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Wissenschaft
Im Bereich der Parkinson-Therapie gibt es wegweisende Fortschritte. In der Entwicklung sind Zelltherapien, Gentherapien sowie Therapien mit Antikörpern und „small molecules“. Neben diesen vielversprechenden Behandlungsansätzen erachtet es Parkinson-Expertin und DGN-Präsidentin Prof. Dr. Daniela Berg, Kiel, jedoch für notwendig, einen Schritt davor anzusetzen und anhand individueller Exposom-Analysen zielgerichtete präventive Ansätze zu entwickeln. „Die Vision ist, möglichst viele Menschen davor zu bewahren, dass sie eine Parkinson-Erkrankung entwickeln“, sagte sie auf der Pressekonferenz im Vorfeld des DGN-Kongresses.
In Deutschland leben 300.000 bis 400.000 Menschen mit der Parkinson-Krankheit. Es kommt im Verlauf der Erkrankung zunehmend zu den charakteristischen motorischen Symptomen wie Zittern, Muskelstarre, Steifigkeit und Bewegungsverlangsamung. Typisch sind auch eine bewegungsarme Mimik sowie ein kleinschrittiger Gang mit Sturzneigung. Darüber hinaus leiden die Betroffenen auch häufig unter Blasenstörungen, Verdauungsproblemen, Schlafstörungen, kognitiven Beeinträchtigungen und Depressionen. In der fortgeschrittenen Krankheitsphase kann sich eine Demenz entwickeln.
Zelltherapie könnte eine Therapieoption für austherapierte Patientinnen und Patienten sein
Bei Parkinson kommt es zu einem Untergang von Nervenzellen, die Dopamin, einen Neurotransmitter, produzieren. Der Dopaminmangel löst dann die o. g. Symptome zumindest zum Großteil aus. Deswegen werden den Betroffenen Medikamente verschrieben, die den Dopaminmangel ausgleichen, wie Levodopa. Doch die Wirkung lässt im Verlauf nach und es treten Nebenwirkungen auf. Ab einem gewissen Punkt ist es einfach nicht mehr möglich, die Symptome mit dopaminerger Therapie ausreichend zu therapieren. Hilfreich in dieser Phase sind die Tiefe Hirnstimulation und auch der MRT-gesteuerte Hochfrequenzultraschall. „Diese Methoden kommen aber nicht für alle Betroffenen infrage und sind auch mit möglichen Nebenwirkungen und Limitierungen in der Langzeitwirksamkeit behaftet“, erklärt DGN-Präsidentin und Parkinson-Expertin Prof. Dr. Daniela Berg, Kiel.
Derzeit laufen internationale Studien zur sogenannten Zelltherapie. Dabei werden durch sogenannte Transkriptionsfaktoren veränderte Stammzellen in Hirnregionen implantiert, in denen Dopamin-Neurone bei Parkinson zugrunde gehen. Die implantierten Stammzellen sollen ihre Funktion übernehmen. Erste Ergebnisse einer Phase-1-Studie aus den USA [1] und einer Phase-1/2-Studie aus Japan [2] zeigen einen möglichen klinischen Nutzen. Diese positiven ersten Ergebnisse müssen nun in Folgestudien bestätigt werden. Prof. Berg hebt hervor, dass die pharmakologischen Entwicklungen im Bereich der Parkinson-Krankheit rasant sind, neben Zelltherapien befinden sich auch Gentherapien, Antikörpertherapien und „small molecules“ in der klinischen Erprobung. „Mit dem besseren Verständnis der Pathomechanismen wird es zunehmend möglich, zielgerichtete Therapien zu entwickeln, die kausal in das Krankheitsgeschehen eingreifen.“
Neue Perspektiven durch Erforschung von Einflüssen des Exposoms auf die Entstehung der Parkinson-Krankheit
Besonderes Potenzial sieht die Expertin aber darin, einen Schritt davor anzusetzen, nämlich krankheitsauslösende Mechanismen zu verstehen und entsprechend zielgerichtete präventive Ansätze zu entwickeln. Denn in den kommenden Jahrzehnten wird ein deutlicher Anstieg von neurodegenerativen Erkrankungen erwartet mit erheblichen sozioökonomischen Kosten [3, 4] – daher seien Präventivmaßnahmen dringend erforderlich. „Unsere Aufgabe ist es, die Zusammenhänge zwischen dem Exposom, also allen Stoffen, denen wir im Laufe des Lebens ausgesetzt sind, und Parkinson zu erforschen und über umweltbedingte oder durch Noxen verursachte Gesundheitsrisiken aufzuklären sowie ein Umdenken in der Gesellschaft und der Bevölkerung anzuregen – weg von dem Verständnis ‚Medizin repariert‘, hin zu dem Verständnis ‚Medizin bewahrt‘“, erläutert die Parkinson-Expertin.
