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Die S2k-Leitlinie „Fertilitätserhalt bei onkologischen Erkrankungen“ stellt die Möglichkeiten zum Erhalt oder der (Wieder-)Herstellung von Fertilität bei Krebserkrankten dar. Hierfür werden eine Bandbreite an onkologischen Erkrankungen sowie Therapieverfahren detailgetreu betrachtet, um Aufschluss über verschiedenartige Vorgehen und deren Nutzen zu geben.
Berlin, im Oktober 2025 – Aufgrund einer Bandbreite an Therapiemöglichkeiten, die dazu beitragen, dass sich die Überlebensrate bei malignen Erkrankungen signifikant verbessert hat, kann die Funktion der Keimdrüsen (Gonadenfunktion) von Patientinnen und Patienten teilweise oder komplett geschädigt werden. In der Regel hängt die mögliche gonadale Schädigung vom Alter der Patientinnen und Patienten sowie der Art, Dosis und Dauer der medizinischen Therapie oder Strahlentherapie ab. Die Chance, im Nachhinein an einer therapierefraktären Infertilität zu leiden, kann für Betroffene belastend sein. Aus diesem Grund ist es wichtig, Konzepte zum Erhalt der Fertilität und die Beratung darüber in die onkologische Behandlung für jene Betroffene einzubinden, die im reproduktiven Alter sind.
Die von der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin e.V. (DGRM), Deutschen
Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) und DGGG erstellte S2k-Leitlinie zum Fertilitätserhalt
bei onkologischen Erkrankungen dient der Beratung und dem Einsatz von fertilitätserhaltenden Maßnahmen bei präpubertären sowie sich im reproduktiven Alter befindenden Patientinnen und Patienten. Dabei sollten stets die Lebensumstände, das jeweilige individuelle Risikoprofil und die geplante onkologische Therapie berücksichtigt werden. Darüber hinaus bietet die Handlungsempfehlung einen Überblick zu bereits etablierten fertilitätserhaltenden Techniken sowie zum Vorgehen bei bestimmten Tumorarten. Vorrangig richtet sich die Leitlinie an in der Onkologie tätige Ärztinnen und Ärzte.
Auswirkungen von Therapieverfahren auf die Fertilität
Die Leitlinienautorinnen und -autoren weisen in ihren Ausführungen auf, inwiefern sich
Therapieoptionen, wie die Chemotherapie, Strahlentherapie, aber auch endokrine
Therapien auf die Schädigung der Keimdrüsen (Gonadotoxizität) einwirken und mit
welchen Nebenwirkungen zu rechnen ist.
„Die Dauer der endokrinen Therapie beim Mammakarzinom über 5 bis 10 Jahre bedeutet
für die Patientinnen eine erhebliche Verschiebung der gewünschten Schwangerschaft in
eine Lebensphase mit eingeschränkter oder erloschener ovarieller Reserve. Dieser Effekt
ist nach derzeitigem Kenntnisstand der wichtigste fertilitätseinschränkende Einfluss einer
endokrinen Therapie beim Mammakarzinom. Die Unterbrechung oder ggf. die Verschiebung einer endokrinen Therapie soll diskutiert werden, um eine frühzeitige Verwirklichung des Kinderwunsches zu ermöglichen.“
Prof. Dr. rer. nat. Ralf Dittrich, DGGG-Leitlinienkoordinator,
Frauenklinik Universitätsklinikum Erlangen
Hinsichtlich einer Chemo- sowie Strahlentherapie wird empfohlen, dass Betroffene über
das Risiko einer Infertilität aufgeklärt werden sollten. Eine Strahlentherapie kann laut den Leitlinienerstellenden beispielsweise zur Sterilität sowie zu erhöhten Schwangerschaftsrisiken führen. Darüber hinaus sollen Patientinnen, die Immuntherapien oder zielgerichtete Therapien erhalten, über das unklare Risiko einer Eierstockinsuffizienz und fertilitätserhaltende Maßnahmen aufgeklärt werden.
Fertilitätsprotektion bei Mädchen und Frauen
Der Fokus in den darauffolgenden Kapiteln liegt auf dem Erhalt der Fertilität. Im Bezug auf die Patientinnen wird hierbei auf organerhaltende Operationsverfahren, die Transposition von Ovarien sowie den Gonadenschutz bei Bestrahlung eingegangen. Darüber hinaus wird die Anwendung von GnRH-Agonisten, die Kryokonservierung, fertilitätserhaltende oder (wieder-) herstellende Maßnahmen bei Uterusbestrahlung, aber auch die Kombination fertilitätsprotektiver Methoden angesprochen. Bei der Kryokonservierung wird zwischen der Kryokonservierung von Ovarialgewebe sowie von unfertilisierten Oozyten, Vorkernstadien und Embryonen unterschieden. Letztere gelten dabei als weltweit etablierte reproduktionsmedizinische Techniken.
Grundsätzlich kann den Patientinnen die Kombination von verschiedenen fertilitätserhaltenden Maßnahmen angeboten werden. Somit kann die Effektivität der fertilitätsprotektiven Vorgehen gesteigert werden. Maßgeblich ist dies laut den Autorinnen und Autoren vor allem bei Patientinnen, die einem hohen Risiko für eine primäre Ovarialinsuffizienz ausgesetzt sein könnten.
