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26.09.2025 14:11

Dynamik menschlicher Gesellschaften der Bronzezeit

Stephanie Mayer-Bömoser Arbeitsbereich Kommunikation
Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA)

    Einblick in das gesellschaftliche Zusammenleben und Bevölkerungsdynamiken in der späten Bronzezeit (circa 1.500 bis 1.000 v. Chr.) gibt eine neue Studie, die archäologische und genetische Forschungsergebnisse zusammenführt. Das internationale Team von Wissenschaftler*innen, darunter des Leibniz-Zentrums für Archäologie (LEIZA) in Mainz sowie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, analysierte dafür Bestattungspraktiken in der Mongolei. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

    Die östliche eurasische Steppe, die sich über tausende von Kilometern hinweg von Zentralasien bis in den Osten Chinas zieht, war über Jahrtausende hinweg ein Knotenpunkt für Migration, Innovation und kulturellen Austausch. Die aktuelle interdisziplinäre Studie wirft nun ein neues Licht auf die prähistorische Bevölkerungsdynamik in der Zentralmongolei. Die Analyse von menschlichen Genomen und damaligen Bestattungspraktiken zeigt: Zwei genetisch und kulturell deutlich unterscheidbare Gruppen von bronzezeitlichen Viehzüchtern lebten über Jahrhunderte nebeneinander – bis sie durch die Ausbreitung der sogenannten Plattengrabkultur in der frühen Eisenzeit verdrängt wurden.

    Im Blickpunkt der Forschung standen zwei Gruppen von Nomaden, die im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. in der Mongolei lebten. Während die eine Gruppe ihr Kerngebiet im Süden und Südosten der Mongolei hatte, erstreckte sich das Gebiet der anderen Gruppe von der West- bis zur Zentralmongolei. Beide Gruppen trafen sich im zentralmongolischen Orkhon-Tal. Dort teilten sie sich auch dieselbe rituelle Landschaft: Sie begruben ihre Toten am Hang desselben Berges.

    Archäologische Forschungen vor Ort zeigten, wie sich die Ausrichtung und Platzierung der Verstorbenen in den Gräbern zwischen den beiden Gruppen unterscheidet. Die Toten der westlichen Gruppe sind nach Nordwesten ausgerichtet, während die östliche Gruppe die Verstorbenen nach Südosten ausrichtet. Auch die Gestaltung der Gräber zeigt kulturelle Unterschiede; den steinernen Grabhügeln des sogenannten Deer Stone-Khirigsuur Komplexes (DSKC), stehen in der Regel kleinere sanduhrförmige Gräber gegenüber.
    Der interdisziplinäre Ansatz der Studie erweitert nun das Bild: „Unsere humangenetischen Analysen zeigen, dass sich diese beiden Gruppen über rund 500 Jahre hinweg kaum genetisch vermischt haben, obwohl sie im selben Raum lebten“, erklärt Dr. Ursula Brosseder, Leiterin des Kompetenzbereichs „Vorgeschichte“ am LEIZA und Co-Erstautorin der Studie, und betont: „Bislang gibt es weltweit nur sehr wenige Fälle, in denen wir für die prähistorische Zeit ein solches Verhalten oder die Regeln, die die Heiratspraktiken strukturieren, identifizieren können.“

    Mit dem Übergang zur frühen Eisenzeit (circa 1.000 bis 300 v. Chr.) setzte sich jedoch eine neue Kultur der Bestattung durch: Die Gräber weisen nun eine Einfriedung aus Steinplatten auf. Diese Plattengrab-Kultur entstand aus der östlichen Tradition der sanduhrförmigen Gräber, breitete sich rasch nach Westen aus und ersetzte dabei die Bestattungsriten der westlichen Kultur. „Wir können mit den neuen Daten zeigen, dass diese Veränderung nicht nur kulturell sichtbar ist, sondern auch im Erbgut nachweisbar ist, denn die genetischen Profile der Bestatteten aus den Plattengräbern zeigen kaum Verbindung zu den vorher dominanten westlichen Gruppen“, berichtet Jan Bemmann, Professor für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Universität Bonn. „Offenbar verdrängte eine große Gruppe von Menschen, die neu aus dem Osten in die Region strömten, die zuvor dominierende westliche Gruppe und ersetzte die Bevölkerung vollständig. Selbst später, während des Xiongnu-Reiches in der Zeit zwischen 200 v. Chr. bis 100 n. Chr., das eine Vielzahl von Gruppen integrierte, sind keine genomischen Spuren der früheren westlichen Gruppe zu finden.“

    Darüber hinaus bestätigt die Studie, dass die genetischen Ursprünge der westlichen Bevölkerung teilweise auf die frühen Afanasievo- und Khemtseg-Kulturen zurückgehen – Gruppen, die vor über 2.000 Jahren die mobile Tierhaltung nach Zentralasien brachten. Damit lässt sich ein genetisches Erbe über mehrere Jahrtausende hinweg nachverfolgen.
    „Unsere Studie liefert einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Wechselwirkungen zwischen genetischer Identität und kultureller Praxis in einer der ältesten Viehzüchterregionen der Welt. Sie zeigt, dass kulturelle Koexistenz nicht zwangsläufig zu genetischer Vermischung führt – ein Phänomen, das tiefgreifende Implikationen für das Verständnis früher menschlicher Gesellschaften und ihrer Dynamiken hat“, fasst Brosseder die Bedeutung der Forschungsergebnisse zusammen.

    Die Forschung basiert auf Ergebnissen aus dem Projekt „Bioarchäologische Untersuchungen zu bronze- und eisenzeitlichen Gräberfeldern in einer Mikroregion im Oberen Orkhontal, Zentrale Mongolei (BARCOR)“, das nach einer Pilotphase (2011-2013) von 2015 bis 2022 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde und an der Universität Bonn angesiedelt war.

    Die Studie ist eine Kooperation mit dem Institut für Archäologie der Mongolischen Akademie der Wissenschaften und wurde gemeinsam von Forscher*innen des LEIZA, der Universität Bonn, des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, Leipzig, der Harvard University, Cambridge, USA, der Seoul National University, Seoul, Republik Korea (Südkorea) und weiteren Institutionen in der Mongolei, Monaco und den USA durchgeführt, unter ihnen mehrere Expert*innen für genetische Analysen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Ursula Brosseder
    Leiterin des Kompetenzbereichs „Vorgeschichte“
    Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA)
    Tel. +49 (0)6131 8885-171
    Mail ursula.brosseder@leiza.de


    Originalpublikation:

    Juhyeon Lee, Ursula Brosseder, Hyoungmin Moon, Raphaela Stahl, Lena Semerau, Jamiyan-Ombo Gantulga, Jérôme Magail, Jan Bemmann, Chimiddorj Yeruul-Erdene, Christina Warinner, Choongwon Jeong:
    Slab Grave expansion disrupted long co-existence of distinct Bronze Age herders in central Mongolia
    Nature Communications
    https://doi.org/10.1038/s41467-025-63789-1


    Bilder

    Interdisziplinäre Forschungen am Gräberfeld von Maikhan Tolgoi in der Zentralmongolei ermöglichen neue Einblicke in das gesellschaftliche Zusammenleben und Bevölkerungsdynamiken in der späten Bronzezeit (circa 1.500 bis 1.000 v. Chr.).
    Interdisziplinäre Forschungen am Gräberfeld von Maikhan Tolgoi in der Zentralmongolei ermöglichen ne ...
    Quelle: Ursula Brosseder
    Copyright: Ursula Brosseder


    Anhang
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Geowissenschaften, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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