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Armut im Alter ist ein wachsendes Problem, das neben der ökonomischen Dimension auch tief in soziale Strukturen und individuelle Lebensqualität eingreift. Armut schwächt das Vertrauen in Institutionen und die Demokratie (WSI-Verteilungsbericht 2025). Maßnahmen, etwa für mehr Teilhabe, sollten die Vielfältigkeit der Armutssituationen berücksichtigen. Das Forum Seniorenarbeit NRW im Kuratorium Deutsche Altershilfe schlägt Maßnahmen vor, die zu mehr Teilhabe beitragen können.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes liegt die Armutsgefährdungsquote älterer Menschen ab 65 Jahren in Deutschland bei 19,6 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2025). Besonders betroffen sind Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte, Alleinlebende sowie Personen mit gebrochener Erwerbsbiografie. Armut im Alter wirkt nicht isoliert – sie verschränkt sich mit anderen Faktoren wie gesundheitlicher Lage, Bildung, Herkunft oder Diskriminierungserfahrungen. Die Vielfalt älterer, armutsbedrohter Menschen erfordert deshalb differenzierte Analysen und passgenaue wie bedarfsorientierte Unterstützungsansätze (vgl. 9. Altersbericht).
Als vielschichtiges Phänomen betrifft Armut im Alter materielle, soziale und kulturelle Teilhabechancen.
Materielle Armut: Geringe Renten, Grundsicherung im Alter, hohe Wohnkosten, steigende Gesundheitsausgaben.
Verdeckte Armut: Viele Menschen nehmen keine staatlichen Leistungen (z. B. Grundsicherung) in Anspruch – aus Unwissenheit oder Scham (vgl. BAGSO 2025).
Schrumpfende Netzwerke und abnehmende Mobilität
Im Alter verändern sich soziale Netzwerke oft durch den Tod von Partner:innen, Freund:innen oder Geschwistern, den Auszug der Kinder oder räumliche Umzüge. Finanzielle Armut kann diese Prozesse beschleunigen oder verstärken. Wer über wenig Einkommen verfügt, hat oft geringere Möglichkeiten, bestehende Kontakte aktiv zu pflegen – etwa durch Besuche, Freizeitaktivitäten oder Vereinsmitgliedschaften.
Abnehmende Mobilität – sei es durch gesundheitliche Einschränkungen oder fehlende finanzielle Ressourcen für private Verkehrsmittel und ÖPNV (vgl. Bäcker & Kistler 2024) – führt zu einer Verengung des sozialen Radius. Hier verstärken sich Armut und Mobilitätseinschränkungen gegenseitig: Wer nicht mobil ist, baut Kontakte schneller ab, und wer weniger soziale Kontakte hat, hat weniger Anreize, mobil zu bleiben.
Die Vielfalt der Lebenswelt älterer Menschen spielt hier eine doppelte Rolle:
Soziokulturelle Unterschiede beeinflussen, wie Netzwerke aufgebaut und gepflegt werden (z. B. starke Familienorientierung in manchen Kulturen vs. Freundschaftsnetzwerke).
Individuelle Lebenslagen – etwa ob jemand in der Stadt oder auf dem Land lebt, welche Sprachen gesprochen werden, ob Barrieren für Menschen mit Behinderungen abgebaut sind – entscheiden darüber, ob vorhandene Mobilitätsangebote tatsächlich nutzbar sind.
Ein einheitliches Angebot reicht also nicht; notwendig sind flexible, kultursensible und barrierefreie Ansätze, um soziale Einbindung zu fördern.
Auswirkungen von Armut auf gesellschaftliche Teilhabe
Gesellschaftliche Teilhabe umfasst die Möglichkeit, am kulturellen, politischen und sozialen Leben mitzuwirken. Armut im Alter schränkt diese Möglichkeiten oft erheblich ein.
Kulturelle Teilhabe: Eintrittspreise, Fahrtkosten oder Konsumdruck in Veranstaltungsumfeldern können Teilhabe verhindern.
Politische Teilhabe: Wer von Existenzsorgen belastet ist, beteiligt sich oft seltener an politischen Prozessen, weil Energie und Zeit fehlen.
