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Wissenschaft
Die Temperatur tektonischer Platten beeinflusst ihre Dynamik bei der Subduktion und den damit verbundenen Transport von Wasser in tiefe Erdschichten. Die abgetauchten Platten sind 200 K heißer als bislang angenommen. Forschende zeigen erstmals: Das darin dominierende Mineral Olivin ist unter den dortigen extremen Drücken und Temperaturen transparent für Wärmestrahlung, die 40% zum Wärmetransport im Material beiträgt. Einzigartige Labormessungen konnten die extremen Bedingungen des Erdinneren reproduzieren und die Transparenz mit einem Trick bestimmen. Eine Konsequenz: Wasserhaltige Mineralien können nur in alten, kalten oder schnell abtauchenden Platten Tiefen bis ~600 km erreichen.
Zusammenfassung
Die Temperatur der tektonischen Platten hat wesentlichen Einfluss auf ihre Dynamik bei der Subduktion, also dem Abtauchen in das Erdinnere, sowie auf den damit verbundenen Transport von Wasser in tiefe Gesteinsschichten. Das Vorhandensein von Wasser in den Gesteinen hat wiederum Auswirkungen auf ihre Festigkeit und damit die Entstehung von Erdbeben. Bisherige Modelle können die Plattentemperatur jedoch nur sehr grob vorhersagen. Insbesondere vernachlässigen sie den Beitrag, den der Wärmetransport durch Infrarotstrahlung hierzu leistet. Den zu bestimmen gelang nun erstmals einem Forschungsteam um Dr. Enrico Marzotto und Dr. Sergey Lobanov vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung und der Universität Potsdam. Mit einer einzigartigen Versuchsanordnung konnten sie nachweisen, dass Olivin, das dominierende Mineral des oberen Erdmantels (Anteil von etwa 60 Prozent) und der subduzierenden Platten (Anteil von etwa 80 Prozent), selbst unter den extremen Druck- und Temperatur-Bedingungen im Erdinneren für Infrarot-Thermalstrahlung transparent ist. Infolgedessen macht Strahlung bis zu 40 Prozent des gesamten Wärmetransports im Olivin des Mantels aus. Dies ist von Bedeutung: Die Modellierung der Forschenden zeigte, dass thermisches Infrarotlicht die subduzierenden Platten zusätzlich um 100 bis 200 Grad Kelvin erwärmt. Sie kommen zu dem Schluss, dass wasserhaltige Mineralien nur in zwei Szenarien die tiefe Mantelübergangszone (~410–660 km) erreichen können: entweder als Teil alter Platten (älter als 60 Millionen Jahre) – da diese anfangs relativ kalt sind. Oder bei hohen Subduktionsraten von mehr als 10 Zentimeter pro Jahr – wenn sie nicht genug Zeit im oberen Mantel verbringen, um sich für ein Freisetzen von Wasser ausreichend zu erwärmen. Die Studie ist im Fachmagazin Nature Communications erschienen.
Hintergrund: Die Rolle von Temperatur und Wasser für die dynamischen Prozesse bei der Subduktion
Die Gesteine der ozeanischen Lithosphäre werden durch Meerwasser verändert, das entweder in den Poren der Gesteine eingeschlossen oder chemisch an Mineralien gebunden ist. Die wichtigsten wasserhaltigen Mineralien in der ozeanischen Lithosphäre sind Serpentine, die durch chemische Reaktionen zwischen Wasser und magnesiumreichen Mineralien wie Olivin und Enstatit entstehen. Serpentinite werden während der Subduktion der ozeanischen Lithosphäre in den Erdmantel gezogen, erhitzen sich und setzen Wasser frei, wenn sie kritische (Dehydratisierungs-) Temperaturen erreichen. Numerische Modellierungen der aktuellen Studie legen nahe, dass rund zwei Drittel des Wassers vor Erreichen einer Tiefe von 230 Kilometern freigesetzt werden.