Blick auf die Psychologie und Ethik eines Fertilitätserhalts
„Nach Feststellung einer Krebserkrankung oder einer anderen schwerwiegenden Erkrankung steht zunächst die Auseinandersetzung mit der Diagnose im Vordergrund. Damit zusammenhängend (aber auch unabhängig davon) bedeutet dies bei den Betroffenen die Auseinandersetzung mit einer möglichen Fruchtbarkeitsstörung. Dieses kann zu Unsicherheit, Gefühlen der Bedrohung und Leere sowie des Verlustes (auch der Möglichkeit, Kinder zu zeugen) führen. Die Frage einer möglichen endgültigen Kinderlosigkeit steht im Raum.“
PD Dr. med. Laura Lotz, DGGG-Leitlinienkoordinatorin,
Frauenklinik Universitätsklinikum Erlangen
Die Frage nach der Fertilität ist ein Faktor, der sich bedeutend auf das psychische Wohlbefinden von Patientinnen und Patienten auswirkt. Aus diesem Grund sollte stets eine psychologische Unterstützung, die mit einer Beratung bei einer Fertilitätsstörung einhergeht, in Erwägung gezogen werden. Hierbei gilt zu bedenken, dass Betroffene von Krebserkrankungen ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen haben und der Bedarf an psychologischer Unterstützung und Beratung vermehrt vorkommt. Diese sollte den betroffenen Patientinnen und Patienten sowie deren Partnern oder den Eltern von betroffenen Kindern möglichst frühzeitig angeboten werden.
Aus ethischer Sicht ist die emotionale Verfassung der Patientinnen und Patienten stets zu berücksichtigen, weshalb die Betroffenen umfassend über die Möglichkeiten, Chancen und Risiken aufzuklären sind. Zu bedenken gilt hinsichtlich derartiger Gespräche stets die Selbstbestimmung bzw. Patientinnen-/Patientenautonomie, die Schadensvermeidung, Fürsorge sowie die Gerechtigkeit bzw. Fairness.
Fertilitätserhalt von Jungen und Männern
Neben dem Fertilitätserhalt bei Frauen und Mädchen wird in der S2k-Leitlinie auch auf fertilitätserhaltende Maßnahmen bei männlichen Patienten eingegangen. So stellt die Handlungsempfehlung ebenfalls Ursachen der Gonadotoxizität bzw. der reproduktiven Funktion bei Männern sowie Methoden der Fertilitätsprotektion von Jungen und Männern dar. Zu letzterem gehören die Kryokonservierung von Ejakulat und Hodengewebe, der Gonadenschutz bei Bestrahlung und experimentelle Ansätze.
„Die Fertilitätsprotektion beim Mann mittels einer Ejakulatabgabe und der nachfolgenden Kryokonservierung kann recht zeitnah und zügig mit begrenztem Aufwand für die Patienten erfolgen. Vergessen wird leider oftmals, dass jugendliche Patienten hier rechtzeitig auch angesprochen werden. Die bestehende Zurückhaltung, oftmals eine Mischung aus Scham und Unwissenheit, sollte durch bessere Aufklärung durchbrochen werden. Zahlreiche Studien zeigen, dass Jugendliche während der Pubertätsentwicklung bereits eine gute Samenqualität aufweisen und somit eine nachhaltige Chance für eine spätere Vaterschaft im Erwachsenenalter erhalten. Und selbst bei präpubertären Kindern können wir durch das Netzwerk Androprotect und die Entnahme von unreifem Hodengewebe eine zumindest experimentelle Chance für eine spätere Fruchtbarkeit eröffnen.“
Prof. Dr. med. Sabine Kliesch, DGU-Leitlinienkoordinatorin
Klinik für Andrologie, Universitätsklinikum Münster
Weiterhin wurden sowohl für Frauen als auch für Männer ausführliche Empfehlungen zu ausgewählten Tumorentitäten abgegeben. Um den gesamten Behandlungszeitraum abzudecken, geht Autorenschaft zuletzt auch noch auf die Nachbeobachtung der Patientinnen und Patienten ein.
„Die Möglichkeit zum Erhalt der Fruchtbarkeit schenkt Hoffnung und Zukunftsperspektiven in dieser für die Patientinnen und Patienten schwierigen Zeit der Diagnosestellung. Praktisch bedeutet das für den fertilitätserhalt: frühzeitig professionelle Beratung suchen, individuelle Optionen der Patientinnen und Patienten prüfen und Leitlinien-konform handeln. So bleiben die Chancen auf eine Familiengründung auch nach therapiebedingter Gonadotoxizität erhalten.“
Dr. rer. nat. Dunja Baston-Büst, DGRM-Leitlinienkoordinatorin,
Universitätsklinikum Düsseldorf
Leitlinien sind Handlungsempfehlungen. Sie sind rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung.
Leitlinienkoordination:
Prof. Dr. rer. nat. Ralf Dittrich
PD Dr. med. Laura Lotz
Dr. rer. nat. Dunja Baston-Büst
PD Dr. med. Andreas Schüring
Prof. Dr. med. Sabine Kliesch
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-082
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch

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