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Ob Solarstrom, Wärmepumpe oder E-Auto: Immer mehr Energiequellen speisen dezentral ins Netz ein. Forschende des Zukunftslabors Energie untersuchen, wie digitale Steuerung und Simulation helfen, Schwankungen auszugleichen, Netzüberlastungen zu vermeiden und Emissionen im Wohnquartier deutlich zu senken.
Erneuerbare Energien spielen eine immer größere Rolle in der Stromversorgung. Laut Statistischem Bundesamt stammten im Jahr 2024 bereits 59,4 Prozent des in Deutschland erzeugten und ins Netz eingespeisten Stroms aus erneuerbaren Quellen – ein neuer Höchstwert. Diese Entwicklung stellt das Energiesystem vor neue Herausforderungen: Da Wind- und Solarenergie wetterabhängig sind, schwankt die Einspeisung ins Netz und erfordert eine flexible Steuerung. Für eine stabile Netzfrequenz von 50 Hertz müssen die Energieerzeugung und der Energieverbrauch ausgeglichen sein. Um die Netzstabilität trotz dieser Schwankungen zu gewährleisten, müssen Energiesysteme zunehmend digital gesteuert werden.
Eine Möglichkeit, kritische Ungleichgewichte zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch ausgleichen, sind Flexibilitäten. Zum Beispiel kann überschüssige Energie aus Solaranlagen für das Aufladen von Elektrofahrzeugen genutzt werden. Auch Gebäude können Energie zum Ausgleich des Energienetzes bereitstellen, z. B. über Stromspeicher und thermische Pufferspeicher.
Flexibilität in elektrischen und thermischen Speichersystemen
Wissenschaftler*innen des Zukunftslabors Energie untersuchten das Potenzial dezentral optimierter Flexibilitäten auf Basis betrieblicher Fahrpläne. Das bedeutet, dass sie die Flexibilitäten der einzelnen Gebäude separat analysierten (dezentral) und dabei prüften, zu welchen Zeiten die Energienutzung sinnvoll und effizient ist (betrieblicher Fahrplan).
Für ihre Analysen entwickelten sie digitale Modelle von verschiedenen Energiekomponenten (z. B. Photovoltaikanlagen, Energienetze, Gebäude) und simulierten das Zusammenspiel dieser Komponenten virtuell. Simulationen helfen dabei, Zusammenhänge und Abhängigkeiten der verschiedenen Energiekomponenten zu erkennen.
Für die Kommunikation der verschiedenen Energiekomponenten untereinander implementierten die Wissenschaftler*innen ein Multi-Agenten-System: Jede Komponente (z. B. Photovoltaikanlage, Batteriespeicher) hat einen Software-Agenten, der mit den Agenten anderer Komponenten kommuniziert. Darüber hinaus integrierten die Wissenschaftler*innen ein zentrales Energiemanagementsystem (EMS) in die Simulation. EMS koordinieren die Erzeugung, Speicherung und den Verbrauch dezentraler Energiekomponenten. Sie dienen dazu, auch übergeordnete Aspekte wie Spannungsniveaus und Transformatorlasten im Blick zu behalten, um das Energienetz insgesamt stabil zu halten.
„Die Ergebnisse zeigen, dass eine Optimierung der betrieblichen Flexibilität auf Basis von Fahrplänen dazu beiträgt, den durchschnittlichen Ladezustand der Speichersysteme zu senken, was auf eine mögliche Reduzierung der erforderlichen Speicherkapazität hinweisen könnte. Zudem wurde der parallele Stromverbrauch für die Pufferspeicher verringert, wodurch eine Überlastung des Stromnetzes vermieden werden kann“, erklärt Dr.-Ing. Fernando Penaherrera, OFFIS – Institut für Informatik.
Schließlich führte die Optimierung der betrieblichen Flexibilität in Verbindung mit dem zentralen Energiemanagementsystem dazu, dass die Anzahl kritischer Vorfälle im Energienetz verringert wurde. Das Niederspannungsnetz beträgt 230 V und darf maximal um 5 Prozent unter- bzw. überschritten werden, ohne dass die Netzstabilität gefährdet wird. In kritischen Situationen, z. B. wenn zu viele Elektrofahrzeuge gleichzeitig geladen werden, könnte der Toleranzbereich unterschritten werden, sodass das Netz instabil wird. Diesem Fall kann mithilfe der Flexibilitäten und des Energiemanagementsystems vorgebeugt werden.