Digitale Teilhabe: Der Zugang zu digitalen Medien, der heute für viele gesellschaftliche Prozesse zentral ist, scheitert bei armutsbetroffenen, älteren Menschen oft an Geräte- und Internetkosten oder fehlender Unterstützung bei der Bedienung.
Hier wirkt sich Vielfalt erneut aus: Manche Gruppen (z. B. ältere Migrant:innen ohne sicheren Aufenthaltsstatus) erleben zusätzlich strukturelle Barrieren wie sprachliche Hürden oder Diskriminierung, die Teilhabe erschweren. Menschen mit Behinderung stoßen trotz kostenfreier Angebote oft auf bauliche oder kommunikative Barrieren.
Armut im Alter ist nicht nur eine Frage des Einkommens, sondern eng mit Ungleichheiten entlang verschiedener Diversitätsdimensionen verbunden. Intersektionale Perspektiven helfen, zu verstehen, wie Mehrfachdiskriminierungen wirken.
Perspektiven der Seniorenarbeit
Senior:innenarbeit, verstanden als professionelle und ehrenamtliche Unterstützung älterer Menschen, kann bei der Prävention und Abmilderung von Armutseffekten wichtige Impulse setzen. Armut im Alter ist ein zentrales Teilhabethema, das in der Senior:innenarbeit intersektional und diversitätssensibel adressiert werden muss. Teilhabe und Engagement können nur dann inklusiv wirken, wenn strukturelle Hürden abgebaut, Stigmatisierungen vermieden und armutsbetroffene ältere Menschen als Expert:innen in eigener Sache einbezogen werden.
Wichtige Handlungsansätze sind:
Sozialraumorientierte Angebote: Treffpunkte, Nachbarschaftscafés oder Stadtteilzentren, die kostenfrei oder sehr günstig sind, fördern soziale Kontakte, mindern Isolation und bieten Möglichkeiten zur Selbstorganisation.
Mobilitätsunterstützung: Kostenlose oder stark vergünstigte ÖPNV-Tickets, Rufbusse oder ehrenamtliche Fahrdienste erleichtern Teilhabe. Wichtig sind die barrierefreie Gestaltung und mehrsprachige Information.
Bildungs- und Kulturprogramme: Kostenfreie Kurse, Museumsbesuche oder Konzerte, oft in Kooperation mit lokalen Einrichtungen, ermöglichen kulturelle Teilhabe. Hier sollte auch digitale Bildung integriert werden, um Medienkompetenz und Zugänge zu fördern.
Beratung und Unterstützung: Seniorenbüros und Sozialberatungsstellen können bei Rentenfragen, Grundsicherung, Wohngeld und Vergünstigungen helfen. Eine kultursensible, diskriminierungsfreie Beratung ist entscheidend, um auch Menschen zu erreichen, die institutionelle Angebote bisher meiden.
Partizipation stärken: Beteiligungsformate wie Seniorenbeiräte oder Bürger:innenforen sollten gezielt auch armutsbetroffene und divers geprägte Gruppen einbeziehen, um nicht nur die Stimmen privilegierter Älterer zu hören.
Vielfalt als Querschnitt bedeutet hier, Angebote so zu gestalten, dass sie die unterschiedlichen Hintergründe, Ressourcen, Bedürfnisse und Barrieren berücksichtigen – von Sprache und Religion über Geschlecht und sexuelle Orientierung bis hin zu Beeinträchtigungen oder dem Wohnort.
Fazit
Armut im Alter ist ein komplexes, multidimensionales Phänomen, das sowohl strukturelle als auch individuelle Aspekte umfasst. Schrumpfende Netzwerke und abnehmende Mobilität sind zentrale Verstärker sozialer Isolation, während eingeschränkte Teilhabechancen die gesellschaftliche Marginalisierung vertiefen. Senior:innenarbeit kann hier gegensteuern – vorausgesetzt, sie denkt Vielfalt konsequent mit und entwickelt flexible, barrierefreie, kultursensible und sozialraumorientierte Angebote.
Christine Freymuth, Dr. Katrin Alert und Lena Kukowka, Forum Seniorenarbeit NRW: info@forum-seniorenarbeit.de
https://kda.de/armut-im-alter-ist-vielfaeltig-intersektionale-perspektiven-in-de...
Eine ältere Dame zählt Geld.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Politik
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch

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