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Kunsthistoriker Dr. Lukas Fuchsgruber erforschte die Digitalisierung der Staatlichen Museen zu Berlin und wie sie das zu Orten macht, wo die drängenden Fragen der Zeit verhandelt werden
Die Plastik „Gedenkkopf einer Königinmutter (Iyoba)“ oder die Zeichnung „Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren“ von Hieronymus Bosch gehören zu den mehr als 270.000 Objekten aus den 15 Sammlungen und vier Instituten der Staatlichen Museen zu Berlin, die in einer gemeinsamen Datenbank für jedermann digital zugänglich sind – in Form eines Fotos und versehen mit vielen Detailinformationen wie einer Objektbeschreibung, dem Standort, der Größe, dem Material, geografischen Bezügen und Angaben, wie das Kunstwerk in den Besitz der Sammlungen gelangte.
Wie dieser Digitalisierungsprozess konkret abgelaufen ist, wie das Wissen der Museen in die Datenbanken kam und welche Folgen die Digitalisierung für die Museen hat, das untersuchte Dr. Lukas Fuchsgruber im Rahmen des von der Berlin University Alliance geförderten Projektes „Museums and Society - Mapping the Social“. Die Ergebnisse seiner Forschungen an der TU Berlin erscheinen nun in dem Buch „Museen und die Utopie der Vernetzung. Zur Bedeutung digitaler Sammlungen für die kritische Museologie“. Zur Buchvorstellung an der TU Berlin sind Interessierte herzlich eingeladen.
Zeit: 28.10.2025, 19.30 Uhr
Ort: Architekturforum der TU Berlin, Straße des 17. Juni 152 (Ernst-Reuter-Platz), 10623 Berlin
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Arbeit an eigenen digitalen Lösungen
„Einen enormen Schub erfuhr die Digitalisierung der Bestände der Berliner Museen durch die Wiedervereinigung. Im Zuge der Zusammenführung der Ost- und Westberliner Sammlungen in den 1990er-Jahren wurden Datenbanksysteme eingesetzt, die in den 1970er-Jahren in England entwickelt worden waren. Zusammen mit dem Berliner Zuse-Institut entwickelten die Mitarbeiter des Berliner Instituts für Museumsforschung diese Datenbanken entsprechend den Erfordernissen in den hiesigen Sammlungen weiter“, erzählt Dr. Lukas Fuchsgruber. Und dann begann ein sehr kleinteiliger, zeitaufwändiger, händischer Prozess des Fotografierens der Objekte und des Eintippens der Informationen auf den Karteikarten in die Masken der Datenbanken – oft ausgeführt von ABM-Kräften. In den Jahresberichten der Berliner Staatlichen Museen, die Fuchsgruber analysierte, ist minutiös dokumentiert, wie viele Sammlungsstücke jedes Jahr digitalisiert wurden. Fazit dieser 1990er-Jahre: Die Digitalisierung basierte auf eigens entwickelten internen Standards und Datenbanksystemen, die den Museen gehörten.
Ab der Jahrtausendwende stößt Fuchsgruber dann in den Jahresberichten auf Formulierungen, die die internationale Tendenz zur Professionalisierung und die gestiegenen Ansprüche an die Nutzung thematisierten. Dem kommen die Berliner Museen nach, indem bis 2011 ein Datenbanksystem einer Schweizer Firma etabliert wird. „Das ist eine Zäsur“, sagt der Kunstwissenschaftler, „aber nicht nur weil mit diesem Schweizer System die Sammlungsbestände peu à peu im Internet veröffentlicht werden und man quer in allen Sammlungen suchen kann, sondern weil die Museen, die bis dahin nach eigenen digitalen Lösungen suchten, sich für ein kommerzielles Produkt entschieden und sich damit von einem externen Unternehmen abhängig machten.“
Beginn der Kommerzialisierung
Die Nullerjahre sind für ihn der Beginn der Kommerzialisierung der Digitalisierung der Museumssammlungen. Sie fällt mit dem Beginn der Sozialen Medien zusammen, die das Internet stark verändern. Plötzlich finden sich die Museen online in einem Umfeld wieder, das von einer Flut privater Fotos und Videos geprägt ist – von Schmink- und Modevideos bis hin zu Urlaubs- und anderen privatesten Fotos. Und in dieser Bilderwelt auf den Plattformen von vor allem Google und Facebook gehe es darum, höchste Aufmerksamkeit zu erzeugen, um höchste Gewinne zu erzielen. „Da werden Museen eben auch für diese großen Tech-Unternehmen interessant. Facebook arbeitet mit Museen zusammen, um neue Vermittlungsformate wie VR-Brillen zu erproben. ‚Google Arts and Culture‘ präsentiert Museumssammlungen im Netz mit neuen Techniken. Virtuelle Rundgänge ersetzen den Museumsbesuch vor Ort oder man lädt ein Porträtfoto von sich hoch und lässt nach einem Gemälde suchen, was einem ähnelt“, erläutert Lukas Fuchsgruber.