Giftstoffe und Lösungsmittel
Bekannte Noxen, die das Parkinson-Risiko erhöhen, sind Pestizide, Lösungsmittel, Schwermetalle und Luftverschmutzung – hierbei sind besonders Feinstaubpartikel, Ozon, Stickstoff- und Schwefeldioxid sowie Kohlenmonoxid zu nennen. Bei der Luftverschmutzung werden neben direkt neurotoxischen Effekten auf das zentrale Nervensystem auch sekundäre Effekte über systemische, pulmonale oder enterale Inflammation diskutiert [5]. Neben Metallen wird auch die Verunreinigung von Trinkwasser mit industriellen Lösungsmitteln wie Trichlorethylen mit einem erhöhten Risiko für Parkinson in Verbindung gebracht. Goldman et al. [6] berichteten von einem mit 70 % deutlich erhöhten Parkinson-Risiko bei Soldaten des Marine Corps Base Camp Lejeune, in dem das Trinkwasser mit Trichlorethylen und Tetrachlorethylen verunreinigt war.
„Natürlich ist man als einzelner Mensch relativ machtlos diesen Einflüssen ausgesetzt, aber es zeigt deutlich, dass Umweltschutz auch Gesundheitsschutz ist und wir die Politik hier sensibilisieren müssen“, erklärt Prof. Berg.
Ernährung und Antibiotika
Eine wichtige Rolle spielt die Darm-Gehirn-Achse und Veränderungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms werden mit neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Es wurde gezeigt, dass Menschen mit Parkinson eine andere Mikrobiom-Zusammensetzung als gesunde Menschen haben. Die Darmflora enthält weniger entzündungshemmende und neuroprotektive Darmbakterien und dafür mehr seltene Darmbakterien, die das Entzündungsrisiko und die Durchlässigkeit der Darmwand für schädliche Stoffe erhöhen könnten [7, 8, 9].
Und die Ernährung hat einen direkten Einfluss auf das Darmmikrobiom: Es gibt Belege dafür, dass eine mediterrane Diät mit Salzreduktion (Mediterranean-DASH-Diät) sowie eine polyphenolhaltige Ernährung mit einem geringeren Parkinson-Erkrankungsrisiko einhergehen [10, 11, 12]. Reich an Polyphenolen sind u. a. Beeren, Nüsse, Samen, grüner Tee, dunkle Schokolade, Kräuter und Gewürze – z. B. Kurkuma (Curcumin) - , Ingwer, Olivenöl, Obst wie Äpfel, Birnen, Trauben (mit Schale) und Gemüse mit kräftiger Farbe (z. B. rote Zwiebeln, Spinat, Brokkoli). Polyphenole zeigten in Labor- und Tierstudien neuroprotektive Effekte durch mehrere sich ergänzende Mechanismen (antioxidativ, antiinflammatorisch, Hemmung von Proteinaggregation, Förderung von Autophagie/Mitophagie und Mitochondrienschutz).
Die Rolle von Antibiotika in Bezug auf das Parkinson-Risiko ist noch unklar. Eine Studie [13] zeigte, dass eine Breitbandantibiose zu einem proinflammatorischen Ungleichgewicht der Darmflora, zur enteralen Inflammation und zu einem erhöhten Proteinakkumulationsrisiko beiträgt. Andererseits könnten einzelne Antibiotika, die neuroinflammative Prozesse unterbinden, auch protektive Effekte haben.
