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16.09.2025 14:59

Sanktioniert die wissenschaftliche Gemeinschaft sexuelles Fehlverhalten?

Dr. Myriam Rion Pressestelle
Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb

    Die Wissenschaft strebt danach, verlässliches Wissen zu produzieren, unser Verständnis der Welt zu erweitern und den Fortschritt voranzutreiben. Dieses Streben hängt nicht nur von individueller Exzellenz, sondern auch von Zusammenarbeit, Austausch und Unterstützung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft ab. Während die Veröffentlichung fehlerhafter oder betrügerischer Forschung oft zu Reputationsschäden führt, war bisher unklar, ob auch Fehlverhalten, das nicht die Forschungsintegrität betrifft, aber der Gemeinschaft schadet, ähnliche Folgen hat. Eine Studie liefert nun wichtige Erkenntnisse für den Umgang mit sexuellem Fehlverhalten und die Stärkung von Normen in der Wissenschaft.

    Die in "The Review of Economics and Statistics" erschienene Studie von Rainer Widmann, Michael E. Rose und Marina Chugunova ist der Frage nachgegangen, ob die wissenschaftliche Gemeinschaft nicht nur „schlechte Wissenschaft“, sondern auch „schlechtes Sozialverhalten“ sanktioniert. Die Forschenden haben sich dabei auf sexuelles Fehlverhalten konzentriert, das in der Wissenschaft ebenso vorkommt wie in anderen Bereichen. Die vorgestellte Untersuchung ist die erste, die systematische und kausale Erkenntnisse über die Folgen sexuellen Fehlverhaltens für die Täter liefert.

    DATEN UND FORSCHUNGSANSATZ

    Dazu erstellten die Forschenden einen Datensatz von 210 Wissenschaftler*innen aus allen Disziplinen an forschungsintensiven Universitäten in den USA, gegen die zwischen 1998 und 2019 Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens öffentlich wurden. In ihrer Analyse verfolgen sie die Zitierungen von wissenschaftlichen Artikeln mutmaßlicher Täter, die vor Anschuldigungen sexuellen Fehlverhaltens veröffentlicht wurden, und vergleichen sie mit den Zitierungen anderer Artikel aus derselben Zeitschriftenausgabe. Um die Folgen der Vorwürfe für die Beschuldigten zu untersuchen, wurden diese mit einer Gruppe von Forschenden verglichen, die ihnen in Bezug auf verschiedene Beobachtungsmerkmale ähnlich waren.

    ERGEBNISSE DER STUDIE

    Das Forschungsteam stellte fest, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft frühere Arbeiten mutmaßlicher Täter nach dem Bekanntwerden der Anschuldigungen seltener zitiert. Netzwerke spielen eine Rolle bei der Verbreitung der Information über das Fehlverhalten und beeinflussen die Reaktion anderer Forschender: Forschende, die dem Täter im Rahmen eines Koautor*innen-Netzwerks sehr nahestehen (wie ehemalige Koautor*innen), reagieren am stärksten und reduzieren ihre Zitierungen am deutlichsten. Der Effekt ist bei engen männlichen Peers besonders ausgeprägt. In stärker männlich dominierten Disziplinen fällt der Effekt hingegen schwächer aus, was darauf hindeutet, dass die Fachkultur die Reaktionen auf Fehlverhalten prägt.

    Vergleicht man die Ergebnisse der neuen Studie mit Zitationsstrafen für wissenschaftliches Fehlverhalten, zeigen sich ähnliche Größenordnungen. Darüber hinaus dokumentiert die Studie, dass mutmaßliche Täter mit erheblichen Konsequenzen für ihre Karriere zu rechnen haben: Sie veröffentlichen weniger, kooperieren weniger mit anderen und verlassen die akademische Forschung mit größerer Wahrscheinlichkeit.

    SCHLUSSFOLGERUNGEN UND GESELLSCHAFTLICHE BEDEUTUNG

    Die Ergebnisse machen deutlich, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft auf sexuelles Fehlverhalten reagiert und dieses nicht folgenlos bleibt – auch wenn es nicht unmittelbar die Qualität der Forschung betrifft. Damit liefert die Studie wichtige Impulse für die Diskussion über den Umgang mit Fehlverhalten und die Stärkung professioneller Normen in der Wissenschaft. Die Ergebnisse sind besonders wichtig, da die moderne Forschung zunehmend auf Zusammenarbeit und soziale Interaktion ausgerichtet ist. Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse für Fachorganisationen, die wissenschaftliche und soziale Normen stärken möchten.

    Autor*innen der Studie sind:
    Dr. Rainer Widmann, Data Scientist
    Michael E. Rose, Ph.D., Senior Research Fellow
    Dr. Marina Chugunova, Senior Research Fellow

    ÜBER DAS MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR INNOVATION UND WETTBEWERB

    Das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb betreibt juristische und ökonomische Grundlagenforschung zu Innovations- und Wettbewerbsprozessen und ihrer Regulierung. Im Mittelpunkt der Forschung stehen Anreize und Determinanten für Innovation sowie deren Implikationen. Mit einem herausragenden internationalen Forschungsteam und einer exzellenten wissenschaftlichen und administrativen Infrastruktur, einschließlich der renommierten Bibliothek, ist das Institut Anlaufstelle für Akademikerinnen und Akademiker aus aller Welt und fördert aktiv den wissenschaftlichen Nachwuchs. Durch das Engagement in der wissenschaftlichen Ausbildung unterstützt das Institut Forschende am Beginn ihrer wissenschaftlichen Laufbahn und fördert den Wissensaustausch in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Institutionen. Es informiert und berät im juristischen und ökonomischen Diskurs auf unparteiischer Grundlage. Als unabhängige Forschungseinrichtung stellt das Institut evidenzbasierte Forschungsergebnisse für Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit zur Verfügung.

    Zum Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb: https://www.ip.mpg.de/de/


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Marina Chugunova
    Senior Research Fellow
    https://www.ip.mpg.de/de/personen/chugunova-marina.html


    Originalpublikation:

    Widmann, Rainer, Rose, Michael E., Chugunova, Marina (2025). Sexual Misconduct, Accused Scientists, and Their Research, The Review of Economics and Statistics, https://doi.org/10.1162/REST.a.1613


    Bilder

    Sexuelles Fehlverhalten in der Wissenschaft
    Sexuelles Fehlverhalten in der Wissenschaft

    Copyright: Symbolbild: KI-generiert.


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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