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30.10.2025 06:47

DGSM-Jahrestagung: Themen, die die Schlafmedizin bisher nicht erreicht hat

Romy Held Pressestelle
Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM)

    „Kleine Wahrnehmungen – Große Welle“, so lautet das Motto der 33. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), die vom 27.-29. November 2025 im Hannover Congress Centrum stattfindet. Und es ist in mancherlei Hinsicht sehr passend für diesen Kongress. Dessen Präsidentinnen Prof. Dr. rer. nat. Andrea Rodenbeck, wissenschaftliche Leiterin des Schlaflabors im Evangelischen Krankenhaus Göttingen, und Prof. Dr. med. Sylvia Kotterba, Chefärztin der Klinik für Geriatrie am Klinikum Leer, erklären im folgenden Interview, welche Botschaft sich hinter dem Motto verbirgt und wie wichtig der Blick auf die Grundlagenforschung ist.

    Liebe Frau Professor Kotterba, liebe Frau Professor Rodenbeck, schaffen Sie es als Expertinnen immer zu gutem Schlaf zu finden?

    Andrea Rodenbeck: Natürlich nicht, auch wir haben schlechte Nächte.

    Sylvia Kotterba: ... insbesondere in der Planung einer großen Veranstaltung wie diesem Kongress.

    Auf welche kleinen Wahrnehmungen sollte man hören, bevor einen sinnbildlich eine große Welle namens Schlafstörung mit sich reißt? Kann man da allgemeingültige Tipps geben?

    Andrea Rodenbeck: Ein wichtiger Aspekt ist das Stressniveau, das man als solches wahrnehmen und ernst nehmen sollte. Sonst fällt es schwer noch abschalten zu können, um in den Schlaf zu finden. Und ganz wichtig ist auch, für sich selbst herauszufinden, wie viel Schlaf man braucht: Das Kriterium hierfür ist eine gute Tagesbefindlichkeit. Das heißt aber nicht, dass wir von morgens bis zum Lichtlöschen durchgehend voll konzentriert und aktiv sein müssen. Schwankungen in der Tagesbefindlichkeit sind normal und von inneren Prozessen gesteuert.

    Sylvia Kotterba: Eine wichtige Strategie für mich es, Dinge, die ich nicht vergessen will, auf einen Zettel zu schreiben – so kommt es gar nicht zum Gedankenkreisen. Gerade in ungewohnter Umgebung fallen uns andere Licht- und Geräuschverhältnisse auf, die dann eine unbehagliche Schlafsituation ergeben können. Wenn sie sich nicht beheben lassen, kann eine Meditation – die es durchaus geführt durch Podcasts gibt - helfen.

    Mit welchem Hintergrund haben Sie das Motto „Kleine Wahrnehmungen – Große Welle“ für die DGSM-Jahrestagung 2025 gewählt?

    Andrea Rodenbeck: Wir sind ja in der Leibniz-Stadt Hannover und seine Überlegungen zu den kleinen Wahrnehmungen spiegeln alles das wider, was die Schlafmedizin ausmacht: Kleine Veränderungen im Zusammenspiel der Neurotransmitter führen zu NonREM- und REM-Schlaf, unterbewusste Wahrnehmungen können Träume beeinflussen oder zu sekundenkurzen Wachvorgängen ohne erkennbaren Anlass führen. Um nur einige Beispiele zu nennen. Auch die nächtliche Regulation der Atmung unterliegt unterbewussten Steuerungsprozessen – den CO2-Anstieg oder den Sauerstoffabfall nehmen wir ja nicht bewusst wahr.

    Sylvia Kotterba: Die Diagnostik und Therapie schlafbezogener Erkrankungen beruht auf kleinsten Veränderungen in der Grundlagenforschung – Spikes im EEG könnten zu schlafbezogenen Anfällen führen, kleinste Durchblutungsstörungen im Hirnstamm verursachen Atmungsstörungen, Imbalanzen der Neurotransmitter führen zu Insomnien und Hypersomnien.

