idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Gemeinsame Pressemitteilung des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) ► Europäische Konsummuster tragen maßgeblich zum Verlust der Biodiversität im Globalen Süden bei. Neue Studie von IÖW und ifeu zeigt die Auswirkungen des Konsums von Soja, Palmöl und Shrimps. Forschende geben Empfehlungen für eine koordinierte EU-Politik, um den globalen Fußabdruck zu verringern und nachhaltige Ernährung zu fördern, und zeigen: an Suffizienz führt kein Weg vorbei.
Berlin/Heidelberg, 6. November 2025 – 14 Tonnen Materialverbrauch pro Kopf – so groß ist laut Eurostat (2024) der Fußabdruck des Konsumverhaltens der Menschen in Europa. Ziel wären 5,5 bis 8 Tonnen, so das Umweltprogramm der Vereinten Nationen. Dieser Verbrauch trägt zum weltweiten Verlust von Biodiversität bei, besonders im Globalen Süden. Eine neue Studie vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) beleuchtet die Rolle der Produktion von Soja, Palmöl und Shrimps. Die Forschenden geben Empfehlungen für eine EU-Politik im Einklang mit Zielen des Biodiversitätsschutzes. Diese Woche wurden die Ergebnisse der Studie „Towards nature-friendly consumption“ im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz (BfN) auf einer Onlinekonferenz mit internationalen Expert*innen diskutiert.
Zielgerichtete EU-Politik kann globalen Fußabdruck verringern
„Der Verlust der biologischen Vielfalt ist keine unvermeidliche Folge des Konsums, sondern das Ergebnis politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen“, so Projektleiterin Julia Fülling, die am IÖW zu nachhaltigen Lebensstilen forscht. „Die EU kann ihren globalen Ressourcen-Fußabdruck erheblich verringern – mit koordinierten, auf Gerechtigkeit ausgerichteten Maßnahmen, die suffiziente Lebensstile attraktiv und umsetzbar machen.“
Shrimps, Soja und Palmöl als Treiber der Umweltzerstörung
Die drei Fallbeispiele der Studie verdeutlichen:
• Der Konsum von Shrimps ist in der EU stark gestiegen und die Zucht führte und führt weiterhin zu massiver Zerstörung von Mangrovenwäldern. Der europäische Shrimpskonsum benötigte 2018 rund 463.000 Hektar – eine Fläche fast doppelt so groß wie Luxemburg. Intensive Aquakulturmethoden verursachen erhebliche Umweltschäden. Durch deren Abwasser gelangen Nährstoffe, Chemikalien und Antibiotika in die Umwelt und schaden Ökosystemen. Dabei gäbe es Alternativen: nachhaltigere Zuchtmethoden könnten den ökologischen Fußabdruck zumindest verringern.
• Der Großteil des in der EU konsumierten Sojas wird als Tierfutter verwendet. Oft wird der Sojaanbau mit der Abholzung des Amazonas verbunden – dort ging die Entwaldung jedoch in den letzten Jahren zurück. Das Soja stammt nun zunehmend aus Monokulturen in empfindlichen Lebensräumen wie dem Cerrado und den Pampas in Südamerika. 2023 beanspruchte der Sojaanbau für EU-Importe rund 4,8 Millionen Hektar (entspricht circa der Fläche der Slowakei) und gefährdete die Biodiversität durch den Einsatz von Herbiziden und die Zerstörung natürlicher Ökosysteme durch Landumwandlung.
• Die Produktion von Palmöl führte in der Vergangenheit zur großflächigen Umwandlung tropischer Regenwälder. Heute gefährdet vor allem die Entwässerung tropischer Moore zahlreiche Arten und führt zu erheblichen CO₂-Emissionen. Die Emissionen werden neben der Entwässerung auch durch Moorbrände erhöht. Für den Import von Palmöl in die EU wurden 2023 1,5 Millionen Hektar Fläche benötigt, das entspricht etwa einem Drittel der Fläche von Estland.
„Der Konsum von Shrimps, Soja und Palmöl in der EU hat verheerende Auswirkungen auf die Biodiversität weltweit – etwa durch die Vernichtung von Biodiversitäts-Hotspots wie Mangrovenwäldern, Mooren und Savannen“, erklärt Susanne Köppen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ifeu, und betont: „Diese Entwicklung muss gestoppt werden.“
Ganzheitlicher Ansatz für Biodiversität und Klimaschutz: Suffizienz statt technischer Lösungen
Der Verlust der biologischen Vielfalt und der Klimawandel sind untrennbar miteinander verbunden und erfordern eine ganzheitliche Herangehensweise, empfehlen die Forschenden in ihrer Studie. Einzelne Ökosysteme oder Rohstoffe zu schützen, kann dazu führen, dass Umweltbelastungen lediglich verlagert werden, anstatt die zugrundeliegenden Probleme zu lösen. Darüber hinaus kann eine mangelhafte Nachhaltigkeitspolitik globale Ungleichheiten verschärfen, was als „grüner Kolonialismus“ bezeichnet wird. Um dies zu vermeiden, sollte Biodiversitätsschutz gemeinsam mit Akteuren der betroffenen Regionen gestaltet werden. Des Weiteren sind technische Lösungen wie Effizienzsteigerungen oder Substitution nicht ausreichend, um eine echte Transformation zu erreichen – das Leitprinzip sollte Suffizienz sein.
