idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
26.09.2025 10:08

Ostseealgen: Jahrtausende stabil, und dann kam der Mensch

Helena Dietz Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Konstanz

    Ostseealgen: Jahrtausende stabil, und dann kam der Mensch

    Seit der Nutzung der Ostsee durch den Menschen zeigen dortige Kieselalgen-Populationen eine beschleunigte, bisher irreversible Veränderung ihrer genetischen Zusammensetzung und Diversität – so die Ergebnisse einer aktuellen Studie unter Leitung Konstanzer Forscherinnen.

    In unseren Meeren treiben unzählige Algen und andere mikroskopisch kleine Einzeller mit der Fähigkeit zur Photosynthese. Dieses sogenannte Phytoplankton bildet nicht nur die Grundlage mariner Nahrungsnetze. Es hat durch die Produktion von Sauerstoff und die gleichzeitige Bindung von Kohlenstoff auch einen großen Einfluss auf das Weltklima. Doch wie widerstandsfähig ist das Phytoplankton gegenüber Klimaereignissen und menschlichen Einflüssen?

    Zur Beantwortung dieser Frage untersuchte ein interdisziplinäres Forschungsteam im Projekt PHYTOARK die genetische Zusammensetzung und Diversität von Ostsee-Kieselalgen der Art Skeletonema marinoi über die letzten 8.000 Jahren. Jüngste Ergebnisse einer Studie unter Leitung der Arbeitsgruppe Umweltgenomik der Universität Konstanz wurden gerade in der Fachzeitschrift Global Change Biology veröffentlicht. Sie weisen auf einen deutlichen Einfluss menschlicher Aktivität auf die genetische Stabilität der Algenpopulationen hin.

    „Über viele Jahrtausende blieben die Erbgut-Muster der untersuchten Kieselalgen-Populationen erstaunlich stabil. Erst mit zunehmender menschlicher Nutzung der Ostsee im vergangenen Jahrtausend sehen wir einen schnellen Wechsel in der genetischen Zusammensetzung“, berichtet Alexandra Schmidt, Erstautorin der Studie und PostDoc in der Arbeitsgruppe von Laura Epp am Fachbereich Biologie der Universität Konstanz. Diese Veränderung ist nicht grundsätzlich negativ, aber dass sie jetzt viel schneller und stärker abläuft, zeigt den menschlichen Einfluss. Ob die Populationen wieder in den ursprünglichen Zustand „zurückfinden“, bleibt offen.

    Auf Spurensuche am Meeresboden
    Um überhaupt an das genetische Material jahrtausendealter Kieselalgen zu gelangen, führte das Forschungsteam am Grund der Ostsee Sedimentbohrungen durch. Die erhaltenen Bohrkerne aus dem östlichen Gotlandbecken und dem Finnischen Meerbusen wirken wie genetische Zeitkapseln. „In dem abgelagerten Schlamm und Sand am Meeresgrund befindet sich sogenannte ‚alte DNA‘, die nach dem Tod der Organismen über Jahrtausende im Sediment erhalten geblieben ist“, erklärt Laura Epp. Aus den einzelnen Schichten eines Bohrkerns lassen sich daher die genetischen Muster der Kieselalgen-Populationen über die Zeit nachvollziehen – je tiefer die Schicht im Sediment, desto älter das Genmaterial.

    Aus ihren Bohrkernen konnten die Forschenden DNA-Überbleibsel von Kieselalgen bis zu einem Alter von etwa 8.000 Jahren gewinnen. Um daraus verlässliche Rückschlüsse auf die genetische Widerstandsfähigkeit der untersuchten Art zu ziehen, hat das Team gezielt die Kieselalgen-DNA aus zwei Zellorganellen angereichert und sequenziert – den Chloroplasten und den Mitochondrien. Beide Organellen tragen ihr eigenes kleines Erbgut, und durch einen Vergleich dieses Erbguts aus verschiedenen Schichten lassen sich über die gesamte Zeitreihe – von vor 8.000 Jahren bis heute – genetische Veränderungen der Kieselalgen-Populationen analysieren.