    In vielen Programminhalten wird der Bogen von der Grundlagenforschung zum Krankheitsbild geschlagen. Wieso ist das wichtig?

    Andrea Rodenbeck: Die Grundlagenforschung stellt das A und O für Diagnostik und Therapie dar. Dabei verstehen wir heute unter Grundlagenforschung natürlich ganz etwas anderes als zu Beginn der Schlafforschung und Schlafmedizin. Während, mit Ausnahme des Traums, der Schlaf über viele Jahrtausende als passiver Zustand verstanden wurde, waren zum Beispiel die Entwicklung des EEGs, die Entdeckung des REM-Schlafs oder das Zusammenspiel von zirkadianen und homöstatischen Prozessen Meilensteine der Grundlagenforschung. Mittlerweile können wir auf molekularbiologischer Ebene grundlegende Mechanismen darstellen. Daraus ergeben sich neue diagnostische Möglichkeiten, aber auch die Entwicklung neuer z.B. medikamentöser Therapieansätze.

    Sylvia Kotterba: Gerade die Grundlagenforschung in Biologie, Pathophysiologie, Elektrophysiologie hat zu Erkenntnissen geführt, die uns Vorgänge im Schlaf und daraus entstehende Erkrankungen besser verstehen und behandeln lassen. Wir möchten in den Vorträgen daher immer möglichst den Bogen von der kleinsten Einheit (Molekül, Hormon, Transmitter, Zelle, aber auch Graphoelement der Polysomnographie) bis zur Diagnostik und Therapie einer schlafbezogenen Störung darstellen.

    Welche Schwerpunkte aus dem Tagungsprogramm liegen Ihnen jeweils am Herzen – und werden dazu neue Erkenntnisse auf dem Kongress diskutiert?

    Andrea Rodenbeck: Mich freut es, dass wir gleich zwei Symposien zum Thema Gender / geschlechtsbezogene Schlafmedizin haben, davon einmal ein Joint Symposium mit der Europäischen Schlafgesellschaft. Es ist diesmal total spannend, dass wir viele Themen haben werden, die bislang die typische Schlafmedizin nicht erreicht haben – so gibt es mehrere Symposien zum weiten Feld Ernährung und Schlaf, aber z.B. auch zu Hypnose als Therapieform.

    Sylvia Kotterba: Die Bedeutung des Orexins für Hypersomien und Insomnien war lange bekannt. Jetzt gibt es Medikamente, die genau an der Ursache ansetzen. Zum Kongress sind vielleicht noch nicht alle zugelassen, aber können schon vorgestellt werden. Wir können also mehr als Symptome behandeln. Die Kapazität in den Schlaflaboren nimmt ab. Gerade für nächtliche Bewegungsstörungen sind Videos unersetzlich, die mit modernen Smartphone-Kameras schon eine gute Qualität haben. Daher haben wir die neue Form des Videosymposiums eingeführt. Ebenfalls spielen Telemedizin und KI eine zunehmende Rolle, auch hier wird der aktuelle Stand dargestellt. Neu ist weiterhin der Punkt Ethik in der Schlafmedizin und die damit verbundene Fragestellung, ob die vorhandene Diagnostik und Therapie für jede/n Patienten/in sinnvoll ist.

    Was sind hot topics der Schlafforschung aktuell?

    Andrea Rodenbeck: Wesentliche Punkte, die sich auch auf dem Weltschlafkongress zeigten, sind sicherlich die KI mit der Möglichkeit big data zu verarbeiten und mit daraus entwickelten Algorithmen die Auswertung von Schlafdaten, und damit die Diagnostik und Therapie, zu verbessern. Dazu gehört auch der der Umgang der Schlafmedizin mit sogenannten wearables, also Dingen wie Smartwatches, Fitnesstracker usw. Ein weiterer hot topic ist die zunehmende Kenntnis der grundlegenden Mechanismen, die den Schlaf eng mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer verbinden.

