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11.11.2025 16:32

Bildung als Schlüssel für Teilhabe: Frühe Förderung zahlt sich aus

Heike Köhn Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR)

    Nach wie vor ist der Bildungserfolg in Deutschland stark abhängig von der sozialen Herkunft und den damit verbundenen finanziellen Ressourcen sowie dem Bildungshintergrund der Familien. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund leben überproportional häufig in einkommensschwachen Familien und sind daher besonders benachteiligt. Das gilt vor allem für neuzugewanderte Kinder mit geringen Deutschkenntnissen und solche mit Fluchtbiografie. Das aktuelle Positionspapier des Sachverständigenrats für Migration und Integration (SVR) „Bildung als Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe“ beschreibt Wege zu einer chancengerechteren Bildung für alle.

    „Das Fundament für einen erfolgreichen Bildungsweg wird bereits in der Kita gelegt“, sagt Prof. Birgit Leyendecker, Mitglied im Sachverständigenrat für Integration und Migration und Expertin für frühkindliche Bildung. „Insbesondere Kinder, die zuhause nicht Deutsch sprechen und solche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien profitieren von einer frühzeitigen Förderung in der Kita.“ Kinder mit Fluchthintergrund haben wie alle anderen Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Betreuungsplatz, sobald sie das erste Lebensjahr vollendet haben. Jedoch nehmen selbst zugewanderte Eltern weniger oft einen Kitaplatz für ihre Kinder unter drei Jahren in Anspruch als in Deutschland geborene Eltern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. „Das liegt nicht an fehlendem Interesse bei den Eltern“, so Prof. Leyendecker. „Neuzugewanderte Familien sehen sich aber strukturellen Hürden gegenüber: Sie kennen sich häufig nicht genügend im deutschen Bildungssystem aus und fürchten eine wenig kultursensible Betreuung. Zudem erleben sie immer wieder Diskriminierung bei der Platzvergabe. Bei ärmeren Familien können selbst vergleichsweise geringe Kitagebühren eine Rolle spielen.“

    „Im Bildungsbereich lohnt es sich, in die Anfänge zu investieren und Zugangshürden für benachteiligte Gruppen zu senken. Das möglichst frühe Erlernen einer Sprache, bevorzugt alltagsintegriert in der Kita, und ein chancengerechter Zugang zu Bildung fördern die Integration und erleichtern den weiteren Bildungsweg. Bildung ist nicht nur ein Menschenrecht, das damit für alle in Deutschland lebenden Personen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus gilt, sondern ein wesentlicher Schlüssel zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Teilhabe“, so Prof. Havva Engin, Mitglied im SVR und Bildungsexpertin mit Schwerpunkt auf interkulturelle Bildung und Mehrsprachigkeit. „Wichtig ist eine durchgängige Sprachbildung, die mit den Sprachförderkonzepten der Grundschule verzahnt ist. Daher begrüßt der SVR, dass die Bundesregierung das Sprach-Kita-Programm wieder auflegen und fortführen möchte.“ Den Ländern empfiehlt der SVR, die sprachlichen Kompetenzen aller Kinder validiert zu erheben und auf dieser Basis Sprachförderung bedarfsgerecht anzusetzen.

    Die schulische Bildung sollte konsequent auf Potenzialentfaltung ausgerichtet werden. „Auch hier sollte ungleiches ungleich behandelt werden und Schulen in herausgeforderten Lagen, an denen häufig überproportional viele Kinder aus einkommensschwachen Familien und aus Familien mit Zuwanderungshintergrund lernen, sollten gezielt unterstützt werden. Sehr zu begrüßen ist das Startchancen-Programm von Bund und Ländern, das genau hier ansetzt“, so Prof. Leyendecker. Der SVR empfiehlt den Ländern, eine sozialindexbasierte Schulfinanzierung einzuführen oder auszubauen; Modelle hierzu gibt es bereits. Kinder und Jugendlichen mit Fluchtbiografie sollte auch in der Praxis ein rascher Zugang zu Schulbildung gewährt werden; die EU-Aufnahmerichtlinie sieht einen Schulzugang spätestens zwei Monate nach Stellung eines Asylantrags vor. „Dass neuzugewanderte Kinder und Jugendliche unabhängig von einem Fluchthintergrund teilweise in Vorbereitungsklassen eingeschult werden, kann für den Übergang und die erste Phase der Eingewöhnung und des Spracherwerbs sinnvoll sein. Inzwischen mehren sich aber Hinweise aus wissenschaftlichen Studien, dass sie auf Dauer weniger gut geeignet sind, Kinder zu einem höherqualifizierenden oder überhaupt zu einem Schulabschluss zu führen. Der SVR empfiehlt den Ländern daher, möglichst früh eine Einmündung in die Regelklassen zum Standard zu machen“, erklärt Prof. Engin.

    „Für Kinder und Jugendliche mit Fluchtbiografie ist ein schnellerer Schuleinstieg wichtig, um ihnen einen Schul- oder qualifizierenden Berufsschulabschluss zu ermöglichen oder ihn nachzuholen. Da sie zum Teil unterbrochene Bildungsbiografien und Lernrückstände mitbringen und die deutsche Sprache erst lernen müssen, fallen sie sonst durch das Raster und bleiben dann ohne Schulabschluss – mit negativen Folgen für die weitere Berufslaufbahn. Dies gilt insbesondere für ältere geflüchtete Jugendliche oder junge Erwachsene, da zum Ende des 18. Lebensjahres die Schul- und Berufsschulpflicht endet“, sagt Prof. Leyendecker. Der SVR empfiehlt daher den Ländern, die Berufsschulpflicht für geflüchtete junge Erwachsene auszuweiten; dies würde ihnen ermöglichen, die Sprache zu lernen und sich auf die Berufsausbildung vorzubereiten, damit sie diese dann auch erfolgreich abschließen können.

    „Sprachliche und kulturelle Vielfalt sind längst eine Normalität in deutschen Bildungsinstitutionen“, so Prof. Engin. „Und es sind schon viele Maßnahmen ergriffen worden, um Kitas, Schulen und Hochschulen auf diese Vielfalt einzustellen. Wir wissen allerdings nur ansatzweise, welche Effekte sie haben. Wir empfehlen daher, Maßnahmen konsequent zu evaluieren. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass Ressourcen bedarfsgerecht eingesetzt werden und Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer ethnischen oder sozialen Herkunft die gleiche Chance auf Bildungserfolg bekommen.“

    Der SVR empfiehlt in seinem Positionspapier weitere Maßnahmen für eine chancengerechte Bildung:
    • Die Sensibilität für Diversität in der Lehrkräftebildung stärken
    • Das Potenzial zugewanderter Pädagoginnen und Pädagogen nutzen
    • Brückenangebote bis zum Kita- oder Schuleintritt qualitativ hochwertig gestalten
    • Geflüchtete junge Frauen im Blick behalten
    • Studienerfolg durch Beratung und Unterstützung wahrscheinlicher machen

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    Über den Sachverständigenrat:

    Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Winfried Kluth (Vorsitzender), Prof. Dr. Birgit Glorius (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex, Ph. D., Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Panu Poutvaara, Ph. D., Prof. Dr. Hannes Schammann.

    Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de


    Originalpublikation:

    https://www.svr-migration.de/publikation/bildung-als-schluessel-fuer-gesellschaf...
    Das SVR-Positionspapier „Bildung als Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe“ kann hier heruntergeladen werden.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Wissenschaftler, jedermann
    Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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