Die Freisetzung von Wasser in der Tiefe ist für die Plattentektonik von großer Bedeutung, da freies Wasser die Schmelztemperatur von Gesteinen senkt und so in der Nähe von Subduktionszonen, wie sie beispielsweise in den Anden und in Japan zu finden sind, Magma und Vulkanismus erzeugt. Außerdem führt es dazu, dass Gesteine spröde werden, da das Vorhandensein von Wasser in den Poren die mechanische Festigkeit des Materials verringert. In den kalten inneren Bereichen der Platten führt dies zu Erdbeben, während die Gesteine in den wärmeren Außenbereichen der Platte aufgeweicht werden und eine viskose Verformung ohne Bruch und ohne Erdbebenbildung durchlaufen. Die Schwächung durch Wasser in den kalten und spröden Innenbereichen der Platte könnte das Auftreten von Erdbeben jenseits der theoretischen Grenze des spröden Bruchs, d. h. in Tiefen von mehr als 70 Kilometern, erklären.
An Mineralien gebundenes Wasser kann jedoch in der Platte überleben, sofern dort einige Regionen ausreichend kalt bleiben, um die Bildung von wasserhaltigen Hochdruckphasen zu ermöglichen. So kann Wasser auch in tiefe Regionen des Erdmantels wie die Mantelübergangszone in 410 bis 660 Kilometern Tiefe oder sogar in den noch tieferen unteren Mantel transportiert werden. Das führt beispielsweise dazu, dass sich in der Mantelübergangszone das größte Wasserreservoir unseres Planeten befindet, in dem bis zu drei Mal mehr Wasser gespeichert ist als in den Ozeanen.
Modellierung der thermischen Entwicklung tektonischer Platten
Die Modellierung der thermischen Entwicklung der tektonischen Platten liefert eine Grundlage für Abschätzungen der Tiefe der Wasserfreisetzung und ist damit von entscheidender Bedeutung für das Verständnis sowohl des Wasserkreislaufs in der tiefen Erde als auch der Plattentektonik.
Wesentliche Grundlage für diese Modellierung ist die Kenntnis der Wärmeleitfähigkeit des Materials. Sie setzt sich aus zwei Anteilen zusammen – einer Gitterkomponente und einer für die Strahlungswärme. Dieser letztere Beitrag wurde bisher nicht berücksichtigt, da man davon ausging, dass eisenhaltige Silikatmineralien wie Olivin unter den hohen Druck- und Temperaturbedingungen des oberen Mantels intransparent für Wärmestrahlung sind. Diese Annahme beruht jedoch auf Untersuchungen, die weder den relevanten Druck- und Temperatur- noch den entscheidenden infraroten Spektralbereich experimentell ausreichend genau realisieren konnten.
Einzigartige Experimente ermöglichen Zugang zum optischen Absorptionskoeffizienten von Olivin
Jetzt haben Forschende um Dr. Enrico Marzotto und Dr. Sergey Lobanov vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung und der Uni Potsdam die Transparenz des Mantel-Materials Olivin erstmals experimentell unter den im Erdmantel herrschenden extremen Druck- und Temperaturbedingungen untersuchen können.
„Das ist eine große Herausforderung, denn stellen Sie sich vor, Sie wollen die Farbe eines Objekts messen, das mehrere tausend Grad heiß ist. Weil das heiße Objekt thermisches Licht im infraroten und sichtbaren Spektralbereich aussendet, sehen Sie nur das thermische Licht und nicht die eigentliche Farbe des Objekts. Außerdem müssen diese Messungen an einer winzigen Probe von nur rund 0,1 Millimeter Durchmesser durchgeführt werden, weil das die Hochdruckinstrumente erfordern“, erklärt Lobanov.
In seinem weltweit einzigartigen Labor ermöglicht eine spezielle Kombination von Geräten die Messung der Transparenz des Materials auch bei sehr hohen Drücken und Temperaturen: In einer Diamant-Ambosszelle kann die winzige, nur 0,1 Millimeter kleine Probe einem enormen Druck ausgesetzt und dabei mit einem kontinuierlich strahlenden Laser erhitzt werden. Gleichzeitig sendet ein weiterer, extrem heller Weißlichtlaser tausende nur wenige Nanosekunden kurze Lichtpulse durch die heiße Probe, die von einem entsprechend getakteten spektroskopischen Detektor aufgezeichnet werden. Das aufgezeichnete Signal enthält Informationen über die Transparenz der Probe. Die präzise Synchronisation zwischen den Weißlichtlaserimpulsen und dem Detektor minimiert die Belastung des Detektors durch thermisches Licht.