Das sei Hightech pur, spannend und verlockend. „Diesen digitalisierten Formaten werden von den Museen neue Möglichkeiten der Bildung und Wissensvermittlung zugeschrieben. Aber ist dem wirklich so? In erster Linie hinterlassen diejenigen, die es nutzen, ihre biometrischen Daten bei Google, dessen Geschäftsidee auf der Überwachung der Nutzeraktivität, der gezielten Werbung und der Vermarktung von Publikumsdaten basiert und neuerdings, um mit den Daten die Algorithmen für KI zu trainieren“, so der Kunsthistoriker.
Wer behält die Kontrolle über die Daten?
Im Zusammenhang mit den vielen Datenskandalen bei Facebook, angefangen mit dem um die Firma Cambridge Analytica 2018, stellte sich auch den Berliner Staatlichen Museen die Frage nach der Ethik dieser Plattformen und ob sie der richtige Ort sind für Museen, als öffentliche, von Steuergeld finanzierte Einrichtungen sind. Lukas Fuchsgruber: „Arbeiten die Museen mit Apple, Google, Facebook und Co. zusammen, dann stehen sie vor der Frage: Wer behält die Kontrolle über die Daten des Publikums? Wer betreibt den Datenschutz, um die Privatsphäre des Museumbesuchers zu schützen, wenn er oder sie zum Beispiel eine App nutzt? Wer prüft kritisch, dass nichts manipuliert oder ausgenutzt wird? Denn als staatliche Einrichtung kann man nicht wollen, dass das Publikum im Museum, nur weil es ein Spiel spielt, überwacht wird.“
Die Fragen des Datenschutzes, die sich an die Museen mit der Digitalisierung stellen, seien, so Fuchsgruber, jene Fragen, vor deren Beantwortung die gesamte Gesellschaft stehe. Damit seien Museen genau jene gesellschaftlichen Orte, wo die großen aktuellen Fragen der Zeit verhandelt werden.
Was an den Sozialen Medien ist sozial?
An die Plattformen der Tech-Unternehmen sei aber auch die Vorstellung geknüpft, dass diese – wie bereits erwähnt – Orte neuer Bildungsmöglichkeiten, neuer Formen der Wissensvermittlung seien, Orte, um ein neues Publikum anzusprechen und mit ihm in Austausch zu kommen. „Aber nur weil etwas digital ist, ist es inhaltlich nicht neu. Das alte Wissen der Karteikarten ist nur einfacher zugänglich. Und ich frage, vielleicht auch ein wenig polemisch: Wie viel Raum ist für Dialog auf einer solchen Medienplattform, wo der Kontext ein hochkommerzieller ist. Sobald Museen diese Plattformen nutzen, begeben sie sich in die kommerzielle Logik dieser Unternehmen: Daten werden für personalisierte Werbung genutzt und damit zur Ökonomisierung und Gewinnerwirtschaftung. Museen, die unsere kulturellen Gemeingüter präsentieren, dazu forschen und vermitteln, sind dann Teil dieser Ökonomie der Überwachung. Was ist sozial an den Sozialen Medien? Instagram ist schlicht eine Werbemaschine, mit der Inhalte mit größtmöglicher Reichweite zirkulieren sollen“, so Fuchsgruber. „In meiner vierjährigen Auseinandersetzung mit der Digitalisierung der Museen habe ich diesen Prozess als äußerst konfliktbeladen erforscht.“
Dr. Lukas Fuchsgruber
Wikimedia Deutschland
E-Mail: lukas.fuchsgruber@wikimedia.de
Lukas Fuchsgruber, „Museen und die Utopie der Vernetzung. Zur Bedeutung digitaler Sammlungen für die kritische Museologie“, transcript Verlag 2025, 222 Seiten, ISBN: 978-3-8394-7662-8
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Geschichte / Archäologie, Informationstechnik, Kulturwissenschaften, Kunst / Design, Pädagogik / Bildung
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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