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Wissenschaft
Gerste zählt zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit und wird seit mehr als 10.000 Jahren kultiviert. Lange Zeit wurde vermutet, dass sie an einem einzigen Ort domestiziert wurde. Eine neue Studie eines internationalen Teams unter Führung des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) zeigt, dass die heutige Gerste aus verschiedenen Wildpopulationen im sogenannten Fruchtbaren Halbmond hervorgegangen ist. Sie besitzt also eine Art „Mosaik-Abstammung“. Die Ergebnisse der Studie wurden heute in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.
Die Forschungsgruppe hat die Evolution und Domestizierung der Gerste (Hordeum vulgare) umfassend untersucht. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit standen sogenannte Haplotypen, das sind Abschnitte des Erbguts, die über Generationen hinweg gemeinsam vererbt werden und wie „genetische Bausteine“ des Genoms funktionieren. Um die Geschichte der Gerste zu entschlüsseln, analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur die Erbinformationen von 682 Gersten-Akzessionen aus der Genbank des IPK, sondern auch von 23 archäologischen Gerstenfunden. Darunter auch uralte DNA aus verkohlten Körnern, die bis zu 6.000 Jahre alt sind.
Konkret untersuchte die Gruppe 380 Proben von Wildgerste aus verschiedenen Regionen West- und Zentralasiens. Diese Daten kombinierten sie mit den Ergebnissen der Analyse von 302 Proben domestizierter Gerste. Ziel war es, herauszufinden, wann und wo die jeweiligen genetischen Bausteine in das Erbgut der Gerste gelangt sind.
„Wir konnten zeigen, dass Gerste nicht, wie oft angenommen, einen einzigen Ursprungsort hat. Stattdessen ist ihr Erbgut ein faszinierendes Mosaik, das sich aus allen fünf verschiedenen wilden Gerstenpopulationen zusammensetzt, die wir im Fruchtbaren Halbmond und den angrenzenden Regionen untersucht haben“, erläutert Yu Guo, Erstautor der Studie. Der Fruchtbare Halbmond erstreckt sich in einem Bogen vom Irak über die heutige Türkei bis nach Israel und gilt als Wiege von Ackerbau und Viehzucht. Die Kultivierung von Gerste im Fruchtbaren Halbmond begann weit vor dem Beginn der Sesshaftigkeit der Menschen vor rund 10.000 Jahren - der neolithischen Revolution - und erstreckte sich über mehrere tausend Jahre. „Einige für die Domestikation wichtige Haplotypen, wie der für die nicht brüchige Ähre, sind bereits vor rund 27.000 Jahren entstanden, also lange bevor die frühesten archäologischen Funde der domestizierten Gerste datiert werden.“
Die spätere Ausbreitung der Gerste über den Fruchtbaren Halbmond hinaus war dann kein einfacher, linearer Prozess. „Dieser Prozess wurde maßgeblich durch wiederholten Genfluss zwischen lokalen Wildpopulationen und den bereits domestizierten Gersten sowie durch menschliche Migrationen und Handel geprägt, was zur heutigen genetischen Vielfalt geführt hat“, sagt Dr. Martin Mascher, Leiter der Arbeitsgruppe „Domestikationsgenomik“ am IPK. Alle fünf untersuchten Wildgerstenpopulationen trugen, wenn auch in unterschiedlichem Maße, zum Genpool der domestizierten Gerste bei.
Die Ausbreitung der Landwirtschaft vom Fruchtbaren Halbmond vor etwa 8.500 Jahren führte zur Aufspaltung der domestizierten Gerste in drei Hauptlinien: eine westliche (Naher Osten und Europa), eine östliche (Zentral- und Ostasien) und eine äthiopische. Auch die Gene für wichtige Domestikationsmerkmale, wie die nicht brüchige Ähre, sechszeilige Ähren oder Nacktgerste, stammen aus unterschiedlichen geografischen Regionen und Epochen. So entstand die „Nackt“-Mutation beispielsweise vor etwa 16.000 Jahren.
Die Analyse alter DNA-Proben, insbesondere aus Israel, lieferte jetzt zusätzliche Belege: Gerstenkörner aus der Yoram-Höhle (6.000 Jahre alt), der Abi’or-Höhle (2.000 Jahre alt) und einer Kupfermine bei Timna (3.000 Jahre alt) zeigen, dass die genetische Vielfalt in späteren Zeiten zunahm. Dies ist auf einen signifikanten Genfluss aus anderen Regionen zurückzuführen, der durch Handel und Völkerwanderungen erklärt werden kann.
„Diese Entdeckungen verstärken und erweitern unsere Funde zur 23.000 Jahre alten Getreidewirtschaft an der Ohalo-Stätte am Ufer des Sees Genezareth um eine genomische Dimension. Gemeinsam zeigen sie, dass diese Region im Zentrum der Pflanzendomestikation stand und unterstreichen, dass unser außergewöhnlich gut erhaltener, trockener archäologischer Befund ein seltenes botanisches und genetisches Schatzkästchen ist. Dieses eröffnet nun neue Forschungswege und Fragen, die bis vor Kurzem noch als unlösbar galten“, sagt Prof. Ehud Weiss, Leiter des Archäobotanik-Labors an der Bar-Ilan-Universität.
Diese neue Sicht auf die Geschichte der Gerste hilft, besser zu verstehen, wie Pflanzen an verschiedene Umweltbedingungen angepasst wurden. Wichtige Merkmale der Gerste - wie das Abwerfen der Körner oder die Gestalt der Ähren - haben sich mehrfach unabhängig voneinander entwickelt. „Unsere Studie zeigt, wie eng die Geschichte der Menschen mit der Geschichte ihrer Nutzpflanzen verknüpft ist. Wer in die DNA der Gerste blickt, der liest darin auch mehrere tausend Jahre Menschheitsgeschichte“, sagt Dr. Martin Mascher.
Dr. Martin Mascher
Tel.: +49 39482 5243
mascher@ipk-gatersleben.de
Guo et al. (2025): A haplotype-based evolutionary history of barley domestication. Nature. DOI: 10.1038/s41586-025-09533-7
Ein internationales Forschungsteam unter Führung des IPK Leibniz-Institutes hat herausgefunden, dass ...
Copyright: IPK Leibniz-Institut/ D. Hirsz
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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