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27.08.2025 09:19

Indirekte Effekte treiben die Evolution voran

Jonas Siehoff Kommunikation und Presse
Johannes Gutenberg-Universität Mainz

    Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz weisen erstmalig mit einem direkten Beleg nach, dass sich indirekte ökologische Effekte auf die Evolution von Spezies auswirken können.

    Forschende der JGU weisen erstmalig mit einem direkten Beleg nach, dass sich indirekte ökologische Effekte auf die Evolution von Spezies auswirken können.

    Die Natur ist komplex: Einige Spezies teilen sich ihren Lebensraum und interagieren direkt, andere begegnen sich nicht und können sich daher nur indirekt beeinflussen. Doch sind indirekte Wechselwirkungen stark genug, um die Evolution zu beeinflussen – eine Spezies also nachhaltig zu verändern? Diese bislang offene Frage konnten Forschende des Instituts für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mit internationalen Partnern wie dem Swiss Federal Institute of Aquatic Science and Technology (Eawag) und der Universität Basel nun erstmalig beantworten. „Wir konnten nachweisen, dass indirekte ökologische Effekte eine schnelle Evolution in aquatischen Lebensgemeinschaften hervorrufen können“, sagt Prof. Dr. Shuqing Xu von der JGU. „In unseren Versuchen beeinflussten Blattläuse die Evolution von kleinen aquatischen Krebstieren, den Wasserflöhen, obwohl die einen an der Luft und die anderen im Wasser leben und ihre Wege sich somit nicht kreuzen. Der Einfluss wird allein durch die Umwelt vermittelt.“ Für die Evolutionsbiologie, die sich bislang vor allem auf direkte Effekte konzentriert und indirekte größtenteils außer Acht lässt, sind diese Erkenntnisse grundlegend. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden am vergangenen Donnerstag im renommierten Fachmagazin PNAS veröffentlicht.

    Genome von Test- und Kontrollgruppen zeigen deutliche Unterschiede

    Für ihre Untersuchungen nutzten die Forschenden verschiedene künstliche Teiche in der Versuchsteichanlage der Eawag, die jeweils 15.000 Liter Wasser enthielten. In der Luft darüber schwirrten Blattläuse, die sich von Wasserlinsen – auch als Entengrütze bekannt – ernährten. Je stärker sie die Entengrütze befielen, umso schlechter vermehrte sich diese, desto mehr Licht drang in die entsprechenden Teiche und desto besser wuchsen mit den Wasserlinsen um Licht und Nährstoffe konkurrierende Algen, von denen sich wiederum die Wasserflöhe im Wasser ernährten. „Die Blattläuse und die Wasserflöhe leben in unterschiedlichen Lebensräumen, doch beeinflussen sich ihre Interaktionsketten gegenseitig“, erklärt Prof. Xu.

    Die Forschenden widmeten sich vor allem der Frage, wie sich die Existenz der Blattläuse auf die Wasserflöhe auswirkt. Alle zwei Wochen nahm das Team Wasserproben und analysierte Parameter wie Temperatur, Nährstoff- und Sauerstoffgehalt. Auch zählten sie die Blattläuse, Wasserlinsen, Algen und Wasserflöhe. „Wir haben eine kontinuierliche Aufzeichnung der Veränderungen in den Teichen erstellt. Im zweiten Jahr zeigte sich eine Zunahme der Wasserflohpopulation, die durch das höhere Algenwachstum mehr Nahrung hatte“, erläutert Prof. Vorburger, Forschungsgruppenleiter in der Abteilung für Aquatische Ökologie der Eawag. Als Referenz dienten baugleiche Teiche mit Wasserlinsen, Algen und Wasserflöhen, an denen keine Blattläuse lebten. Um den evolutionären Veränderungen auf die Spur zu kommen – also zu untersuchen, wie sich die Wasserflöhe weiterentwickelten – analysierten die Forschenden unter anderem die Gensequenzen der Wasserflöhe und verglichen diese mit denen von Wasserflöhen aus den Kontrollteichen. „Viele Stellen im Genom zeigten deutliche Unterschiede“, fasst Prof. Malacrinò, – ehemaliger Gruppenleiter in Prof. Xus Team und inzwischen Assistant Professor an der Clemson University in den USA – die Ergebnisse zusammen. „Das zeigt, dass die Evolution der Wasserflöhe in den Messteichen und den Kontrollteichen in zwei unterschiedliche Richtungen läuft – getrieben durch die Präsenz beziehungsweise die Abwesenheit der Blattläuse.“

