idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Ferroelektrika gelten als Hoffnungsträger für die Elektronik von morgen. Ein Experiment am weltweit größten Röntgenlaser, dem European XFEL in Schenefeld bei Hamburg, zeigt nun, dass sich ihre Eigenschaften gezielter beeinflussen lassen als bisher gedacht – und zwar mit Licht.
Ein internationales Forschungsteam um Le Phuong Hoang und Giuseppe Mercurio von European XFEL hat eine neue Möglichkeit entdeckt, die Eigenschaften ferroelektrischer Materialien extrem schnell und gezielt mit Licht zu steuern. Diese Entdeckung könnte den Weg zu schnelleren, energieeffizienteren Speichern und elektronischen Bauelementen ebnen.
Ferroelektrische Materialien sind spezielle kristalline Stoffe. In ihnen sind Atome positiver oder negativer Ladungen nicht exakt am selben Ort. Diese Asymmetrie erzeugt ein inneres elektrisches Feld – die sogenannte elektrische Polarisation. Ein äußeres elektrisches Feld kann diese umkehren, weswegen sie sich als Schalter eignen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass die Polarisation auch unabhängig von der sonst fest daran gekoppelten Gitterverformung des Materials funktioniert. Dies war bislang nur theoretisch vermutet worden, nie aber experimentell beobachtet. Ermöglich haben diesen Prozess ultrakurze Laserpulse mit hoher Energie; sie versetzen die Elektronen im Material in einen angeregten Zustand. Dadurch konnte das Forschungsteam die Polarisation ultraschnell ändern: in weniger als einer billionstel Sekunde.
Die Forschenden von der Experimentierstation SCS untersuchten dazu das Mischoxid Bariumtitanat BaTiO₃ aus der Gruppe der Titanate mit den extrem hellen und intensiven Röntgenblitzen des weltweit größten Röntgenlasers, des European XFEL in Schenefeld bei Hamburg. Mithilfe ihres Messverfahrens konnten sie zur selben Zeit die Veränderungen der Polarisation, der Gitterstruktur und der Elektronen im Material verfolgen – und zwar mit einer zeitlichen Auflösung von nur 90 Femtosekunden: das entspricht dem millionsten Teil einer milliardstel Sekunde.
Sie konnten feststellen, dass bereits 350 Femtosekunden nach der Anregung durch den Laser die Polarisation stark verändert war – ohne dass sich das Kristallgitter in dieser kurzen Zeit wesentlich bewegt hatte. „Die Steuerung der Polarisation erfolgte durch die angeregten Elektronen, nicht durch mechanische Spannungen“, sagt Le Phuong Hoang.
„Diese Entkopplung eröffnet neue Spielräume für das Design zukünftiger elektronischer Bauteile“, ergänzt Giuseppe Mercurio. „Bislang war man auf komplizierte Materialkombinationen angewiesen, um bestimmte Polarisationszustände zu erreichen. Künftig könnten gezielte Lichtimpulse reichen. Zudem könnten sich auf diese Weise auch magnetische Eigenschaften beeinflussen lassen – etwa in sogenannten Multiferroika, die sowohl elektrisch als auch magnetisch steuerbar sind“, prognostiziert Giuseppe Mercurio.
Die Studie zeigt einen grundsätzlich neuen Weg auf, wie sich Materialien nicht nur schneller steuern lassen, sondern auch mit unterschiedlichen Methoden. Die Forschenden sind überzeugt, dass das ein erster wichtiger Schritt ist hin zu lichtgesteuerter Elektronik – mit potenziell weitreichenden Anwendungen in Sensorik, Datenverarbeitung und energieeffizienter Informationsspeicherung.
Kontakt:
Bernd Ebeling
Tel 040 8998 6921
Email: bernd.ebeling@xfel.eu
Über European XFEL
European XFEL ist eine internationale Forschungsanlage der Superlative in der Metropolregion Hamburg: 27.000 Röntgenlaserblitze pro Sekunde und eine Leuchtstärke, die milliardenfach höher ist als die besten Röntgenstrahlungsquellen herkömmlicher Art, eröffnen neue Forschungsmöglichkeiten. Forschergruppen aus aller Welt können an dem europäischen Röntgenlaser atomare Details von Viren und Zellen entschlüsseln, dreidimensionale Aufnahmen im Nanokosmos machen, chemische Reaktionen filmen und Vorgänge wie die im Inneren von Planeten untersuchen. European XFEL ist eine gemeinnützige Forschungsorganisation, die eng mit dem Forschungszentrum DESY und weiteren internationalen Institutionen zusammenarbeitet. Sie beschäftigt mehr als 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im September 2017 hat die Anlage den Nutzerbetrieb aufgenommen. Derzeit beteiligen sich zwölf Länder: Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Russland, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Spanien, Ungarn und das vereinigte Königreich. Deutschland (Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein) trägt 58 Prozent der Kosten für die neue Einrichtung, Russland 27 Prozent. Die anderen Partnerländer sind mit ein bis drei Prozent beteiligt.
Hoang, L.P., Pesquera, D., Hinsley, G.N. et al. Ultrafast decoupling of polarization and strain in ferroelectric BaTiO3. Nat Commun 16, 7966 (2025).
https://doi.org/10.1038/s41467-025-63045-6
https://www.xfel.eu/aktuelles/news/index_ger.html?openDirectAnchor=2773&two_... Bilder
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Chemie, Elektrotechnik, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).