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26.08.2025 13:36

Warum das Zwerg-Seepferdchen eine Stupsnase hat

Helena Dietz Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Konstanz

    Eine deutsch-chinesische Forschungsgruppe um den Konstanzer Evolutionsbiologen Axel Meyer hat das Genom des Zwerg-Seepferdchens sequenziert. Sie konnten dabei unter anderem Genverluste identifizieren, welche für die verkürzte Nase verantwortlich sind – und deren erstaunliche Camouflage und Mimikry zu ihrer Gastkoralle ermöglichen.

    Zwerg-Seepferdchen (Hippocampus bargibanti) sind Meister der Tarnung. Sie gehören zu den kleinsten Wirbeltieren, sind gerade einmal so groß wie ein Daumennagel und leben in Korallenriffen des westlichen Pazifiks. Dort leben sie in einer Symbiose mit einer bestimmten Korallenart und haben sich in Körperform und Farbe verblüffend an diese angepasst. Ein Forschungsteam der Universität Konstanz und des South China Sea Institute of Oceanology in Guanghzhou in China hat das Genom dieser Seepferdchen analysiert und herausgefunden, wie ihnen die erstaunliche Ähnlichkeit zu ihren Korallen gelingt.

    Nachahmung in Farbe und Form
    Noch vor 45 Jahren waren die Zwerg-Seepferdchen völlig unbekannt. Dank ihrer extrem guten Tarnung waren sie vorher schlicht nicht entdeckt worden. Auch heute noch ist das Wissen um ihre Biologie nur fragmentarisch, denn es ist weiterhin schwer, sie ausfindig zu machen oder gar in Aquarien zu halten. Die Farbe und Struktur ihrer Haut entspricht exakt dem Aussehen der Koralle, an der sie sich Tag und Nacht mit ihrem Schwanz festhalten und warten, dass das Futter an ihnen vorbeischwimmt.

    Im Laufe der Evolution haben diese Tiere kleine Knötchen auf ihrer Haut ausgebildet, welche die Polypen der Koralle in Form und Farbe imitieren, und selbst ihr Maul ist auf Polypenlänge verkürzt, um weniger aufzufallen. „Üblicherweise haben Seepferdchen eine langgezogene Schnauze, die einem Pferd (Griechisch „hippos“) ähnelt. Daher auch der wissenschaftliche Name von Seepferdchen: Hippocampus. Damit würde das Zwerg-Seepferchen sich aber von der Bauart der Koralle abheben. Für uns war es daher interessant zu erfahren, in welchem Entwicklungsstadium dieses abweichende Aussehen des Zwerg-Seepferdchens zugunsten der besseren Tarnung verursacht wird und welche Gene dafür verantwortlich sind“, erklärt Axel Meyer. Er ist Professor für Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz und zusammen mit Professor Lin Qiang vom Institut der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Guangzhou in China Leadautor der Studie. Um der Frage nach den verantwortlichen Genen auf den Grund zu gehen, haben sie sich zusammen mit ihrem Team das Expressionsmuster der Gene des Zwerg-Seepferdchens in verschiedenen Phasen der Entwicklung in der Maulregion angesehen.

    Ewiges Kindchenschema
    In frühen Entwicklungsstadien ist bei allen Seepferdchen-Arten der Kopf noch kurz und entspricht zusammen mit den gedrungenen Gesichtsproportionen dem seit Konrad Lorenz bekannten Kindchenschema. Dieser Niedlichkeitsfaktor im jungen Alter ist auch von Säugetieren bekannt. „Normalerweise bewirkt ein Zusammenspiel verschiedener genetischer Komponenten, dass ab einem bestimmten Alter die Nase eines Seepferdchens proportional schneller wächst und damit länger wird als andere Teile des Körpers. Beim Zwerg-Seepferdchen haben wir nun aber festgestellt, dass diese unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten unterdrückt sind, weil das hoxa2b Gen bei ihm verloren gegangen ist“, sagt Meyer.

