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Bei der Bindung von Modell-Zellmembranen an Biomaterialien ist nicht die Bindungsstärke, sondern die Geschwindigkeit der Rezeptoren in den Membranen entscheidend. Das fand ein internationales Forschungsteam um die Chemikerin Prof. Dr. Shikha Dhiman von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz heraus.
Viele Hoffnungen ruhten auf dem sogenannten Tissue Engineering: Mithilfe von Stammzellen sollten Haut und andere Organe gezüchtet werden können und dadurch eine bessere Wundheilung und bessere Transplantationen ermöglicht werden. Zwar ist einiges davon bereits Realität, dennoch konnte das vor rund 20 Jahren erwartete Level bisher nicht erreicht werden, denn die Stammzellen binden nicht immer so an das erforderliche Wirtsmaterial, wie sie es theoretisch tun sollten. Ein internationales Forschungsteam um die Chemikerin Prof. Dr. Shikha Dhiman von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) fand nun den Grund dafür: „Ob eine Wechselwirkung von Modell-Zellmembranen und Matrix-Material zustande kommt, liegt nicht nur an der Stärke der Wechselwirkung, sondern auch an den Geschwindigkeiten, mit der sich die Bindungspartner-Moleküle bewegen. Das Verständnis dieser Interaktion, das wir nun gewinnen konnten, ist entscheidend für die Entwicklung wirksamer Biomaterialien“, sagt Dhiman. Die Ergebnisse des Teams sind vor kurzem im renommierten Wissenschaftsjournal PNAS veröffentlicht worden.
Um biologisches Gewebe im Labor künstlich zu züchten, geben Biotechnologinnen und -technologen üblicherweise Stammzellen auf Matrix-Materialien, meistens Gele: Diese geben den Zellen vor, wie sie sich verhalten und entwickeln sollen. Damit das gelingt, müssen die Zellen jedoch an die Matrix-Materialien binden. Lange Zeit wurde angenommen, dass es reichen würde, Moleküle in das Gel zu geben, die stark genug an die Rezeptoren in den Zellen binden – man spricht bei solchen Molekülen von Liganden. Doch das erwies sich als Trugschluss. Theoretisch sollte das zwar funktionieren, aber in der Praxis tat es das häufig nicht. Während die meisten Forschenden zur Lösung dieses Problems bei der Optimierung des Matrix-Materials ansetzen, hat Dhiman nun unter anderem mit Prof. Dr. Bert Meijer von der Eindhoven University of Technology den ersten Punkt der Interaktion untersucht: die Bindung zwischen einzelnen Gelfasern der Matrix und Modellzellmembranen. „Bisher wurde stets auf die Stärke der Wechselwirkung zwischen Liganden und Rezeptoren geschaut. Doch wir fanden heraus: Ob die Modell-Zellmembran an der Faser binden kann, hängt vor allem davon ab, mit welcher Geschwindigkeit sich die bindenden Partner-Moleküle in der Modell-Zellmembran beziehungsweise in der Faser bewegen“, sagt Dhiman. Ist die Geschwindigkeit der Liganden in der Faser und der Rezeptoren in der Modell-Zellmembran ähnlich, können sie sich finden und aneinanderkoppeln. „Selbst die schwächste Bindung kann zu einer Interaktion zwischen den Molekülen führen, wenn ihre Geschwindigkeit ähnlich ist“, sagt Dhiman. „Bewegt sich jedoch einer der Bindungspartner schnell und einer langsam bis gar nicht, wird keine Bindung von Zellen an das Gel stattfinden. Obwohl es sich hierbei um Grundlagenforschung handelt, liefert sie nun ein klareres Bild davon, wie diese Wechselwirkungen auf molekularer Ebene funktionieren.“
Bei ähnlichen Geschwindigkeiten kommt es zu Versammlungen der Bindungspartner
Für ihre Untersuchungen nutzten die Forschenden superhochauflösende Mikroskopie, die es erlaubt, einzelne Rezeptoren und Liganden abzubilden. Wie verhalten sich die einzelnen Moleküle? Um diese Frage beantworten und die Bewegungen der Moleküle im Mikroskop verfolgen zu können, arbeiteten Dhiman und Co. mit Einzelfasern statt sehr dünnen Gelfasern. „Diese Reduzierung auf einzelne Fasern war wichtig, um die Wechselwirkungen klar zu verstehen“, sagt Dhiman. „Bewegen sich die Moleküle in der Modell-Zellmembran und in der Faser mit ähnlicher Geschwindigkeit, neigen sie dazu, sich zu gruppieren. Die Bindungspartner versammeln sich also auf beiden Seiten am Kontaktpunkt zwischen der Faser und der Modell-Zellmembran – statt einzelner Verbindungen ist es dann üblicherweise eine ganze Gruppe von Rezeptoren und Liganden, die für die Bindung sorgt. Selbst geringe Bindungsstärken reichen dann aus.“
Die Ergebnisse könnten für das Tissue Engineering, aber auch für andere medizinische Anwendungsbereiche wie Immuntherapien oder das sogenannte Drug Delivery bahnbrechend sein. Beim Drug Delivery wird der Wirkstoff direkt an den Ort gebracht, an dem er wirken soll, um die therapeutische Wirkung zu maximieren und Nebenwirkungen zu minimieren. „Langfristig könnte dieses Wissen zu Durchbrüchen in der Gewebereparatur und der regenerativen Medizin führen sowie zu fortschrittlichen medizinischen Implantaten, die sich im Einklang mit den körperlichen Zellen befinden“, sagt Dhiman.
Prof. Dr. Shikha Dhiman
Department Chemie
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel.: 06131 39-30517
Email: shikha.dhiman@uni-mainz.de
https://www.dhimanlab.com/
S. Dhiman et al., Reciprocity in dynamics of supramolecular biosystems for the clustering of ligands and receptors, PNAS, 8. September 2025,
DOI: 10.1073/pnas.2500686122,
https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2500686122
https://presse.uni-mainz.de/modellsystem-fuer-entwicklung-von-wirkstoffkandidate... – Pressemitteilung „Modellsystem für Entwicklung von Wirkstoffkandidaten für kondensatverändernde Therapeutika geschaffen“ (13.11.2024)
Prof. Dr. Shikha Dhiman vom Department Chemie der JGU
Copyright: Foto/©: Ankit Sakhuja
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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