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26.08.2025 14:19

Ursprung und evolutionäres Schicksal der Geschlechtschromosomen in Braunalgen

Beatriz Lucas Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen

    Die Genome von Braunalgenarten mit unterschiedlichen sexuellen Systemen offenbaren, wie Geschlechtschromosomen entstehen, sich entwickeln und manchmal in Autosomen umgewandelt werden.
    Indem sie die Genome von neun Braunalgenarten zurückverfolgen, werfen Forscher Licht auf die uralten Ursprünge, die bemerkenswerte Stabilität und die unerwarteten Transformationen von U/V-Geschlechtschromosomen. Dies enthüllt, wie sich die Geschlechtsbestimmung in diesen aquatischen Organismen entwickeln, verschieben und sogar ersetzen kann.

    Auf den Punkt gebracht
    1. Uralte Ursprünge der U/V-Chromosomen: Die Geschlechtschromosomen der Braunalgen entstanden vor 450 bis 224 Millionen Jahren. Sie tragen einen konservierten Satz von geschlechtsgebundenen Kerngenen, einschließlich des entscheidenden männlich-bestimmenden Gens MIN. Diese sind über riesige evolutionäre Zeiträume hinweg bemerkenswert stabil geblieben.

    2. Vielfältige strukturelle Evolution in den Linien: Die Geschlechtschromosomen zeigen eine linien-spezifische Diversifizierung und Umordnung, mit der Akquisition neuer Gene, die mit einer erhöhten Komplexität in Morphologie und sexuellem Dimorphismus bei verschiedenen Braunalgenarten verbunden sind.

    3. Dynamische Geschlechtsbestimmungssysteme: Die Studie deckt die häufige Evolution von „verwaisten“ oder taxonomisch beschränkten Genen auf Geschlechtschromosomen auf und demonstriert Fälle, in denen sich das ursprüngliche U/V-System radikal verschoben hat oder aufgehört hat, ein Geschlechtschromosom zu sein (als Autosom bekannt), wie zum Beispiel bei zwei zwittrigen Arten, die beide Geschlechtsfunktionen erwarben, und dem Aufkommen eines diploiden Geschlechtsbestimmungssystems bei Fucus serratus.

    4. Implikationen für das Verständnis der Geschlechtschromosomen-Evolution: Diese Erkenntnisse stellen konventionelle Ansichten infrage, indem sie zeigen, dass Geschlechtsbestimmungssysteme überraschend dynamisch sein können. Sie können sich entwickeln, neu erfinden oder kollabieren, was Braunalgen als ein starkes Modell für die Untersuchung fundamentaler Aspekte der sexuellen Fortpflanzung und der Chromosomen-Evolution hervorhebt.

    Die Geschlechtsbestimmung ist ein Eckpfeiler der Biologie, doch viele Geheimnisse bleiben darüber, wie Geschlechtschromosomen sich entwickeln, insbesondere außerhalb der bekannten Systeme von Säugetieren und Vögeln. Im Gegensatz zu Säugetieren, bei denen das Geschlecht bei der Befruchtung durch XX/XY-Chromosomen festgelegt wird, bestimmen Braunalgen das Geschlecht während der Sporenbildung basierend auf U (weiblich) oder V (männlich) Geschlechtschromosomen. Trotz ihrer Bedeutung sind der Aufstieg, die Evolution und der Untergang von U/V-Geschlechtschromosomen ein Rätsel geblieben.

    Diese neue Forschung zeigt, dass diese spezialisierten Geschlechtschromosomen vor 450 bis 224 Millionen Jahren entstanden sind. Eine Schlüsselerkenntnis ist die Identifizierung eines entscheidenden männlich-bestimmenden Gens, MIN, sowie von sechs weiteren geschlechtsgebundenen Kerngenen, die über diese riesigen evolutionären Zeiträume hinweg erstaunlich fast unverändert geblieben sind.

    Die Studie enthüllt auch, dass der Umfang und der Geninhalt der geschlechtsbestimmenden Region in diesen Chromosomen sich einzigartig in den Braunalgen-Linien diversifiziert haben, oft durch chromosomale Umordnungen expandieren und neue, linien-spezifische Gene erwerben. Diese strukturellen Veränderungen könnten mit der zunehmenden morphologischen und reproduktiven Komplexität verbunden sein, die bei verschiedenen Braunalgenarten beobachtet wird.

