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05.09.2025 17:48

Struktur von Clusterin entschlüsselt: Neue Einblicke in die Funktionsweise eines Risikofaktors für Alzheimer

Dr. Christiane Menzfeld Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Biochemie

    Träger von Clusterin-Risikoallelen haben ein erhöhtes Risiko, an spät einsetzender Alzheimer-Demenz (LOAD, engl.: Late-onset Alzheimer disease) zu erkranken. Um die Funktion des assoziierten Proteins besser zu verstehen, haben Forschende des MPIs für Biochemie die molekularen Grundlagen für die Chaperonfunktion von Clusterin entschlüsselt. Die Forschenden konnten erstmals die kristallographische dreidimensionale Struktur von menschlichem Clusterin ermitteln und entdeckten, dass zwei ungeordnete, hydrophobe Peptidfortsätze entscheidend für die verschiedenartigen Bindungs- und Schutzfunktionen von Clusterin sind.

    Struktur von Clusterin: Ein Schlüsselprotein gegen neurodegenerative Erkrankungen
    Ein Team um Patricia Yuste-Checa, Andreas Bracher und F.-Ulrich Hartl, Direktor und Leiter der Abteilung Zelluläre Biochemie, hat erstmals mithilfe der Röntgenkristallographie die dreidimensionale Kristallstruktur von menschlichem Clusterin aufgeklärt. Durch das Wissen, wie die Atome im Protein angeordnet sind, können Rückschlüsse auf die allgemeine Funktionsweise und als Chaperon gezogen werden.

    Die Studie zeigt, dass Clusterin aus drei unterschiedlichen Domänen aufgebaut ist. Besonders interessant sind dabei zwei ungeordnete, hydrophobe Peptidfortsätze, die dem Protein seine bemerkenswerte Vielseitigkeit verleihen. Patricia Yuste-Checa, Erstautorin der Studie erklärt: „Der Aufbau der Peptidfortsätze erinnert an Abschnitte von kleinen Hitzeschockproteinen. Das sind molekularer Chaperone, die im Zellinneren die Proteinverklumpung verhindern, während Clusterin im extrazellulären Raum arbeitet.“

    Proteine übernehmen in Zellen verschiedenste Funktionen und müssen hierfür exakt gefaltet sein. Fehlerhafte Faltung kann zur Bildung schädlicher Aggregate führen – typische Merkmale vieler neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson. Molekulare Chaperone wie Clusterin spielen eine zentrale Rolle bei der Verhinderung solcher Fehlfaltungen. Clusterin, auch Apolipoprotein-J genannt, ist seit den 1980er Jahren als ergiebig freigesetztes Glykoprotein bekannt. Bislang jedoch fehlte ein detailliertes Verständnis der molekularen Funktionsweise dieses vielseitigen Schutzproteins.

    Schutz vor Proteinaggregation
    „Clusterin ist im extrazellulären Raum aktiv: Es bindet an fehlgefaltete Proteine, darunter die für neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson typische Aggregationsprodukte von Amyloid-beta, Tau und α-Synuclein und verhindert ihre weitere Zusammenlagerung.“, so Patricia Yuste-Checa weiter. „In der Studie konnten wir zeigen, dass die hydrophoben, also wasserabweisenden, Peptidfortsätze von Clusterin für die Schutzfunktion essenziell sind. Nachdem wir die hydrophoben Aminosäuren in den Peptidfortsätzen biotechnologisch geändert oder entfernt hatten, haben wir die Chaperonaktivität, also die Schutzfunktion gegen Amyloid-beta Aggregation verloren.“ Auch die Bindung an Zelloberflächenrezeptoren und die Bildung von Lipoproteinkomplexen scheinen über die Peptidfortsätze vermittelt zu werden.

