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Im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift Kaltenborn bei Allstedt finden derzeit archäologische Untersuchungen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt statt. Möglich ist die weitere Erforschung dieses authentischen Ortes des Bauernkriegs dank der Förderung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und das Land Sachsen-Anhalt im Rahmen des Gedenkjahrs ›Gerechtigkeyt. Thomas Müntzer & 500 Jahre Bauernkrieg‹. Unterstützt wird das Ausgrabungsteam daneben durch die Gemeinde Emseloh, die Stadt Allstedt sowie ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Forschungen widmen sich insbesondere den Wirtschaftsbereichen der ausgedehnten Klosteranlage.
Neue Ausgrabungen am wüsten Augustiner-Chorherrenstift Kaltenborn
Im Frühling 1525 wurde das Augustiner-Chorherrenstift Kaltenborn (Gemeinde Emseloh, Stadt Allstedt, Landkreis Mansfeld-Südharz), einst eines der wohlhabendsten Klöster im Umland des Harzes, im Zuge des Bauernkriegs geplündert und zerstört. Bereits in den vergangenen beiden Jahren widmeten sich archäologische Untersuchungen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt den überraschend gut erhaltenen Überresten der einstigen Klosterkirche und der anschließenden Klausur.
Auch im laufenden Jahr kann dank der Förderung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) sowie das Land Sachsen-Anhalt im Rahmen des Gedenkjahrs ›Gerechtigkeyt. Thomas Müntzer & 500 Jahre Bauernkrieg‹ die Forschungsgrabung im ehemaligen Kloster Kaltenborn fortgesetzt werden. Derzeit werden neben der Kirche und Klausur erstmals auch die Wirtschaftsbereiche der ausgedehnten Anlage näher untersucht. Unterstützung erhält das Ausgrabungsteam des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt unter Leitung von Prof. Dr. Felix Biermann dabei nicht nur durch deutsche und polnische Studierende, sondern auch durch 10 bis 15 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unter fachkundiger Anleitung Erfahrungen in der archäologischen Feldforschung gewinnen. Überdies beteiligen sich Schülerinnen und Schüler der Freien Schulen Riestedt mit großem Engagement an den Ausgrabungen. Logistische Unterstützung erhält das Projekt ferner durch die Gemeinde Emseloh und die Stadt Allstedt.
Reges Alltagsleben und Spuren der Gewalt: Ergebnisse der laufenden Untersuchungen
Geophysikalische Untersuchungen hatten bereits in den Vorjahren gezeigt, dass sich der Kirchen- und Klausurkomplex des heute von der Erdoberfläche verschwundenen Stifts innerhalb eines etwa rechteckigen, von einer Mauer umgebenen Wirtschaftshofs von 140 mal 200 Metern Ausdehnung befand, in dem sich diverse Baulichkeiten erhoben. Neben Ställen und Scheunen ist hier mit verschiedenen Werkstätten, aber auch einem Gästehaus, einer Schule, gegebenenfalls einem Hospital und weiteren Einrichtungen zu rechnen, die zum Betrieb und zur Verwaltung eines wirtschaftlich bedeutenden und reichen Klosters notwendig waren. Mit mehreren Grabungsschnitten werden diese Anlagen nun näher erforscht. So gelingt in herausragender Weise die Rekonstruktion eines mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Klosterbetriebs, der nicht nur religiöses, sondern auch ökonomisches und grundherrschaftliches Zentrum seiner Region war.