    Die dynamische Natur der Geschlechtsbestimmungssysteme

    Die Studie hebt auch hervor, dass „verwaiste“ oder taxonomisch beschränkte Gene (Gene, die für bestimmte Linien einzigartig sind) mit unerwarteter Häufigkeit in U- und V-Chromosomen evolvieren, was ihre dynamische Natur unterstreicht. „Die U/V-Geschlechtschromosomen haben einzigartige genomische Eigenschaften, die sie anfällig für die Evolution von verwaisten Genen machen. Dieses evolutionäre Muster könnte wichtige Hinweise darauf geben, wie einzigartige Braunalgen-Gene entstanden sind“, sagte Josué Barrera-Redondo, Erstautor der Arbeit und ehemaliger Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen.

    Das internationale Team, angeführt von Forschern des Max-Planck-Instituts für Biologie Tübingen, in Zusammenarbeit mit dem CNRS und dem Genoscope (Frankreich), deckte zwei überraschende Fälle auf, in denen sich das ursprüngliche U/V-Geschlechtschromosomen-System radikal verändert oder sogar verschwunden ist und sich in Autosomen umgewandelt hat. In zwei zwittrigen Arten erwarben ehemals männliche Individuen wichtige weiblich-spezifische Gene, die es ihnen ermöglichten, die Fortpflanzungsstrukturen beider Geschlechter zu entwickeln. Währenddessen verlor die Meeresalgen-Gattung Fucus das U/V-System, als ihre Linie vollständig diploid wurde. Die Forscher fanden heraus, dass neue geschlechtsbestimmende Gene das ursprüngliche V-Chromosom-Gen MIN ersetzten, was eine große Verschiebung in der genetischen Steuerung des Geschlechts markiert.

    „Unsere Forschung zeigt, dass Braunalgen-Geschlechtschromosomen ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Stabilität und überraschender Flexibilität bewahren. Dies demonstriert, wie dynamisch und vielfältig die Geschlechtsbestimmung im gesamten Baum des Lebens sein kann“, erklärt die leitende Forscherin Dr. Susana Coelho, Direktorin der Abteilung für Entwicklung und Evolution der Algen am Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen.

    Diese Erkenntnisse zeigen, wie Geschlechtsbestimmungssysteme kollabieren und ersetzt werden können, was demonstriert, dass selbst etwas so Grundlegendes wie „männlich“ und „weiblich“ nicht für immer festgelegt ist. Es hebt eine dynamische evolutionäre Landschaft hervor, in der sich Geschlechtsbestimmungssysteme auf unerwartete Weise entwickeln können – wie sie entstehen, sich neu erfinden, um zu bestehen, und manchmal in Autosomen umgewandelt werden. Dies bietet neue Einblicke in die sexuelle Fortpflanzung als einen der fundamentalsten Aspekte der Biologie.

    Diese umfassende Untersuchung der Braunalgen-Geschlechtschromosomen erweitert unser Verständnis der U/V-Chromosomen-Evolution und positioniert Braunalgen als ein starkes Modell, um die genetische und evolutionäre Grundlage der Geschlechtsbestimmung zu erforschen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Abteilung für Entwicklung und Evolution der Algen
    Prof. Dr. Susana Coelho
    susana.coelho@tuebingen.mpg.de


    Originalpublikation:

    Barrera-Redondo, J., Lipinska, A. P., Liu, P., Dinatale, E., Cossard, G., Bogaert, K., Hoshino, M., Craig, R. J., Avia, K., Leiria, G., Avdievich, E., Liesner, D., Luthringer, R., Godfroy, O., Heesch, S., Nehr, Z., Brillet-Guéguen, L., Peters, A. F., Hoarau, G., Pearson, G., Aury, J.-M., Wincker, P., Denoeud, F., Cock, J. M., Haas, F. B., Coelho, S. M.: Origin and evolutionary trajectories of brown algal sex chromosomes. Nat Ecol Evol (2025). 10.1038/s41559-025-02838-w


    Weitere Informationen:

    https://www.bio.mpg.de/479304/news_publication_25250104_transferred?c=125670
    https://keeper.mpdl.mpg.de/d/455436ef5fe84e69848e/


    Bilder

    Mikroskopische Aufnahme von Braunalgen
    Mikroskopische Aufnahme von Braunalgen

    Copyright: Dr. Rémy Luthringer / Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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