Sport und Schlaf
Wie die DGN-Präsidentin betont, spielt das Exposom eine große Rolle – und leider lässt sich die Exposition gegenüber Schadstoffen nicht vollständig vermeiden. „Dafür können wir aber im Gegenzug unser Risiko für neurodegenerative Erkrankungen durch weitere Lebensstilmaßnahmen positiv beeinflussen und quasi ‚Punkte sammeln‘, um die Gesamtbilanz positiv zu halten.“ Als wichtige Maßnahmen nennt die Expertin ausreichend Schlaf (6 bis 8 Stunden) und Bewegung. So könne allein durch regelmäßige körperliche Aktivität das Parkinson-Risiko schon um 40 bis 60 % gesenkt werden [14–17]. „Eine Chance, die man nutzen sollte!“
Neu: der „Polyexposure Score“
„Natürlich sind eine Analyse und die Interpretation von individuellen Expositionen sinnvoll, um zu verstehen, wie wir hier bestmöglich ansetzen können“, erklärt Prof. Berg. Derzeit arbeitet die Expertin gemeinsam mit einer internationalen Forschungsgruppe an einem „Polyexposure Score“, mit dem sich das persönliche Exposom-Risiko einschätzen lässt. „Ein solcher Score ist ausgesprochen komplex und es wird noch etwas dauern, bis dieser routinemäßig eingesetzt werden kann. Aber so wird das Exposom Bestandteil des Rahmenkonzepts für die Parkinson-Krankheit und wir hoffen anhand des Scores persönlich zugeschnittene Präventionsempfehlungen erarbeiten zu können.“
[1] Tabar V, Sarva H, Lozano AM et al. Phase I trial of hES cell-derived dopaminergic neurons for Parkinson's disease. Nature. 2025 May;641(8064):978-983. doi: 10.1038/s41586-025-08845-y. Epub 2025 Apr 16.
[2] Sawamoto N, Doi D, Nakanishi E et al. Phase I/II trial of iPS-cell-derived dopaminergic cells for Parkinson's disease. Nature. 2025 May;641(8064):971-977. doi: 10.1038/s41586-025-08700-0. Epub 2025 Apr 16. PMID: 40240591; PMCID: PMC12095070.
[3] Dorsey ER, Bloem BR. The Parkinson Pandemic – A Call to Action. JAMA Neurol. 2018 Jan 1;75(1):9-10. doi: 10.1001/jamaneurol.2017.3299. PMID: 29131880.
[4] GBD 2019 Dementia Forecasting Collaborators. Estimation of the global prevalence of dementia in 2019 and forecasted prevalence in 2050: an analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. Lancet Public Health. 2022 Feb;7(2):e105-e125. doi: 10.1016/S2468-2667(21)00249-8. Epub 2022 Jan 6. PMID: 34998485; PMCID: PMC8810394.
[5] Murata H, Barnhill LM, Bronstein JM. Air Pollution and the Risk of Parkinson's Disease: A Review. Mov Disord. 2022 May;37(5):894-904. doi: 10.1002/mds.28922. Epub 2022 Jan 19. PMID: 35043999; PMCID: PMC9119911.
[6] Goldman SM, Weaver FM, Stroupe KT et al. Risk of Parkinson Disease Among Service Members at Marine Corps Base Camp Lejeune. JAMA Neurol. 2023 Jul 1;80(7):673-681. doi: 10.1001/jamaneurol.2023.1168. PMID: 37184848; PMCID: PMC10186205.
[7] Romano S, Savva GM, Bedarf JR et al. Meta-analysis of the Parkinson's disease gut microbiome suggests alterations linked to intestinal inflammation. NPJ Parkinsons Dis. 2021 Mar 10;7(1):27. doi: 10.1038/s41531-021-00156-z. PMID: 33692356; PMCID: PMC7946946.
[8] Talavera Andújar B, Aurich D, Aho VTE et al. Studying the Parkinson's disease metabolome and exposome in biological samples through different analytical and cheminformatics approaches: a pilot study. Anal Bioanal Chem. 2022 Oct;414(25):7399-7419. doi: 10.1007/s00216-022-04207-z. Epub 2022 Jul 13. PMID: 35829770; PMCID: PMC9482909.