Dezentrale Energietechnologien in einem Wohnquartier
Die entwickelten Modelle nutzten die Wissenschaftler*innen auch für Analysen zur Energieversorgung eines Wohnquartiers. Konkret ging es um das Quartier „Am Ölper Berge“ in Braunschweig, das 49 Wohngebäude mit mehreren Wohneinheiten umfasst und derzeit über das lokale Energieversorgungsunternehmen mit Strom und Wärme versorgt wird.
Die Wissenschaftler*innen analysierten, welche Auswirkungen eine steigende Integration dezentraler Energieerzeuger auf den gesamten Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen des Quartiers hat. Zu diesem Zweck untersuchten sie den Einsatz verschiedener Energietechnologien, die über die Jahre 2020, 2030, 2040 und 2050 zunehmen. Dazu gehören Wärmepumpen, Heizungsspeicher, Elektromobilität und deren Ladestationen sowie Verbesserungen in der Gebäudeisolierung und die Nutzung von Niedertemperatur-Fernwärmenetzen. Außerdem integrierten die Wissenschaftler*innen Datenmodelle für die Wetterdaten der jeweiligen Jahre.
Für den thermischen Energiebedarf der Quartiersgebäude nutzten sie ein Widerstand-Kondensator-Modell, das den Energiebedarf zu jedem Zeitpunkt modellieren kann. Für dieses Modell sind Daten wie Wandfläche, Wanddicke, Fensterfläche, Wärmedurchgangskoeffizient und weitere Parameter erforderlich.
Die Simulationen zeigen, dass eine bessere Isolierung und der damit verbundene geringere thermische Energiebedarf, die Nutzung effizienterer Wärmepumpen mit einem Niedertemperatur-Fernwärmenetz sowie die steigende Integration von Photovoltaik-Anlagen auf Dächern und Balkonen die Treibhausgasemissionen im Quartier um bis zu 75 Prozent reduzieren können. Insgesamt sinkt der gesamte Energiebedarf des Quartiers durch diese Maßnahmen. Um das Energienetz konstant stabil zu halten, ist jedoch die Implementierung eines intelligenten Energiemanagementsystems notwendig.
Technologiestörungen und ihre Folgen für das Energiesystem
Darüber hinaus simulierten die Wissenschaftler*innen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), z. B. die oben genannten digitalen Agenten der Energiekomponenten, und prüften, wie sich Störungen im Kommunikationssystem auf das Energiesystem auswirken.
Die Kommunikation im digitalen Energiesystem verläuft grob in drei Schritten: Meldung eines Ereignisses, Verarbeitung der Informationen und Ermittlung der Ursache, Durchführung von Optimierungsmaßnahmen. Ein Beispiel: Ein Steuerungsmechanismus stellt Veränderungen im Spannungsniveau fest und meldet dieses Ereignis dem zentralen Energiemanagementsystem. Dieses stellt erhöhte Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen fest und veranlasst, das Laden zu reduzieren.
Um die Auswirkungen von IKT-Störungen zu untersuchen, koppelten die Wissenschaftler*innen ein Modell der Netzkommunikation mit einem Modell des Energieversorgungsnetzes des Beispielquartiers und simulierten Verzögerungen in der Kommunikation sowie in der Berechnung der Optimierungsmaßnahmen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Verzögerungen kaskadenartig auf den Informationsfluss des gesamten Energiesystems auswirken. Das Stromnetz ist in extremen Fällen bis zu sechs Sekunden instabil, bevor es durch das Energiemanagementsystem stabilisiert werden kann. Hier müssen effektive Mechanismen entwickelt werden, um diese starke Latenz zu verringern.
Ansprechpartnerin für redaktionelle Rückfragen:
Kira Konrad B. A.
Marketing & Kommunikation
Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen (ZDIN)
Am OFFIS – Institut für Informatik, Escherweg 2, 26121 Oldenburg – Germany
Tel: 0441 9722-435
E-Mail: kira.konrad@zdin.de
www.zdin.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Energie, Informationstechnik
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch

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