Am GFZ waren an dieser Arbeit auch Dr. Sergio Speziale aus der Sektion 4.2 „Geomechanik und Wissenschaftliches Bohren“, Prof. Dr. Monika Koch-Müller (Gast in der Sektion 4.2), Dr. Alexander Koptev aus der Sektion 4.1 „Dynamik der Litoshpäre“ und Dr. Nada Abdel-Hak (jetzt an der Universität Kairo, Ägypten) beteiligt.
Ergebnis: Olivin ist unter Mantel-Bedingungen durchlässig für Infrarotstrahlung
„Die Ergebnisse unserer Arbeit zeigen, dass Olivin unter den Druck- und Temperaturbedingungen des oberen Erdmantels infrarotdurchlässig bleibt und dass der Strahlungswärmetransport eine bedeutende Rolle im Mantel spielen kann“, resümiert Lobanov.
Die Forschenden haben eine neue Formel zur Berechnung der Temperatur-abhängigen Strahlungswärmeleitfähigkeit von Olivin abgeleitet. Mit einem 2D-Modell für die Wärmeentwicklung der tektonischen Platten, das von Enrico Marzotto entwickelt wurde, konnten sie zeigen, dass die subduzierenden Platten bei Modellen, die Strahlungswärmetransport berücksichtigen, im Durchschnitt 100 bis 200 Kelvin heißer sind als bei Modellen, die die Strahlungserwärmung ignorieren.
Konsequenz: Nur alte oder schnelle Platten können Wasser in die Tiefe transportieren
Eine der Konsequenzen ist, dass nur Platten, die anfangs kalt – also bereits sehr alt, über 60 Millionen Jahre alt – sind, oder die mit mehr als zehn Zentimetern pro Jahr vergleichsweise schnell abtauchen, Wasser in die Mantelübergangszone transportieren können.
„Außerdem zeigen unsere Modellierungen, dass die verstärkte Erhitzung der Platten schon in geringeren Tiefen den Abbau wasserhaltiger Mineralien begünstigt. Dies könnte möglicherweise Erdbeben in der Platte unterhalb einer Tiefe von 70 Kilometern erklären“, ergänzt Enrico Marzotto, der jetzt am Institut für Geowissenschaften der Universität Potsdam forscht.
Ausblick
Künftig wollen die Forschenden um Sergey Lobanov auch die Transparenz anderer relevanter Mineralien im Erdmantel messen. Ein Fokus dabei: die Auswirkungen von Verunreinigungen (z. B. Wasser) auf den Lichtabsorptionsmechanismus. Darüber hinaus implementieren sie derzeit die neue Wärmeleitfähigkeitsformulierung (einschließlich des Strahlungsbeitrags) in einen komplexeren geodynamischen Code namens ASPECT, der am GFZ von einer breiten geophysikalischen Fachgemeinschaft verwendet wird. Ziel ist es, mineralphysikalische Experimente mit geodynamischen Modellen zu verknüpfen und andere Konstellationen wie den Wärmefluss in der Lithosphäre und in Mantelplumes zu untersuchen.
Dr. Sergey Lobanov
GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung
sergey.lobanov@gfz.de
+49 (0)331 6264 28607
Marzotto, E., Koptev, A., Speziale, S., Koch-Müller, M., Abdel-Hak, N., Cichy, S.B., Lobanov, S.S., Olivine’s high radiative conductivity increases slab temperature by up to 200K. Nat Commun 16, 6058 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-61148-8
Illustration einer subduzierenden tektonischen Platte, die in den oberen Erdmantel eintaucht und was ...
Quelle: Enrico Marzotto, Uni Potsdam
Copyright: Enrico Marzotto, Uni Potsdam, GFZ
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Geowissenschaften, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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