, das erste umfassende Transportmodell der Plasmamembran-Ca²⁺-ATPase (PMCA) zu erstellen, indem sie deren 3D-Struktur in verschiedenen Aktivitätszuständen aufgeklärt und den PMCA-vermittelten Calcium-Pumpvorgang in intakten Zellen verfolgt haben. Die Forscher konnten so zeigen, dass ihre hohe Geschwindigkeit in erster Linie auf Wechselwirkungen mit dem Plasmamembranlipid PIP2 zurückzuführen ist. Dieser Mechanismus könnte ein vielversprechender Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Medikamente sein, die die Calciumkonzentration in Zellen manipulieren.
Unser Körper enthält etwa 1 kg Calcium, das allermeiste davon in Knochen und Zähnen gespeichert. Ein kleiner Teil des Calciums spielt aber eine wichtige und vielseitige Rolle bei der Steuerung zellulärer Prozesse wie Muskelkontraktion, Nervenimpulsübertragung, Mitose, Genexpression und Zellsignalisierung. Der Calciumspiegel muss genau reguliert werden, da Ungleichgewichte zu Krankheitssymptomen führen können. „Die Konzentrationsunterschiede zwischen den Zellbereichen sind immens: Der Calciumspiegel innerhalb der Zelle kann bis zu 50.000-mal niedriger sein als außerhalb der Zelle“, sagt Bernd Fakler. Dieser steile Konzentrationsgradient ist entscheidend für die Geschwindigkeit und Effektivität der Calcium-vermittelten Signalübertragung in der Zelle: Der Gradient drückt die Calciumionen buchstäblich in die Zelle, wenn die Calciumkanäle geöffnet werden, und selbst kleinste zusätzliche Mengen machen einen spürbaren Unterschied.
Calcium wieder aus der Zelle herauszudrängen, ist eine anstrengende Aufgabe
„Zellen müssen viel Energie aufwenden, um diesen Konzentrationsgradienten aufrechtzuerhalten, insbesondere wenn es darum geht, Calcium loszuwerden“, sagt Stefan Raunser. „Das ist wie in einem Zug zur Rushhour in einer Stadt wie Tokio. Wenn sich die Türen eines überfüllten Zuges an einem leeren Bahnhof öffnen, strömen die Menschen buchstäblich heraus. Umgekehrt erfordert das Einsteigen in einen überfüllten Zug viel Kraft.“ In Japan werden Pendler in Zügen zur Rushhour von speziellen Mitarbeitern, sogenannten „Pushers“, in die Züge gedrängt. Solche „Pusher“ gibt es auch in der Zelle: Calciumpumpen drücken Calciumionen aktiv gegen den steilen Konzentrationsgradienten hinaus, wobei sie die zelluläre Energiequelle ATP nutzen. Bemerkenswert ist, dass sie dies mit einer Geschwindigkeit von 5.000 Calciumionen pro Sekunde tun. Wie diese Geschwindigkeit und Effizienz aufrechterhalten werden, war bisher unklar.
Calcium festhalten und schnell freisetzen
Durch die Bündelung ihrer Fachkenntnisse haben Forscher aus Dortmund und Freiburg nun das erste umfassende Modell dafür erstellt, wie Calcium durch die Plasmamembran-Ca²⁺-ATPase aus der Zelle transportiert wird. Das Dortmunder Team verwendete Κryo-Elektronenmikroskopie, um die Struktur der Pumpe in verschiedenen Zuständen während des Calciumtransports aufzulösen, während das Freiburger Team die Aktivität der Pumpe in lebenden Zellen aufzeichnete. Die Forscher fanden heraus, dass die hohe Geschwindigkeit der Calciumpumpe durch mehrere Merkmale ermöglicht wird. Erstens bindet Calcium sehr fest an die Pumpe, was die Initiierung erleichtert. Zweitens weist die Calciumpumpe im Gegensatz zu anderen langsameren Pumpen nur geringfügige strukturelle Veränderungen in ihren zytoplasmatischen Domänen und minimale Interaktionsbereiche zwischen diesen Domänen während des Calciumionentransportzyklus auf. Diese glätten und beschleunigen die Übergänge zwischen den Zuständen und erhöhen letztlich die Geschwindigkeit der Pumpe. Der entscheidende Faktor allerdings ist die Wechselwirkung der Pumpe mit PIP2, einem Lipid, das in der Plasmamembran der Zelle vorkommt. Die Forscher konnten zeigen, dass PIP2 die Calciumbindung stabilisiert, aber auch deren schnelle Freisetzung erleichtert und damit den maßgeblichen Beschleunigungsfaktor der Pumpe darstellt.
Ein neuer Ansatzpunkt für die therapeutische Nutzung
„Obwohl Calcium eine so wichtige Rolle für die Gesundheit und bei Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Herzinsuffizienz, Diabetes und Krebs spielt, gibt es derzeit nur sehr wenige Strategien oder Medikamente, um den Calciumspiegel in Zellen zu beeinflussen“, sagt Stefan Raunser. „Die gezielte Beeinflussung der Calciumhomöostase und -signalgebung für die Krebstherapie ist ein aufstrebendes Forschungsgebiet, aber nur wenige Wirkstoffe haben es bis in die klinischen Studien geschafft, und alle zielen auf Calciumkanäle oder andere Calciumpumpen als PMCA ab. “Interessanterweise haben wir herausgefunden, dass die PIP2-Bindungsstelle ein medikamentöses Ziel für die Manipulation der PMCA-Aktivität darstellt. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Entwicklung innovativer Medikamente, die entweder die Calciumkonzentration in Zellen erhöhen oder in der gezielten Krebstherapie den Zelltod induzieren können.“
Molecular mechanism of 1 ultra-fast and phospholipid-controlled ion transport by plasma membrane Ca2+-ATPases. Nature
DOI: 10.1038/s41586-025-09402-3
https://www.mpi-dortmund.mpg.de/aktuelles/calcium-gegen-den-strom
„Pushers“ schieben Passagiere in einen Zug, genau wie Calciumpumpen Calciumionen aus der Zelle schie ...
Quelle: Alamy
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Kryo-EM-Struktur von PMCA gebunden an Neuroplastin (NPTN).
Quelle: MPI für molekulare Physiologie
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch
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