    Sylvia Kotterba: Hot topics sind die Erkenntnis der Bedeutung der Orexine in der Hypersomnie und Insomnie, technische Lösungen (DIGA, KI) zur Therapie in der Schlafmedizin. Wichtig ist es, Erkenntnisse der Schlafphysiologie in die moderne Gesellschaft einzubringen (Stichwort Schichtarbeit, Biorhythmus, genderspezifisches Schlafverhalten) und die Nutzung der KI, auch zum Beispiel zur Unfallvermeidung wie beim Sekundenschlaf am Steuer.

    Nennen Sie bitte drei Punkte, die es bräuchte, damit sich die Versorgungsrealität in der Schlafmedizin verbessern würde!

    Andrea Rodenbeck: Schlafmedizin wird immer noch von sehr, sehr vielen als reine Schlaflabormedizin zur Diagnostik und Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörungen wahrgenommen. Wenn es mehr Fortbildung schon für HausärztInnen gäbe, und/oder SchlafmedizinerInnen relativ früh in den diagnostischen Prozess eingebunden wären, könnten auch PatientInnen mit anderen Schlafstörungen, die insgesamt ja die Mehrheit der schlafgestörten Betroffenen stellen, viel früher einer adäquaten weiteren Diagnostik und Therapie zugeleitet werden. Die Versorgungsrealität in Deutschland krankt an dem differenzierten System aus ambulanter und stationärer Versorgung, was viel Energie aller Beteiligten schluckt. Die Einbindung als Hybrid-DRG könnte eine Lösung sein. Dazu gehört dann eine Qualitätskontrolle der ausführenden Praxen, MVZs, Krankenhäuser usw., die bundesweit gleich sein sollte, und auch den Namen Qualitätskontrolle verdient. Solange dies nicht so ist, sollten bereits qualitätskontrollierte Einrichtungen finanziell bessergestellt werden. Dies gilt z.B. für bereits vortherapierte Betroffene, die dann mit entsprechend negativer Einstellung letztlich doch in qualitätskontrollierten Zentren landen – und dort mit mehr Mühe und Zeitaufwand therapiert werden.

    Sylvia Kotterba: Schlafmedizin sollte schon im Studium einen Stellenwert haben. Zudem wären eine bessere Vergütung der schlafmedizinischen Leistung, größere Schlaflaborkapazitäten und entsprechende Zertifizierung sowie Spezialisierung der einzelnen Labore auf spezifische schlafmedizinische Erkrankungen wichtig. Optimalerweise sollten sie in einem größeren Verbund vernetzt sein, um zu kooperieren und die Patienten entsprechend zu leiten.

    Verraten Sie uns noch Ihr jeweiliges Kongress-Highlight? Worauf freuen Sie sich am meisten?

    Andrea Rodenbeck: Mein Highlight ist klar das Hauptsymposium am Freitag. Da ist es uns als Tagungsleiterinnen gelungen, Referenten zu gewinnen, die bisher wenig Kontakt zur DGSM hatten, aber sehr spannende Forschung machen und genau unsere Zielsetzung von der Grundlagenforschung zu Diagnostik und Therapie darstellen. Es geht los mit den molekularbiologischen Grundlagen, die nicht nur bei Würmern nachweisbar, sondern auch bei uns Menschen gültig sind. Nachdem wir seit Jahren wissen, dass der Schlaf für die Konsolidierung von Gelerntem das Tüpfelchen auf dem I ist, werden wir nun noch lernen, warum bei diesen Prozessen die Atmung eine wichtige Rolle spielt. Dass Schlaf eine wesentlich immunbiologische Funktion hat, wissen wir, aber wie groß die Rolle von Schlaf, Müdigkeit und Fatigue schon lange vor Covid-19 ist, dürfte den meisten von uns erst in diesem Symposium deutlich werden.

    Sylvia Kotterba: Da kann ich mich nur anschließen: das Highlight ist das Hauptsymposium am Freitag, welches unser Tagungsmotto klar verkörpert.

    Pressekontakt für Rückfragen/Interviewanfragen:
    Romy Held
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: 0173/5733326
    E-Mail: romy.held@conventus.de


    Weitere Informationen:

    https://www.dgsm-kongress.de
    https://www.dgsm.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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