In geringer Tiefe unter der heutigen Ackeroberfläche haben sich mächtige Fundamente, Fußböden, Kultur- und Trümmerschichten sowie Keller der massiven Steingebäude des Wirtschaftshofs erhalten, die meist direkt an die Klostermauer anschlossen. Unter anderem kam ein großes, 30 Meter langes, dreischiffiges Gebäude mit sehr starken Mauern ans Tageslicht, das vermutlich als Zehntscheune für die Aufbewahrung der bäuerlichen Abgaben diente. Bei einem anderen Bauwerk könnte es sich um eine Schmiede gehandelt haben. Ein halbes Dutzend Lehmkuppelöfen künden von intensiver Buntmetallbearbeitung in der Frühzeit des 1118 gegründeten Klosters. Insbesondere ist die Basis einer Glockengussanlage mit dem charakteristischen, stark verziegelten Feuergang, mit Buntmetallschmelz und Formteilen erhalten, in der wohl eine Glocke für die benachbarte Stiftskirche gegossen wurde. Im Torhaus des Wirtschaftshofs kündete noch ein zentraler Pfeiler vom Gewölbe des Erdgeschosses. In einem anderen Bauwerk fanden sich drei teilweise reich verzierte Buntmetall-Schreibgriffel des 12. oder 13. Jahrhunderts, mit denen man auf Wachstafeln Notizen vornehmen konnte. Hier dürfte sich ein Teil der Verwaltung des Klosterguts, etwa eine Kanzlei, befunden haben. Ein Ofen mit Dörrpflaumen, die komplett verkohlt und daher über Jahrhunderte erhalten geblieben sind, zeugt von der Bereitung von Trockenobst wohl in der Zeit bald nach 1500. Besonderes Interesse verdienen daneben ein ausgezeichnet erhaltener steinerner Altarsockel mit Podest und Stufenanlage im Bereich des südlichen Seitenschiffs der Stiftskirche sowie ein menschliches Skelett, das sich in Seitenlage im ausgebrochenen Fundament der mutmaßlichen Zehntscheune befand. Die Frage, wann und warum der kopflose Tote an dieser ungewöhnlichen Stelle niedergelegt wurde, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantworten und wird Gegenstand weiterführender Untersuchungen sein.
Viele Münzen, landwirtschaftliches Gerät wie Beile, Hacken und eine Mistgabel, reich verzierte Beschläge von Gürteln und Messerscheiden, Spinnwirtel als Schwunggewichte von Spindelstäben, zerschlagenes Tongeschirr, Ofenkacheln, Fensterglas und Tierknochen, eine bemerkenswerte rosettenförmige Stuckdekoration aus dem 12. Jahrhundert sowie zahlreiche Buchbeschläge ermöglichen zusammen mit den reichen Bauresten eine facettenreiche Rekonstruktion des regen Alltagslebens, das sich über gut 420 Jahre an diesem Ort abgespielt hat. Mit dem Bauernkrieg und der Reformation fand all dies ein abruptes Ende.
Von den dramatischen Umbrüchen des Jahres 1525 künden starke Brandschichten in den Gebäuden des Wirtschaftshofs, namentlich auch in der mutmaßlichen Zehntscheune: Brennend heruntergebrochene Dachbalken und Dachziegel des ›Mönch-Nonne‹-Typs haben sich direkt unter dem Pflughorizont erhalten. Es ist allerdings zunächst nicht zu entscheiden, ob diese Zerstörungszeugnisse auf den schriftlich überlieferten Angriff der Riestedter und Emseloher Bauern am 30. April 1525 oder auf eine ebenfalls historisch dokumentierte Attacke eines Söldnertrupps knapp einen Monat früher zurückgeht. Dieser hatte am 4. April 1525 im Rahmen einer Fehde gegen den Landesherrn, Herzog Georg von Sachsen, 14 Ställe und zwei Scheunen Kaltenborns angezündet. Jedenfalls stammen die Zerstörungsrelikte unmittelbar aus jenem von Konflikt und Gewalt geprägten Frühjahr vor 500 Jahren.
Öffentliche Grabungsführungen vermitteln laufende Forschungen
Die archäologischen Ausgrabungen im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift Kaltenborn werden bis zum 12. September 2025 beendet. Am Freitag, den 5. September 2025, Samstag, den 6. September 2025, Montag, den 8. September 2025 und Mittwoch, den 10. September 2025, jeweils um 14.00 Uhr haben alle Interessierten noch die Möglichkeit, im Rahmen öffentlicher Grabungsführungen Einblicke in die laufenden Forschungen zu erhalten. Die Teilnahme ist kostenfrei und ohne Anmeldung möglich. Festes Schuhwerk und der Witterung angemessene Kleidung ist notwendig. Das Betreten des Grabungsgeländes erfolgt auf eigene Gefahr.
