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Im Spider Silk Laboratory der MHH gibt es immer weniger Spinnennachwuchs. Kokons aus Australien sollen nun den Genpool auffrischen.
Seit mehr als 20 Jahren stehen Radnetzspinnen der Art Trichonephila edulis im Dienst der Forschung an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). In einem eigens für sie hergerichteten Raum im Labor für Regenerationsbiologie der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie leben die Achtbeiner und spenden ein wertvolles Produkt für neue Therapiemöglichkeiten: Spinnenseide. Doch die Population ist in die Jahre gekommen. Weil sich in der Laborzucht zwangsläufig über Generationen ausschließlich verwandte Tiere paaren, sind die Folgen inzwischen sichtbar: die Männchen werden unnatürlich groß, die Fruchtbarkeitsrate sinkt und es gibt immer weniger Nachwuchs. Um den Genpool wieder aufzufrischen und den Fortbestand der Spinnengemeinschaft zu sichern, hat Laborleiterin Dr. Sarah Strauß im Sommer 2024 Kontakt mit Australien aufgenommen, der ursprünglichen Heimat der Goldenen Radnetzspinne. Nach mehr als einem Jahr Warten sind Anfang September 2025 zwölf befruchtete Kokons in speziellen Transportbehältnissen nach Deutschland ausgeflogen und an die MHH geliefert worden. Mittlerweile sind die meisten Spinnen geschlüpft und leben bis zu ihrer Geschlechtsreife in Quarantäneterrarien im Spider Silk Laboratory.
Langes Warten auf Ausfuhrgenehmigung
Bis die Genehmigung der australischen Behörden zur Ausfuhr der Kokons vorlag, musste Dr. Strauß viel Energie aufbringen, Geduld üben und Rückschläge wegstecken. „Anfangs dachte ich, wir könnten die Spinnen einfach über einen Terraristikhandel bestellen“, sagt sie. Doch die Goldene Radnetzspinne war nicht lieferbar. Die Biologin wandte sich daraufhin an australische Behörden, um befruchtete Kokons zu erhalten. Aber die Ausfuhr lebender Tiere ist extrem reglementiert, nur gebürtige Australier dürfen unter hohen Auflagen Tiere außer Landes bringen. Dr. Strauß schrieb wissenschaftliche Einrichtungen, Universitäten und Zoos an und bat um Unterstützung. Der Kurator der Abteilung für Spinnentiere des „Australian Museum“ in Sydney antwortete als einziger und versprach zu helfen. „Er war ganz erstaunt, dass wir hier medizinische Forschung mit den Tieren betreiben und wollte uns gerne unterstützen.“ Doch obwohl die Goldene Radnetzspinne in Australien ähnlich wie die Kreuzspinne in Deutschland eine weit verbreitete Art ist, waren die Tiere nicht aufzufinden. Möglicher Grund: der Klimawandel. Ende Februar meldete sich der australische Kollege, er habe endlich Kokons gefunden. Doch damit hatte das Warten für die Biologin längst kein Ende.
Zentrales Tierlabor organisiert Transport
„Die australischen Behörden wollten umfangreiche Dokumente haben, angefangen von meinem Lebenslauf über meine wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Drittmittelförderungen, Ausstattung des Labors bis hin zu einer Stellungnahme des Bundesamtes für Naturschutz“, erinnert sich Dr. Strauß. Dann mussten die Kokons zur Begutachtung vorgelegt werden. Inzwischen wurde mit Hilfe des Zentralen Tierlabors der MHH der Transport organisiert, besondere Transportröhrchen mit Sterilfilter nach Australien geschickt, um die Kokons sicher und vor Keimen geschützt verpacken zu können und eine auf Tiertransporte spezialisierte Firma beauftragt, die Überführung der Kiste von Australien nach Deutschland zu betreuen. Nach veterinärmedizinischer Begutachtung am Frankfurter Flughafen brachte die Transportfirma die Kiste nach Hannover zum Zentralen Tierlabor. Dort folgte eine veterinärmedizinische Eingangskontrolle, bis die Kokons endlich in ihr neues Zuhause, das Spider Silk Laboratorium einziehen durften.
