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Wissenschaft
Der Wachstumsfaktor Erythropoietin (EPO), bekannt aus der Blutbildung, hat auch wichtige Effekte im Gehirn – insbesondere auf sogenannte Oligodendrozyten. Diese Zellen sind zuständig für die Bildung von Myelin, der „Isolierung“ der Nervenfasern, die eine schnelle Signalübertragung ermöglicht. Die Ergebnisse der Forschenden des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen und des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim deuten darauf hin, dass EPO nicht nur zur Blutbildung nützlich ist, sondern auch eine Schlüsselrolle für Lern- und Denkprozesse spielt. Die Erkenntnisse bieten neue Perspektiven für mögliche Therapien.
Im Gehirn ist nicht nur wichtig, dass Nervenzellen Signale senden, sondern auch wie schnell sie das können. Damit Informationen reibungslos fließen, ist eine Art biologische Isolierung notwendig. Dafür bildet das Gehirn spezialisierte Zellen aus, sogenannte Oligodendrozyten. Sie umhüllen die langen Fortsätze von Nervenzellen, die Axone, mit einer schützenden Myelinschicht. Ähnlich wie die Isolierung von Stromkabeln sorgt diese Schicht dafür, dass elektrische Signale effizient und schnell übertragen werden. Ohne die Hilfe der Oligodendrozyten wäre das Gehirn langsamer, anfälliger für Störungen und viele komplexe Funktionen des Denkens, Fühlens und Bewegens wären kaum möglich.
Einfluss von EPO auf Entwicklung und Reifung der Oligodendrozyten
Einen bislang unbekannten Einflussfaktor auf diese spezialisierten Zellen haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen und des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim entdeckt. Ein Team unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Hannelore Ehrenreich und Prof. Dr. Klaus-Armin Nave konnte anhand von Versuchen an Mäusen zeigen, dass der Wachstumsfaktor Erythropoietin (EPO), bekannt aus der Blutbildung, die Entwicklung und Reifung der Oligodendrozyten fördert – von unreifen Vorläuferzellen bis hin zu vollständig ausgereiften myelinbildenden Zellen. Besonders spannend: Auch körpereigenes EPO, das bei geistiger oder körperlicher Anstrengung im Gehirn gebildet wird, zeigt ähnliche Effekte. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden nun in Nature Communications veröffentlicht.
„Wir konnten nachweisen, dass EPO die Entwicklung von Oligodendrozyten anregt und somit die Bildung der schützenden Myelinschichten um Nervenzellen unterstützt. Interessanterweise wirkt EPO dabei nicht nur als Medikament von außen, sondern wird auch vom Körper selbst gebildet, etwa durch körperliche oder geistige Aktivität“, sagt Prof. Dr. Dr. Hannelore Ehrenreich, Leiterin der Arbeitsgruppe Experimentelle Medizin am ZI und Letztautorin der Studie. „Dies bestätigt unsere These, dass Bewegung und kognitive Aktivität über das EPO-System direkt die Struktur des Gehirns verbessern können“, ergänzt Prof. Dr. Klaus-Armin Nave, Direktor am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften.
EPO aktiviert oder unterdrückt zahlreiche Gene
Durch spezifische Analysen einzelner Zellkerne (single-nuclei RNA-Sequenzierung) fanden die Wissenschaftler zahlreiche Gene, die durch EPO aktiviert oder unterdrückt werden – viele davon hängen mit Zellreifung, Signalübertragung und kognitiven Fähigkeiten zusammen. Zudem zeigten Mäuse, denen ein bestimmter EPO-Rezeptor in reifen Oligodendrozyten fehlte, leichte Störungen in der Myelinstruktur des Hippocampus – ein Bereich, der für das Lernen und Gedächtnis wichtig ist. Diese Tiere schnitten auch schlechter in anspruchsvollen Gedächtnistests ab.
Neue Therapieansätze denkbar
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass EPO nicht nur zur Blutbildung nützlich ist, was ihm seinen Namen eingebracht hat, sondern auch eine Schlüsselrolle für Lern- und Denkprozesse spielt. Da EPO bereits als Medikament zugelassen ist und im Körper natürlich gebildet werden kann, ergeben sich neue Therapie-Perspektiven. „EPO könnte künftig helfen, kognitive Störungen oder neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer zu behandeln – sei es als Medikament oder durch gezielte Aktivierung des körpereigenen EPO-Systems, zum Beispiel durch motor-kognitives Training“, sagt Prof. Ehrenreich.
Über das ZI
Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) steht für international herausragende Forschung und wegweisende Behandlungskonzepte in Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Suchtmedizin. Die Kliniken des ZI gewährleisten die psychiatrische Versorgung der Mannheimer Bevölkerung. Psychisch kranke Menschen aller Altersstufen können am ZI auf fortschrittlichste, auf internationalem Wissensstand basierende Behandlungen vertrauen. Über psychische Erkrankungen aufzuklären, Verständnis für Betroffene zu schaffen und die Prävention zu stärken ist ein weiterer wichtiger Teil unserer Arbeit. In der psychiatrischen Forschung zählt das ZI zu den führenden Einrichtungen Europas und ist ein Standort des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (dzpg.org). Das ZI ist institutionell mit der Universität Heidelberg über gemeinsam berufene Professorinnen und Professoren der Medizinischen Fakultät Mannheim verbunden und Mitglied der Health + Life Science Alliance Heidelberg Mannheim (health-life-sciences.de).
Prof. Dr. Dr. Hannelore Ehrenreich hannelore.ehrenreich@zi-mannheim.de
Ye L, Daguano Gastaldi V, Curto Y, Wildenburg A-F, Yu X, et al.: Transcriptional dynamics of the oligodendrocyte lineage and its regulation by the brain erythropoietin system. Nature Communications, 2025. DOI: 10.1038/s41467-025-62791-x
https://doi.org/10.1038/s41467-025-62791-x
Reifer, myelinbildender Oligodendrozyt aus dem Cingulate Cortex einer 5 Monate alten, männlichen Mau ...
Quelle: KA Nave
Copyright: KA Nave
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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