Dezentrale Landesausstellung und Vermittlung an authentischen Orten des Bauernkriegs
Vom 28. Juni bis zum 30. November 2025 bietet die Kabinettausstellung ›Klöster. Geplündert. In den Wirren der Bauernaufstände‹ den Besucherinnen und Besuchern des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale) Einblicke in laufende Forschungen, die das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt seit 2023 an drei authentischen Orten des Bauernkriegs im heutigen Sachsen-Anhalt durchführt: den einstigen Klöstern Himmelpforte bei Wernigerode (Landkreis Harz) und Kaltenborn im Landkreis Mansfeld-Südharz sowie der erst 2024 wiederentdeckten Mallerbacher Kapelle bei Allstedt (ebenfalls Mansfeld-Südharz). Die Schau ist Teil der dezentralen Landesausstellung ›Gerechtigkeyt 1525‹. Im Mittelpunkt stehen Funde und Befunde, die Aufschluss über die Geschichte und das Alltagsleben an diesen Stätten sowie zu den gewaltsamen Geschehnissen geben, die sich dort vor 500 Jahren ereigneten.
Die Kabinettausstellung wird von zwei korrespondierenden Ausstellungen im Harzmuseum Wernigerode und im Spengler-Museum Sangerhausen begleitet. Während die Präsentation ›Zwischen Himmel und Revolte. Kloster Himmelpforte und der Bauernkrieg‹ (14. März bis 10. August 2025) im Harzmuseum bereits beendet ist, ist die Schau ›zerstört. vergessen. ausgegraben. Das Kloster Kaltenborn bei Emseloh‹ im Spengler-Museum Sangerhausen noch bis zum 6. Januar 2026 zu sehen. Die beiden Korrespondenzausstellungen legen beziehungsweise legten ihren Fokus, unter anderem mit Hilfe ausgewählter Funde aus den Grabungen in den genannten Klöstern, jeweils auf die Stätten und Geschehnisse in der Region.
Von Ende Juli bis Mitte Oktober 2025 können dank der Förderung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und das Land Sachsen-Anhalt im Rahmen des Gedenkjahrs ›Gerechtigkeyt. Thomas Müntzer & 500 Jahre Bauernkrieg‹ und mit Unterstützung der Städte Wernigerode und Allstedt die Forschungsgrabungen in den ehemaligen Klöstern Himmelpforte und Kaltenborn sowie an der Mallerbacher Kapelle fortgesetzt werden. Nachdem sich die Untersuchungen bereits in den vergangenen Jahren in der Bevölkerung großen Interesses erfreuten und von zahlreichen Freiwilligen unterstützt wurden, ist auch in diesem Jahr an allen drei Orten die ehrenamtliche Mitarbeit an den Forschungsgrabungen möglich. Daneben können sich Interessierte im Rahmen von Grabungsführungen über die Geschichte, Blüte und den Niedergang der erforschten Orte sowie die neuesten Untersuchungsergebnisse informieren.
Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den archäologischen Spuren des Bauernkriegs und den diesbezüglichen Forschungen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt ermöglichen ferner eine Reihe von Dokumentarfilmen zu den Forschungsgrabungen, die in der Mediathek und auf dem YouTube-Kanal des Landesmuseums für Vorgeschichte abrufbar sind, sowie das Begleitheft zur Kabinettausstellung ›Klöster. Geplündert. In den Wirren der Bauernaufstände‹ (ISBN: 978-3-948618-97-1), das im Museumsshop des Landesmuseums für Vorgeschichte, über den Archäologischen Fachverlag Beier & Beran sowie im Buchhandel erhältlich ist.
Archäologische Ausgrabungen am Kloster Kaltenborn 2025, Vogelschau von Südosten.
Quelle: Robert Prust
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Robert Prust
In geringer Tiefe haben sich unter der Pflugschicht die Fundamente der vermutlichen Zehntscheune des ...
Quelle: Felix Biermann
Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Felix Biermann
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Geschichte / Archäologie
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Forschungsprojekte
Deutsch
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