    Statt das Wachstum anzuregen, fehlt daher diese Funktion und verhindert damit die weitere Verlängerung des Mauls. „Dies konnten wir auch mit CRISPR-Cas9 Experimenten am Zebrafisch nachweisen. Der Kopf des Zwerg-Seepferdchens bleibt im ,kindlich‘ früheren Entwicklungsstadium stecken. Das passt zur Camouflage an die Koralle und macht es schwieriger für Fressfeinde, diese Tiere auf der Koralle zu entdecken“, erklärt Meyer. „Erst mit der kurzen Schnauze verschmilzt das Zwerg-Seepferdchen optisch quasi mit der Koralle. Eine lange Nase würde hingegen deutlich hervortreten und die Tarnung erschweren.“

    Viele verlorene Gene
    Das Forschungsteam hat neben der Kopfform auch die genetische Basis der Hautfarbe, die Ausbildung der Hautknötchen und das Immunsystem der Tiere untersucht. Unter anderem fanden sie dabei heraus, dass die Zwerg-Seepferdchen im Laufe ihrer Evolution, die etwa 18 Millionen Jahre separat von anderen Seepferdchen ablief, eine außergewöhnlich große Zahl an Immun-Genen verloren haben. Sie entdeckten, dass diese Fische in puncto Immunsystem den kleinsten bisher bekannten Gensatz von allen Wirbeltieren haben.

    „Wahrscheinlich ist diese Tatsache darauf zurückzuführen, dass Korallengifte von den Zwerg-Seepferdchen toleriert werden können und sogar Schutz vor Mikroben bieten. Ihr Immunsystem braucht die dafür notwendigen Gene daher nicht mehr selbst. Ferner wurden bei Seepferdchen die Geschlechterrollen getauscht, denn Männchen brüten in ihrer Bruttasche die Eier aus. Weil aber die Eier natürlich nicht genetisch identisch zu den Zellen des Körpers der Männchen sind, würden sie normalerweise abgestoßen werden. Daher ist die Immunreaktion abgeschwächt und die dafür verantwortlichen Gene sind verloren gegangen“, sagt Meyer.

    Damit sind die Zwerg-Seepferdchen ein Paradebeispiel der Evolution: Was zum Überleben von Vorteil ist, setzt sich durch oder wird verstärkt. Was hingegen zum Nachteil oder unnötig ist, verschwindet im Laufe der Generationen. „Bei den Zwerg-Seepferdchen sehen wir bei allen diesen Anpassungen Beispiele für massiven Verlust von Genen und eine damit zunächst paradox erscheinende Freisetzung von evolutionärer Kreativität, die schließlich das ungewöhnliche Aussehen und die bemerkenswerte Biologie dieser Kreaturen erklären“, schließt Meyer.

    Faktenübersicht:
    •Originalpublikation: M. Qu, Y. Zhang, J. Woltering, Y. Liu, Z. Liu, S. Wan, H. Jiang, H. Yu, Z. Chen, X. Wang, Z. Zhang, G. Qin, R. Schneider, A. Meyer, Q. Lin (2025): Symbiosis with and mimicry of corals were facilitated by immune gene loss and body remodeling in the pygmy seahorse, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 122 (35) e2423818122. DOI: 10.1073/pnas.2423818122
    •Pressekontakt: Prof. Dr. Axel Meyer, Professor für Zoologie/Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz, Telefon 07531 88-4163, E-Mail: axel.meyer@uni-konstanz.de

    Hinweis an die Redaktion:

    Bildmaterial kann im Folgenden heruntergeladen werden:
    Bild 1: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/warum_das_zwerg-seepfer...
    Bildunterschrift: Im Laufe der Evolution hat sich das Zwerg-Seepferdchen in seinem Aussehen nahezu perfekt an die Koralle angepasst, in der es lebt.
    Copyright: Frank Schneidewind
    Bild 2: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/warum_das_zwerg-seepfer...
    Bildunterschrift: Das Zwerg-Seepferdchen ist gerade einmal so groß wie ein Daumennagel und dank seiner Tarnung an der Koralle nur schwer zu entdecken.
    Copyright: Frank Schneidewind
    Bild 3: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/warum_das_zwerg-seepfer...
    Bildunterschrift: Die kurze Schnauze des Zwerg-Seepferdchens verleiht ihm ein kindliches Aussehen.
    Copyright: Frank Schneidewind


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Tier / Land / Forst
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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