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Wissenschaft
Was bisher nur Fachkräfte konnten, schaffen bald auch Quereinsteiger: Am Beispiel einer Falzmaschine hat ein Forscher vom Fraunhofer IPA das Bedienkonzept der Mensch-Maschine-Schnittstelle so sehr vereinfacht, dass nun auch Laien die Maschine umrüsten können. Die zugrunde liegende Methodik lässt sich auf alle anderen Maschinen übertragen.
Eine Falzmaschine umzurüsten ist ein Job für echte Profis. Eine solche Maschine faltet in Druckereien Broschüren, Prospekte, Landkarten und vieles mehr – mehrere Zehntausend Exemplare pro Stunde. Je nach Maschinentyp und Auftrag kann das Umrüsten sehr viele verschiedene Einstellungen nötig machen, die entweder direkt an der Falzmaschine vorgenommen oder über das sogenannte »Human Machine Interface« (HMI), die Mensch-Maschine-Schnittstelle, angesteuert werden. Ein erfahrener Buchbinder schafft das zwar in 15 bis 20 Minuten, doch das ist ein vom Aussterben bedrohter Berufsstand. Bundesweit zählte der Zentralverband des Deutschen Handwerks im Jahr 2022 gerade einmal 1646 Buchbinder.
In deutschen Druckereien stehen deshalb inzwischen oft Quereinsteiger an den Maschinen. »Solange ein Auftrag abgearbeitet wird, ist das kein Problem. Aber sobald es ans Umrüsten geht, sind sie oft auf die Hilfe von Fachkräften oder erfahreneren Kollegen angewiesen«, sagt Raphael Hägle vom Forschungsteam Intelligente Fertigungsprozesse und Interaktionssysteme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. »Während der Umrüster die Falzmaschine neu einstellt, hat der Maschinenbediener Leerlauf. Dabei könnte er die Maschine auch selbst umr üsten, wenn das Bedienkonzept der Maschine so gestaltet wäre, dass es ihn dabei Schritt für Schritt anleitet.«
Individuelle Schritt-für-Schritt-Anleitung mit Pfeilen und Zeichnungen
Genau das hat Hägle nun in Zusammenarbeit mit der Firma MBO Postpress Solutions am Beispiel einer Falzmaschine getan. Dafür hat der Wissenschaftler zunächst Nutzerrollen festgelegt. Damit stellt er sicher, dass alle Beschäftigten, die an der Falzmaschine arbeiten, auf dem neu gestalteten Display immer nur genau diejenigen Einstellungsmöglichkeiten angezeigt bekommen, die sie auch wirklich brauchen, um ihre Aufgabe erfüllen zu können.
Anschließend hat der Forscher die Arbeitsabläufe aller Nutzerrollen analysiert. Dafür hat er erfahrene Buchbinder gebeten, eine Eye-Tracking-Brille zu tragen, während sie an der Falzmaschine arbeiteten. Eine solche Brille erfasst, worauf der Blick ihres Trägers oder ihrer Trägerin fällt und wie lange er dort verweilt. Mithilfe dieser Aufzeichnungen hat Hägle dann alle Arbeitsabläufe in Teilaufgaben und Einzelschritte aufgeteilt. »Das Umrüsten der Maschine umfasst beispielsweise 46 Teilaufgaben, die sich aus 130 Einzelschritten zusammensetzen«, sagt Hägle.
Für jeden Arbeitsablauf hat der Wissenschaftler also eine detaillierte Schritt-für-Schritt-Anleitung abgeleitet. Diese dient als Grundlage für die automatische Erstellung der grafischen Inhalte auf dem Display der Falzmaschine. Mit Pfeilen und schematischen Zeichnungen zeigt sie dem Maschinenbediener, wo er die einzelnen Einstellungen vornehmen kann. Um das Display dementsprechend überarbeiten zu können, hat die Firma MBO Postpress Solutions Hägle Zugriff auf den Quellcode gewährt.
HMI-Konfiguration binnen weniger Minuten
Kompliziert, zeitintensiv und dementsprechend teuer war bisher auch die Konfiguration eines Falzmaschinen-HMI, bevor die Maschine an den Käufer ausgeliefert wurde. Je nach Ausführung soll schließlich jede Falzmaschine nur diejenigen Einstellungsmöglichkeiten auf dem Display anzeigen, die sie auch wirklich zu bieten hat. »Über acht Stunden konnte die Konfiguration in Anspruch nehmen«, hat Hägle beobachtet. Um auch diesen Prozess zu beschleunigen, hat der Wissenschaftler ihn zunächst in Teilaufgaben und Einzelschritte unterteilt und dann ein Softwaretool geschaffen, das die Bedienlogik der gesamten Maschine abbildet. Das Ergebnis: Eine Falzmaschine kann nun innerhalb von wenigen Minuten am Computer konfiguriert werden und das HMI wird automatisch erstellt.
»Künftig könnte generative Künstliche Intelligenz dabei helfen, die HMI-Entwicklung weiter zu vereinfachen oder die Aufzeichnungen der Eye-Tracking-Brille auszuwerten«, sagt Hägle. Außerdem spielt der Wissenschaftler mit dem Gedanken, seine Methodik zur Vereinfachung von Mensch-Maschine-Schnittstellen in Zukunft nicht mehr als Angestellter, sondern als selbstständiger Dienstleister anzubieten. Sein Ansatz ist nämlich prinzipiell auf alle Maschinen und Hersteller übertragbar – ein riesiger potenzieller Markt.
Projekt-Steckbrief
Name: Automatische Erstellung benutzerfreundlicher und individueller HMIs (aHMI)
Laufzeit: 01.07.2023 – 30.06.2025
Partner: Fraunhofer IPA, MBO Postpress Solutions GmbH
Fördersumme: 260 628 Euro
Fördermittelgeber: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg über das Förderprogramm Invest BW
Raphael Hägle | Telefon +49 711 970-3710 | raphael.haegle@ipa.fraunhofer.de | Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA | www.ipa.fraunhofer.de
Am Beispiel einer Falzmaschine hat ein Forscher vom Fraunhofer IPA das Bedienkonzept der Mensch-Masc ...
Quelle: Hannes Weik
Copyright: Fraunhofer IPA
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter
Informationstechnik, Maschinenbau
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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