    Bedeutung für die Medizin
    Die neuen Einsichten in die Struktur und Funktion von Clusterin sind von medizinischer Relevanz. Andreas Bracher fasst zusammen: „Für Clusterin wurden zahlreiche Funktionen nachgewiesen, zunächst als Zellaggregationsfaktor, später als Apolipoprotein, Inhibitor des Komplementsystems, molekulares Chaperon und anti-apoptotischer Faktor. Es ist bekannt, das Clusterin extrazelluläre Amyloid-beta-Plaques bindet und dass der Clusterin-Spiegel im Liquor von Alzheimerpatienten erhöht ist. Die Entschlüsselung der Struktur und Mechanismus von Clusterin geben uns neue Einblicke in die extrazellulären Kontrollmechanismen der Proteinstabilität und werden hoffentlich für die klinische Erforschung und zukünftige Behandlung neurodegenerativer Krankheiten hilfreich sein.“

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    Glossar
    Allel: ist eine Variante eines Gens, die beispielsweise dafür sorgt, dass Menschen unterschiedliche Augen- oder Haarfarben haben. Allele können als verschiedene „Optionen” betrachtet werden, die bestimmen, wie sich ein bestimmtes Merkmal in einem Lebewesen zeigt.

    Apolipoprotein: ein Protein, dass mit Lipiden und Phospholipiden große Komplexe für den Lipidtransport bildet.

    Chaperone: franz. Anstandsdame; eine Familie von Proteinen, die neu hergestellten Proteinen bei ihrer Faltung helfen.

    Clusterin: auch Apolipoprotein J genannt, ist ein im Blut und Gehirn weit verbreitetes Glycoprotein, das als molekulares Chaperon und Transportprotein fungiert. Es hilft, geschädigte oder falsch gefaltete Proteine unschädlich zu machen. Es spielt bei Alzheimer, Krebs und Entzündungen eine wichtige Rolle.

    Glycoprotein: ein Protein, an das eine oder mehrere Zuckergruppen gebunden sind. Diese Zuckerbestandteile helfen dem Protein dabei, spezielle Aufgaben im Körper zu erfüllen, zum Beispiel als Bestandteil von Zelloberflächen, in der Immunität oder beim Erkennen von Krankheitserregern.

    Hydrophobe Peptidfortsätze: flexible, ungeordnete Abschnitte eines Proteins, die wasserabweisend sind und maßgeblich an der Bindungs- und Schutzfunktion von Clusterin beteiligt sind.

    LOAD: Spät beginnende Alzheimer-Demenz (englisch Late-onset Alzheimer disease) ist die häufigste Form von Demenz, bei der Symptome über einem Alter von 65 auftreten, in Unterscheidung zu früh einsetzender Alzheimer-Erkrankung, die durch Mutationen in der Maschinerie zur Biogenese von Amyloid beta verursacht wird.

    Peptid: ein Molekül, das aus mehreren Aminosäuren (AS) besteht. Diese sind über sogenannte Peptidbindungen miteinander verknüpft. Von Peptiden spricht man bei einer Aminosäurekette bis ungefähr 100 AS. Proteine sind gleich aufgebaut, haben aber längere Aminosäureketten (> 100 AS) und sind meist komplexer und in einer räumlichen Form gefaltet.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. F.-Ulrich Hartl
    Abteilung für Zelluläre Biochemie
    Max-Planck-Institut für Biochemie
    Am Klopferspitz 18
    82152 Martinsried/Planegg

    office-hartl@biochem.mpg.de
    https://www.biochem.mpg.de/de/hartl


    Originalpublikation:

    Originalpublikation:
    Patricia Yuste-Checa, Alonso I. Carvajal, Chenchen Mi, Sarah Paatz, F.-Ulrich Hartl & Andreas Bracher: Structural analyses define the molecular basis of clusterin chaperone function, Nature Structural & Molecular Biology, August 2025
    DOI: 10.1038/s41594-025-01631-4
    https://www.nature.com/articles/s41594-025-01631-4


    Weitere Informationen:

    https://www.biochem.mpg.de/struktur-von-clusterin-entschluesselt - Pressemitteilung auf der Institutswebseite des MPIs für Biochemie


    Bilder

    Das Clusterinprotein ist als sogenanntes Bändermodell dargestellt. Die flexiblen Peptidketten haben eine wichtige Schutzfunktion, die in dieser Veröffentlichung erstmals gezeigt werden konnte.
    Das Clusterinprotein ist als sogenanntes Bändermodell dargestellt. Die flexiblen Peptidketten haben ...
    Quelle: Illustration: Andreas Bracher
    Copyright: MPI für Biochemie


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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