[9] Vascellari S, Palmas V, Melis M et al. Gut Microbiota and Metabolome Alterations Associated with Parkinson's Disease. mSystems. 2020 Sep 15;5(5):e00561-20. doi: 10.1128/mSystems.00561-20. PMID: 32934117; PMCID: PMC7498685.
[10] Metcalfe-Roach A, Yu AC, Golz E et al. MIND and Mediterranean Diets Associated with Later Onset of Parkinson's Disease. Mov Disord. 2021 Apr;36(4):977-984. doi: 10.1002/mds.28464. Epub 2021 Jan 6. PMID: 33404118; PMCID: PMC8248352.
[11] Yin W, Löf M, Pedersen NL et al. Mediterranean Dietary Pattern at Middle Age and Risk of Parkinson's Disease: A Swedish Cohort Study. Mov Disord. 2021 Jan;36(1):255-260. doi: 10.1002/mds.28314. Epub 2020 Oct 20. PMID: 33078857; PMCID: PMC7894345.
[12] González-May CA, Barradas-Castillo MDR, Perera-Rios JH et al. Dietary flavonoids may have a protective and therapeutic effect in Parkinson disease: A systematic review. Nutr Res. 2024 Jan;121:39-50. doi: 10.1016/j.nutres.2023.10.004. Epub 2023 Nov 3. PMID: 38039600.
[13] Mertsalmi TH, Pekkonen E, Scheperjans F. Antibiotic exposure and risk of Parkinson's disease in Finland: A nationwide case-control study. Mov Disord. 2020 Mar;35(3):431-442. doi: 10.1002/mds.27924. Epub 2019 Nov 18. PMID: 31737957.
[14] Chen H, Zhang SM, Schwarzschild MA et al. Physical activity and the risk of Parkinson disease. Neurology. 2005 Feb 22;64(4):664-9. doi: 10.1212/01.WNL.0000151960.28687.93. PMID: 15728289.
[15] Yang F, Trolle Lagerros Y, Bellocco R et al. Physical activity and risk of Parkinson's disease in the Swedish National March Cohort. Brain. 2015 Feb;138(Pt 2):269-75. doi: 10.1093/brain/awu323. Epub 2014 Nov 18. PMID: 25410713.
[16] Xu Q, Park Y, Huang X, Hollenbeck A, Blair A, Schatzkin A, Chen H. Physical activities and future risk of Parkinson disease. Neurology. 2010 Jul 27;75(4):341-8. doi: 10.1212/WNL.0b013e3181ea1597. PMID: 20660864; PMCID: PMC2918886.
[17] Hamer M, Chida Y. Physical activity and risk of neurodegenerative disease: a systematic review of prospective evidence. Psychol Med. 2009 Jan;39(1):3-11. doi: 10.1017/S0033291708003681. Epub 2008 Jun 23. PMID: 18570697.
Weiterführende Literatur (Übersichtsarbeiten)
Atterling Brolin K, Schaeffer E, Kuri A, Rumrich IK, Schumacher Schuh AF, Darweesh SKL, Kaasinen V, Tolppanen AM, Chahine LM, Noyce AJ. Environmental Risk Factors for Parkinson's Disease: A Critical Review and Policy Implications. Mov Disord. 2025 Feb;40(2):204-221. doi: 10.1002/mds.30067. Epub 2024 Nov 27. PMID: 39601461; PMCID: PMC11832802.
Sakowski SA, Koubek EJ, Chen KS, Goutman SA, Feldman EL. Role of the Exposome in Neurodegenerative Disease: Recent Insights and Future Directions. Ann Neurol. 2024 Apr;95(4):635-652. doi: 10.1002/ana.26897. Epub 2024 Feb 27. PMID: 38411261; PMCID: PMC11023772.
Schäffer E, Piel J. Das Exposom im Fokus präventiver Maßnahmen für die Alzheimer- und Parkinson-Erkrankung [The exposome in the context of preventive measures for Alzheimer's and Parkinson's diseases]. Nervenarzt. 2023 Oct;94(10):892-903. German. doi: 10.1007/s00115-023-01538-9. Epub 2023 Aug 28. PMID: 37639074.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
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