Politische Maßnahmen für eine nachhaltigere EU-Politik
Um eine tatsächliche Veränderung herbeizuführen, sollte die EU die Entwaldungsverordnung wirksam und sozialverträglich umsetzen sowie die EU-Richtlinie über Umweltaussagen (Green Claims Directive) zeitnah verabschieden. Darüber hinaus sollten schädliche Subventionen abgeschafft und durch preisliche Anreize für eine pflanzenbetontere Ernährung ersetzt werden. Der große Hebel, den die öffentliche Beschaffung bietet, sollte genutzt werden, indem dort Nachhaltigkeitskriterien verpflichtend gemacht werden. Eine effektive Nachhaltigkeitskommunikation an Konsument*innen muss zudem über generische Botschaften hinausgehen und sich auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Verbraucher*innen konzentrieren.
Hintergrund
Die Studie wurde im Projekt „Konsum naturverträglich gestalten“ veröffentlicht, das das IÖW und das ifeu im Auftrag des BfN mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMUKN) durchführten. Die Publikationen des Projekts umfassen neben einer Broschüre mehrere Fact Sheets und Policy Briefs. Sie erschienen in Zusammenarbeit mit der Working Group on Consumption and Biodiversity des One Planet networks.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Weitere Informationen:
• Fülling, J., Pentzien, J., Lutz, K., Köppen, S., Bolte, V., Giest, F. (2025): Towards nature-friendly consumption – Biodiversity impacts and policy options for shrimp, soy, and palm oil. Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn, DOI: [10.19217/brs255en] https://www.ioew.de/publikation/towards_nature_friendly_consumption
• Pentzien, J., Fülling, J. (2025): EU Deforestation Regulation in Action: Towards Just and Effective Implementation. Policy Brief #01/2025. Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn. https://www.ioew.de/publikation/eu_deforestation_regulation_in_action
• Fülling, J., Pentzien, J. (2025): Sufficiency for biodiversity: Governing consumption within ecological limits. Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn. https://www.ioew.de/publikation/sufficiency_for_biodiversity
• Köppen, S., Brasil, B., Cosse Braslavsky, C., Carcamo, R., Clark, G., Wulf, S. (2024): Implementing GBF Target 16: Addressing Biodiversity Impacts of Food Consumption. Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn. DOI: [10.19217/pol244en] https://www.ioew.de/publikation/implementing_gbf_target_16
• Köppen, S., Giest, F. (2025): Europas wachsende Lust auf Garnelen. Ein Blick auf die Biodiversitätskrise. Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn. https://www.ifeu.de/projekt/konsum-naturvertraeglich-gestalten-handlungsempfehlu...
• Köppen S., Giest, F. (2025): Palmöl und die EU. Wie europäischer Alltagskonsum den Verlust tropischer Torfmoore befeuert. Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn. https://www.ifeu.de/projekt/konsum-naturvertraeglich-gestalten-handlungsempfehlu...
• Köppen S., Giest, F. (2025): Die wahren Kosten von Soja. Wie der EU-Konsum die Biodiversität Südamerikas gefährdet. Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn. https://www.ifeu.de/projekt/konsum-naturvertraeglich-gestalten-handlungsempfehlu...
• Weitere Publikationen des One Planet networks: https://www.oneplanetnetwork.org/knowledge-centre/resources
IÖW-Pressestelle:
Richard Harnisch (Leitung), Antonia Sladek, Lara Schultz, Irma Perizonius
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
Tel.: 030 – 884 594-16
kommunikation@ioew.de
ifeu-Pressestelle:
Isabelle Haupt
ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH
Tel.: 06221 – 47 67 83
presse@ifeu.de
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) ist ein führendes wissenschaftliches Institut auf dem Gebiet der praxisorientierten Nachhaltigkeitsforschung. Rund 60 Mitarbeiter*innen erarbeiten Strategien und Handlungsansätze für ein zukunftsfähiges Wirtschaften – für eine Ökonomie, die ein gutes Leben ermöglicht und die natürlichen Grundlagen erhält. Das Institut arbeitet gemeinnützig und ohne öffentliche Grundförderung. Das IÖW ist Mitglied im „Ecological Research Network“ (Ecornet), dem Netzwerk der außeruniversitären, gemeinnützigen Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschungsinstitute in Deutschland.
http://www.ioew.de
Das ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg zählt zu den bedeutenden ökologisch ausgerichteten Forschungsinstituten in Deutschland. An den Standorten Heidelberg, Berlin und Hamburg sind aktuell über 120 Mitarbeiter*innen aus dem Bereich der Natur-, Ingenieurs- und Gesellschaftswissenschaften beschäftigt. In zahlreichen Forschungs- und Beratungsprojekten für nationale und internationale Auftraggeber sucht das ifeu wissenschaftlich, unabhängig, praxisnah, transdisziplinär, kreativ und ganzheitlich Antworten auf drängende Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen, wie z. B. eine umweltgerechte Ernährung und Lebensmittelwirtschaft. Das Institut ist gemeinnützig, wirtschaftlich eigenständig und finanziert sich ausschließlich über projektgebundene Mittel.
Das ifeu ist Mitglied im „Ecological Research Network“ (Ecornet), dem Netzwerk der außeruniversitären, gemeinnützigen Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschungsinstitute in Deutschland.
http://www.ifeu.de
Dr. Julia Fülling
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
Tel.: +49–30–884-594-84
julia.fuelling@ioew.de
Susanne Köppen
ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg
Tel.: +49–30–2844578-25
susanne.koeppen@ifeu.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Meer / Klima, Politik, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch

Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).