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04.11.2025 09:30

Sichere Bergung und Entsorgung von Munition im Meer – die Rolle des Fraunhofer ICT

Manuel Fuchs Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT

    Das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT beteiligt sich in mehreren Projekten an der Bergung und fachgerechten Entsorgung von Munition, die sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Nord- und Ostsee verklappt wurde. Das Bundesumweltministerium geht von 1,6 Millionen Tonnen allein in deutschen Hoheitsgewässern aus, die langsam verrosten oder verrotten und eine Gefahr für Umwelt, Gesundheit und Sicherheit darstellen, Schifffahrt, Fischerei und Tourismus bedrohen.

    Besonderes Augenmerk legt das Fraunhofer ICT in den Projekten auf die Verfahrenssicherheit des Entsorgungsprozesses – ein weites Feld, das etwa beim Freilegen und Bergen einer Granate beginnt und bis zum Schornstein des Detonationsofens reicht, wie es Armin Keßler, Experte des Fraunhofer ICT, grob umreißt.

    Ein Nadelöhr im aktuellen Entsorgungsprozess sind die verfügbaren Detonationsöfen sowie deren Standorte beispielsweise in Munster in der Lüneburger Heide, selbst wenn dort eine Verdoppelung der Kapazitäten von zirka 10 auf 20 kg Sprengstoff pro Stunde vorgesehen ist. »Wir können aus sehr grundsätzlichen Sicherheitsüberlegungen keine Lastwagen mit geborgener Munition durch den Elbtunnel fahren lassen«, erklärt Keßler. Deshalb sei eine Bergung und Entsorgung vor Ort in teilautomatisierten, eigensicheren Prozessen mit um den Faktor 20 bis 50 höherer Kapazität das Forschungsziel. »An der thermischen Entsorgung führt zurzeit kein Weg vorbei«, sagt Keßler. Der überkritischen Nassoxidation als Entsorgungsalternative räumt er Chancen ein, doch marktreife und standfeste Anlagen sind auf absehbare Zeit noch nicht verfügbar.

    Die Sprengkörper sind nach Jahrzehnten unter Wasser nicht mehr kontrolliert zündbar. Die Sprengkraft einer forcierten Zündung von außen ist jedoch immer noch genauso hoch. Der Gedanke: ›Das ist doch nass, was soll da zünden?‹ ist falsch. Sprengstoff hat den Sauerstoff, den er zur Zündung benötigt, in seinen Molekülen gebunden – das unterscheidet Sprengstoffe von Brennstoffen wie Benzin, Erdgas und Wassersstoff«, erklärt Keßler.

    Doch bisweilen stellt die bloße Bergung verklappter Munition die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Schwierigkeiten. »Im Versenkungsgebiet ›Kolberger Heide‹ an der Kieler Förde liegen rund 11.000 nicht transportsichere Ankertauminen. Geht man da nicht mit größter Vorsicht vor, ist mit einem hohen Eintrag von Schadstoffen ins Wasser zu rechnen. Das wollen und müssen wir natürlich vermeiden!«, führt Keßler aus.

    Zur Jahrestagung des Fraunhofer ICT im Jahr 2026 ist eine Parallelveranstaltung mit dem Schwerpunkt »Entsorgung von Munition im Meer« geplant, um das Thema auch auf wissenschaftlicher Basis voranzutreiben. Zentrale Fragen betreffen die Unterstützung bei Entscheidungen zu Entsorgungsmethoden für ein spezifisches Szenario: »Alle Methoden haben Vorteile und Nachteile«, erklärt Keßler. »Wichtig ist uns, auf europäischer Ebene zu klären, warum eine Methode für eine bestimmte Räum-Aufgabe die am besten geeignete ist.«

    Räumprojekte mit Beteiligung des Fraunhofer ICT

    »Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee«, Sofortprogramm des Bundesumweltministeriums
    Das Fraunhofer ICT hat die Rolle eines Gutachters inne und beurteilt die Arbeitssicherheit, begleitet die Bergekonzepte sicherheitstechnisch und kümmert sich um die formale rechtliche Abwicklung. »Bis man mit der geborgenen Munition vom Hafengelände runter ist, durchquert man vier Rechtsräume. Das erleichtert das Vorhaben nicht unbedingt«, sagt Keßler.

    Die 1. Phase, die Sofortberäumung durch vier unterschiedliche Firmen, war Anfang September 2025 abgeschlossen. 60 Tonnen Munition wurden geborgen und dabei wertvolle Erfahrungen mit technischen, organisatorischen, formalen und genehmigungsrechtlichen Prozessen gesammelt. Die Munitionskörper wurden vorsortiert, klassifiziert und in Nasslagerbehälter abgestellt. Sie stehen nach wie vor im Meer, können jetzt aber automatisiert aufgenommen werden, Mittelkalibermunition kann sogar offshore entsorgt werden.

    Zuvor waren Bergungsvorgänge als Gefahrenabwehr etikettiert, was Notfalltransporte unter erleichterten rechtlichen Bedingungen ermöglichte. Die Munition wurde auf Sandbänken oder beim Kampfmittelräumdienst unschädlich gemacht. Jetzt sind alle relevanten Stellen wie Behörden, Naturschutzorganisationen und das Bundesschifffahrtsamt identifiziert und in den Lösungsweg einbezogen.