Spinnennachwuchs in Schmetterlingskäfig
„Einige Kokons liegen noch in speziellen Quarantänebehältern, die bereits geschlüpften Spiderlinge haben wir dagegen in Schmetterlingskäfige umgesetzt, die wir als Spinnen-Kinderstube nutzen“, erklärt die Laborleiterin. Die Mini-Spinnen leben dort noch nicht wie die ausgewachsenen Tiere als Einzelgänger, sondern in einem Gemeinschaftsnetz. In Teamarbeit fangen die Winzlinge ihre viel größere Beute: Fruchtfliegen, die das Institut für Zellbiochemie für die Aufzucht spendiert. Bis die Spiderlinge geschlechtsreif werden, dauert es sechs bis neun Monate. So lange besetzen ausschließlich die Laborspinnen den Raum, durch den kreuz und quer Äste und Bindfäden verlaufen wo die derzeit 25 Weibchen ihre Netze spannen. Die Bindfäden zeigen den nur wenige Millimeter großen Männchen, wo sie ihre viel größere paarungsbereite Partnerin finden können.
Erste Verpaarungen in Quarantäne
Ob das so auch mit dem australischen Neuzugang funktioniert, weiß Dr. Strauß noch nicht. „Unsere Spinnen stammen ursprünglich aus deutschen Zoos. Sie leben seit Generationen bei uns und könnten durch die Isolation ihre eigene Sprache entwickelt haben“, gibt die Biologin zu bedenken. Die Männchen zupfen am Netz, wenn sie in Kontakt mit den Weibchen treten wollen. Ob in der australischen Wildnis auf gleiche Art gezupft wird, ist noch unklar. Schon optisch unterscheiden sich die rötlichbraunen Neuankömmlinge von den cremefarbenen Laborspinnenbabys. Auch die Verträglichkeit der Seidenfäden muss in Zellkultur neu überprüft werden. „Ich gehe aber davon aus, dass es da keine Probleme gibt“, sagt Dr. Strauß. Die ersten Verpaarungen werden vorsichtshalber in Quarantäne erfolgen. Dann, so hofft die Biologin, wird es künftig wieder mehr besetzte Netze im Spider-Labor geben.
Vielfältiger Einsatz der Spinnenseide
Auch Professor Dr. Peter Vogt freut sich über den Spinnenzuwachs, der die Forschung und Anwendung mit der Spinnenseide auch in Zukunft ermöglichen soll. „Wir beschäftigen uns schon seit Jahren intensiv mit dem Einsatz im Bereich der regenerativen Medizin und haben viele Anwendungstechniken und Medizinprodukte entwickelt“, sagt der Klinikdirektor. Spinnenseide ist bekannt für ihre besonderen mechanischen Eigenschaften wie extreme Dehnbarkeit und Reißfestigkeit. An der Klinik wird der Haltefaden der Goldenen Radnetzspinne verwendet – sozusagen ihr Sicherungsseil, welches sie reflexhaft produziert. Die Seide ist extrem dünn, im menschlichen Körper vollständig abbaubar und eignet sich als Biomatrix zur Besiedlung mit Körperzellen. Die Fäden helfen bei der Rekonstruktion zerstörter Nerven sowie für die Gewebezucht, etwa beim Ersatz zerstörter Haut, Knorpel und Sehnen.
SERVICE:
Weitere Informationen erhalten Sie bei Dr. Sarah Strauß, strauss.sarah@mh-hannover.de.
Nachwuchs für das Spinnen-Labor: Die winzigen Spiderlinge der australischen Goldenen Radnetzspinne l ...
Copyright: Karin Kaiser/MHH.
Eine ausgewachsene weibliche Radnetzspinne.
Copyright: Karin Kaiser/MHH.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch

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