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27.08.2025 12:56

Lemuren auf Madagaskar: Vielfalt durch wiederholte Evolutionsschübe

Dr. Susanne Diederich Stabsstelle Kommunikation
Deutsches Primatenzentrum GmbH - Leibniz-Institut für Primatenforschung

    Die Artenvielfalt der Lemuren entstand nicht durch eine einmalige „Explosion der Artenzahl“, auch Radiation genannt, sondern dynamisch durch mehrere Radiationen und Hybridisierung.

    Lemuren gehören zu den bekanntesten Vertretern der Tierwelt Madagaskars. Sie machen mehr als 15 Prozent aller heute lebenden Primatenarten aus – und das, obwohl die Insel weniger als ein Prozent der Landoberfläche der Erde einnimmt. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) hat nun gezeigt: Die Artenvielfalt der Lemuren ist nicht das Ergebnis einer einmaligen großen „Artenentstehung“, auch Radiation genannt, wie es oft bei Tieren auf Inseln vermutet wird. Stattdessen entstanden die Arten in mehreren zeitlich gestaffelten Radiationen – und zwar immer wieder bis in das mittlere und jüngere Pleistozän hinein (vor rund 500.000 Jahren). Bemerkenswert ist zudem, dass Kreuzungen zwischen verschiedenen Lemurenarten – sogenannte Hybridisierungen – keine evolutionären Sackgassen darstellen, sondern sogar zur Entstehung neuer Arten beigetragen haben (Nature Communications).

    Lemuren gehören zu den Feuchtnasenprimaten – einer frühen Linie in der Primatenevolution, die sich vor mehr als 70 Millionen Jahren von den Affen, Menschenaffen und Menschen abspaltete. Ihre Vorfahren kamen vor rund 53 Millionen Jahren nach Madagaskar. Dort passten sie sich an sehr unterschiedliche Lebensräume an: von Regenwäldern über Trocken- und Dornenwälder bis hin zu Berg- und Küstenwäldern. Heute sind mehr als 100 Lemurenarten bekannt. Mindestens 16 weitere sind in den letzten 2.000 Jahren ausgestorben, seit Menschen die Insel besiedeln.

    Wie neue Arten entstanden

    Die Wissenschaftler*innen analysierten das Erbgut von 79 Lemurenarten und stellten dabei fest: Vor etwa fünf bis sechs Millionen Jahren kam es über einen längeren Zeitraum zu einer besonders starken Zunahme an neuen Arten, besonders bei drei Gattungen: den Mausmakis (Microcebus), den Großen Makis (Eulemur) und den Wieselmakis (Lepilemur). Das überraschte die Forschenden, denn normalerweise verlangsamt sich die Artenbildung nach einer ersten, schnellen Phase, die bei Lemuren vor rund 53 Millionen Jahren begann. Diese drei Gattungen zeigten aber nicht nur eine hohe Rate neuer Arten lange nach den ersten Radiationen, sondern tauschten auch intensiv genetisches Material zwischen Arten einer Gattung aus.

    „Unsere Analysen zeigen, dass sich Lemuren deutlich häufiger in neue Arten aufspalteten als beispielsweise ihre nächsten Verwandten, die Loris in Afrika und Asien. Wir konnten auch zeigen, dass der genetische Austausch, also die Hybridisierung zwischen Arten, ein wichtiger Motor dieser Vielfalt war“, erklärt Dietmar Zinner, Primatenforscher in der Abteilung Kognitive Ethologie am DPZ. Gemeinsam mit seinen Kollegen Peter Kappeler, Abteilung Verhaltensökologie und Soziobiologie, und Christian Roos, Abteilung Primatengenetik, hat er an der Studie mitgearbeitet.

    Während Lemuren durchschnittlich 0,44 neue Arten pro Million Jahre hervorbrachten, lag dieser Wert bei den Loris nur bei 0,15 neuen Arten pro Million Jahre. In einigen Artengruppen waren bei Lemuren Hybrid-Arten sogar viermal häufiger entstanden als Arten, die sich durch Aufspaltung einer Art in zwei neue entwickelt haben.

    Die neuen Erkenntnisse helfen, ihre Entwicklungsgeschichte besser zu verstehen und damit auch zukünftige Schutzmaßnahmen gezielter zu planen. Hybridisierung kann einerseits Vielfalt schaffen, andererseits aber auch dazu führen, dass seltene Arten verloren gehen. „Schutzkonzepte müssen künftig auch die genetische Vielfalt und die Rolle von Hybridisierungen berücksichtigen“, betont Dietmar Zinner.

    Wie Wissen über Gene zur Arterhaltung beitragen kann

    Heute gelten rund 95 Prozent aller Lemurenarten als bedroht: Ihre Lebensräume werden zerstört, der Klimawandel bedroht sie. Dass Lemuren ein großes Potenzial zur Artbildung haben, ist aus Sicht der Forschenden eine gute Nachricht. „Dennoch ist das kein Freibrief, den Artenschutz zu vernachlässigen“, sagt Christian Roos. „Ohne Schutzmaßnahmen werden viele der Lemurenarten aussterben bevor sie dieses Potenzial ausschöpfen können.“

    Für die Forschung bedeutet dies, dass weitere Genomanalysen dringend nötig sind, um die Rolle von Hybridisierungen und Umweltfaktoren bei der Artbildung noch genauer zu verstehen. Für den Schutz der Lemuren ist für Roos klar: „Je mehr wir über ihre Evolutionsgeschichte und genetische Vielfalt wissen, desto besser können wir ihre Zukunft sichern.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Dietmar Zinner
    Tel.: +49 (0) 551 3851-129
    E-Mail: dzinner@dpz.eu

    Prof. Christian Roos
    Tel.: +49 (0) 551 3851-300
    E-Mail: croos@dpz.eu


    Originalpublikation:

    Everson KM, Pozzi L., Barrett MA, Blair ME, Donohue ME, Kappeler PM, Kitchener AC, Lemmon AR, Lemmon EM, Pavón-Vázquez CJ, Radespiel U, Randrianambinina B, Rasoloarison RM, Rasoloharijaona S, Roos C, Salmona J, Yoder AD, Zenil-Ferguson R, Zinner D, Weisrock DW (2025): Multiple bursts of speciation in Madagascar’s endangered lemurs. Nature Communications 16: 7070. DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-62310-y


    Weitere Informationen:

    https://medien.dpz.eu/pinaccess/pinaccess.do?pinCode=v3K0X6J9F1M2 - Druckbare Bilder
    https://www.dpz.eu/im-dialog/news/artikel/lemuren-auf-madagaskar-vielfalt-durch-... - Pressemitteilung auf der DPZ-Homepage


    Bilder

    Ein nachtaktiver Rotschwanz-Wieselmaki (Lepilemur ruficaudatus) beobachtet das geschäftige Treiben des Tages.
    Ein nachtaktiver Rotschwanz-Wieselmaki (Lepilemur ruficaudatus) beobachtet das geschäftige Treiben d ...
    Quelle: Johanna Henke-von der Malsburg
    Copyright: Johanna Henke-von der Malsburg

    Ein Grauer Mausmaki (Microcebus murinus) am frühen Abend in Kirindy, Madagaskar.
    Ein Grauer Mausmaki (Microcebus murinus) am frühen Abend in Kirindy, Madagaskar.
    Quelle: Franziska Huebner
    Copyright: Franziska Huebner


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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