    Keßler ist zufrieden mit dem Zwischenstand: »Die Möglichkeiten und Grenzen sind getestet, man redet und philosophiert nicht mehr, sondern man handelt. Die Schwierigkeiten sind benennbar, das heißt, wir wissen jetzt, was uns erwartet, wie wir damit umgehen müssen, und was es kostet. Der flache Bereich der Lernkurve ist durchlaufen, Unwägbarkeiten drastisch reduziert.« Optimierungsbedarfe seien identifiziert, für eine zweite Beräumungsrunde seien die Projektpartner jetzt »um Größenordnungen besser vorbereitet«, so Keßler.

    https://www.bundesumweltministerium.de/WS7285

    MMinE-SwEEPER (Europäische Initiative zur Bergung von Altmunition aus den Meeren):
    In diesem Projekt erfüllt das Fraunhofer ICT zwei Hauptaufgaben. Zum einen identifiziert und beurteilt es die situationsadäquaten Entsorgungsmethoden im europäischen Kontext. Zum zweiten organisiert es das Umweltmonitoring mit hochempfindlicher und langzeittauglicher Sensorik, um Aufwirbelung und mögliche Austritte von Schadstoffen zu dokumentieren oder, wichtiger noch, zu unterbinden.

    Mit Blick auf den europäischen Kontext sieht Keßler auch einige nicht-technische Hürden: »Wir brauchen einen gemeinsamen Wortschatz und ein Verständnis dessen, was zu welchem Zweck untersucht werden soll, also eine Eingrenzung des Forschungsgegenstands.« Hier machten sich von Land zu Land verschiedene Eigenarten des Fachsprachgebrauchs bemerkbar. Außerdem sei der Blick von Militärangehörigen ein anderer als der von Kampfmittelräumdiensten, Wissenschaftlern und von Zivilisten, die das Thema Altmunition betreffe – zum Beispiel in der Frage, welche Priorität dem Umweltschutz zukommt. Das Fraunhofer ICT unterstützt und koordiniert die Abwägung und Kompromissfindung zwischen operativen Risiken, Ressourceneinsatz und Naturschutz.

    Außer dem Fraunhofer ICT sind an MMinE-SwEEPER beteiligt:
    • GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Projektkoordination)
    • Akademie der Küstenwache in Koszalin/PL
    • Deutsche Bundespolizei
    • Flanders Marine Institute VLIZ/B
    • Hydrografischer Dienst Frankreich
    • JPI Oceans/B
    • Institut für Ozeanforschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften
    • IQUA Robotics/E
    • Kampfmittelräumdienst Schleswig-Holstein
    • Königliche Militärakademie Belgien
    • Nationaler Forschungsrat Italien
    • north.io GmbH
    • SeaTerra GmbH
    • Universität Aarhus/DK
    • Universität Cranfield/UK
    • Universität Tromsø/N
    • Wehrtechnische Dienststelle der Bundeswehr für Schiffe und Marinewaffen, Maritime Technologie und Forschung

    Projektdauer: Oktober 2024 bis März 2028

    Die Europan Research Executive Agenty der Europäischen Kommission unterstützt das Projekt MMinE-SwEEPER im Rahmen des Forschungsförderprogramms Horizon Europe.

    BorDEx (Entwicklung und Bau eines ortsveränderlich betreibbaren Demonstrators zur thermischen Entsorgung von Explosivstoffen aus küstennahen Munitionsaltlasten)

    Das Projekt schafft eine Grundlage für bisher technisch noch nicht realisierbare Entsorgung kritischer Munitionsaltlasten im Küstenbereich. Durch den Bau eines mobilen Demonstrators soll die Entsorgung konventioneller, großkalibriger, schwer zu transportierender Munition aus maritimen Bereichen einen Schritt weiter zu einem Standardverfahren mit unterschiedlichen Einsatzorten geführt werden.

    Der Fokus liegt auf der Demonstrationsanlage der GEKA zur Entsorgung von Wasser/Sprengstoff-Gemischen. Großmunition, also Einheiten über 10 Kilogramm Nettoexplosivstoffmasse, muss mit Sägen zerteilt werden, damit man sie im Detonationsofen entsorgen kann. Sägen wiederum müssen gekühlt werden, was belastete Prozesswässer erzeugt.

    Außer dem Fraunhofer ICT sind an BORDEX beteiligt:
    • GEKA mbH (Konsortialführung)
    • Dussmann Industrial Automation
    • Dynasafe Environmental Systems GmbH
    • GEOMAR

    Die Fraunhofer-Gesellschaft mit Sitz in Deutschland ist die weltweit führende Organisation für anwendungsorientierte Forschung. Mit ihrer Fokussierung auf zukunftsrelevante Schlüsseltechnologien sowie auf die Verwertung der Ergebnisse in Wirtschaft und Industrie spielt sie eine zentrale Rolle im Innovationsprozess. Als Wegweiser und Impulsgeber für innovative Entwicklungen und wissenschaftliche Exzellenz wirkt sie mit an der Gestaltung unserer Gesellschaft und unserer Zukunft. Die 1949 gegründete Organisation betreibt in Deutschland derzeit 75 Institute und Forschungseinrichtungen. Rund 32 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, überwiegend mit natur- oder ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung, erarbeiten das jährliche Forschungsvolumen von 3,6 Milliarden Euro.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Armin Keßler, armin.kessler@ict.fraunhofer.de


    Bilder

    Bodenmine
    Bodenmine
    Quelle: Geomar
    Copyright: Geomar


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsprojekte, Kooperationen
    Deutsch


     

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