    Evolutionäre Anpassungen und deren Kosten

    Beeinflusst diese durch die Insekten angetriebene Evolution jedoch die Anpassung der Wasserflöhe an ihre Umwelt? Um diese Frage zu beantworten, setzten die Forschenden jeweils 50 Wasserflöhe von jedem Messteich in einen Kontrollteich und umgekehrt. Das Ergebnis: Die Wasserflöhe aus den „Blattlaus-Teichen“ kamen in den Kontrollteichen nur schlecht zurecht – sie konnten aufgrund ihrer Evolution also nur noch in den nährstoffreicheren Blattlaus-Teichen gut überleben. Die Wasserflöhe aus den Kontrollteichen hatten dagegen keinerlei Schwierigkeiten, sich im Blattlaus-Teich einzugewöhnen. „Die Anpassung der Wasserflöhe an die Umwelt mit den Blattläusen hatte also ihren Preis“, fasst Dr. Martin Schäfer, Mitarbeiter von Prof. Xu, zusammen. Weiterhin untersuchten die Forschenden, wie die Veränderungen der aquatischen Gemeinschaft auf die Blattläuse rückwirkten. Sie fanden heraus, dass sich die gestiegenen Temperaturen, Nährstoffgehalte und die Zunahme der Wasserflöhe positiv auf die Blattlauspopulation auswirkten.

    „Wir konnten erstmalig mit einem direkten Beleg nachweisen, dass sich auch Spezies, die nicht miteinander in Kontakt treten, in ihrer Evolution gegenseitig beeinflussen können“, sagt Prof. Xu. „Dies zeigt, wie wichtig indirekte Interaktionen für die Evolutionsbiologie sind. Werden diese weiterhin durch die Forschung vernachlässigt, dürfte es schwierig werden, im Labor nachgewiesene Zusammenhänge auf die Natur zu übertragen. Es ist also beispielsweise deutlich zu kurz gegriffen, Landmasse und aquatische Bereiche als getrennte Systeme zu betrachten.“ Prof. Xu betont ausserdem, dass die aktuelle Studie ohne internationale Zusammenarbeit nicht möglich gewesen wäre. Zwar stamme die Idee dazu aus seiner Gruppe, die seit langem mit Wasserlinsen arbeite. Was die Expertise rund um die Wasserflöhe angehe, sei jedoch die Universität Basel führend, während das Eawag das Knowhow rund um die aquatischen Systeme in das Projekt eingebracht habe.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Shuqing Xu
    Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie
    Johannes Gutenberg-Universität Mainz
    Biozentrum I
    Hanns-Dieter-Hüsch-Weg 15
    55128 Mainz
    Tel.: 06131 39-26907
    E-Mail: shuqing.xu@uni-mainz.de
    https://researchprofiles.uni-mainz.de/15010-shuqing-xu


    Originalpublikation:

    M. Schäfer et al., Aphid herbivory on macrophytes drives adaptive evolution in an aquatic community via indirect effects, PNAS, 21. August 2025,
    DOI: 10.1073/pnas.2502742122,
    https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2502742122


    Weitere Informationen:

    https://presse.uni-mainz.de/shuqing-xu-erhaelt-erc-consolidator-grant-fuer-die-e... – Pressemitteilung „Shuqing Xu erhält ERC Consolidator Grant für die Erforschung der Evolution ökologischer Gemeinschaften im Klimawandel“ (23.11.2023)


    Bilder

    Dr. Martin Schäfer nimmt eine Wasserprobe aus einem der Versuchsteiche.
    Dr. Martin Schäfer nimmt eine Wasserprobe aus einem der Versuchsteiche.
    Quelle: Foto/©: Christoph Walcher


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler
    Biologie, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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