    Stabil gegenüber Klimaschwankungen
    Die Studienergebnisse zeigen, dass die genetische Zusammensetzung der Algenpopulationen über lange Zeiträume weitgehend konstant blieb. In vergangenen Klimaphasen wie dem Wärmemaximum des Holozäns (vor etwa 10.000 bis 6.000 Jahren) oder der Spätantiken Kleinen Eiszeit (vor etwa 1.400 bis 1.300 Jahren) gab es zwar zwischenzeitliche Veränderungen, früher oder später stellte sich jedoch immer wieder die ursprüngliche Zusammensetzung ein. Erst in den letzten Jahrhunderten kam es zu deutlich schnelleren und bislang irreversiblen Veränderungen in der genetischen Zusammensetzung der Kieselalgen. „Diese fallen allerdings nicht direkt mit Phasen veränderter Temperatur zusammen, sondern mit Phasen erhöhter menschlicher Aktivität in der Ostsee – wie der Wikingerzeit, der Hansezeit oder der Industrialisierung“, so Schmidt.

    Die Ostsee-Populationen der Kieselalge zeigten also trotz natürlicher Klimaschwankungen über Jahrtausende eine hohe genetische Stabilität. Seit der historischen Zeit beschleunigt sich der Wandel in der genetischen Zusammensetzung der Populationen dagegen merklich, was für einen menschlichen Einfluss spricht. Mögliche Ursachen könnten in der verstärkten Nutzung der Ostsee und seiner Küsten liegen – sei es im Zuge der Schifffahrt, des Küstenbaus oder des Nährstoffeintrags durch Landwirtschaft im Ostseeraum. „Selbst bei Organismen, die nicht direkt in irgendeiner Form von uns genutzt werden, kann das Erbgut also den Einflüssen menschlichen Handelns unterliegen. Wir können jetzt solche Effekte über Jahrtausende erforschen und aufdecken und die Informationen nutzen, um ökologische und evolutionäre Dynamiken besser zu verstehen und unsere Schutzmaßnahmen dem anzupassen“, schließt Epp.


    Faktenübersicht:
    • Originalpublikation: A. Schmidt, S. Bolius, A. Chagas, J. Romahn, J. Kaiser, H.W. Arz, M. Bálint, A. Kremp & L.S. Epp (2025) Multi‐Millennial Genetic Resilience of Baltic Diatom Populations Disturbed in the Past Centuries. Global Change Biology; doi: https://doi.org/10.1111/gcb.70467
    • Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter Konstanzer Leitung untersucht die genetische Stabilität von Ostsee-Kieselalgen über einen Zeitraum von vor 8.000 Jahren bis heute.
    • Die genetische Zusammensetzung der Algenpopulationen blieb, abgesehen von vorübergehenden Abweichungen in extremen Klimaphasen, über tausende Jahre konstant. Mit der Nutzung der Ostsee durch den Menschen kam es jedoch in den letzten Jahrhunderten zu schnelleren, bisher irreversiblen Veränderungen.
    • Beteiligte Institutionen:
    o Universität Konstanz (Alexandra Schmidt, Anna Chagas und Laura S. Epp)
    o Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (Sarah Bolius, Jérôme Kaiser, Helge W. Arz und Anke Kremp)
    o Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt (Juliane Romahn und Miklós Bálint)
    • Förderung: Leibniz Gemeinschaft, Deutsche Forschungsgemeinschaft, LOEWE-Zentrum und International Max Planck Research School for Quantitative Behaviour, Ecology and Evolution

    Hinweis an die Redaktionen:
    Fotos können im Folgenden heruntergeladen werden:

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/ostseealgen_jahrtausend...
    Bildunterschrift: Lugol-gefärbte Kultur von der Kieselalge Skeletonema marinoi
    Copyright: Sarah Bolius

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/ostseealgen_jahrtausend...
    Bildunterschrift: Einzelne Abschnitte eines langen Sedimentkerns vor der Beprobung
    Copyright: Laura Epp

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/ostseealgen_jahrtausend...
    Bildunterschrift: Beprobung an Bord des Forschungsschiffs Elisabeth Mann Borgese. Im Bild: Dr. Anke Kremp, IOW Warnemünde
    Copyright: Laura Epp

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/ostseealgen_jahrtausend...
    Bildunterschrift: Extraktion der DNA aus den Sedimentkernproben. Im Bild: Dr. Alexandra Schmidt, Universität Konstanz
    Copyright: Miklós Bálint

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/ostseealgen_jahrtausend...
    Bildunterschrift: Forschungsschiff Elisabeth Mann Borgese
    Copyright: Laura Epp


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).