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Ein funktionsfähiger Spermienschwanz ist für eine erfolgreiche Fortpflanzung unerlässlich. Fehler bei dessen Entwicklung führen oft zu Unfruchtbarkeit. Das zeigt auch eine aktuelle internationale Studie mit Würzburger Beteiligung.
Die Entwicklung funktionsfähiger Spermien ist ein hochkomplexer Prozess und eine Grundvoraussetzung für die männliche Fruchtbarkeit. Störungen in diesem Prozess sind eine häufige Ursache für Unfruchtbarkeit. Doch die molekularen Mechanismen, die den präzisen Aufbau eines Spermiums steuern, sind noch immer in weiten Teilen unbekannt. Eine besondere Herausforderung für die Forschung liegt in der extrem geringen Größe der beteiligten Zellstrukturen, die mit herkömmlichen Mikroskopen kaum zu erkennen sind.
Einem internationalen Forschungsteam ist es nun gelungen, mithilfe einer speziell weiterentwickelten Methode, der Ultrastruktur-Expansionsmikroskopie (U-ExM), die zelluläre Architektur von Keimzellen in höchster optischer Detailtiefe sichtbar zu machen und so die zentrale Rolle eines Proteinkomplexes bei der Bildung des Spermienschwanzes aufzuklären.
Erstmals wandte das Team diese Technik auf spezielle Substrukturen der männlichen Keimzellen an und konnte so zelluläre Bauteile physikalisch ausdehnen, ähnlich einem aufgeblasenen Ballon, um winzigste Details für die Analyse zugänglich zu machen. Dieser technologische Fortschritt war der Schlüssel, um die Umbauprozesse während der Spermienreifung zu entschlüsseln und ein entscheidendes molekulares Stützgerüst zu identifizieren.
Untersuchungen auf ultrastruktureller Ebene
Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht. Verantwortlich dafür waren Hiroki Shibuya und Yutaka Takeda vom RIKEN Center for Biosystems Dynamics Research in Kobe (Japan). Daran beteiligt war Manfred Alsheimer, Professor am Lehrstuhl für Zell- und Entwicklungsbiologie (Zoologie I) der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).
Alsheimer brachte dabei seine Expertise in der Elektronenmikroskopie ein, um die strukturelle Rolle eines bestimmten Proteins in der Spermienentwicklung mit aufzuklären. „Der Kollege aus Japan hatte mich hinzugezogen, um die Funktion dieses Proteins auch auf ultrastruktureller Ebene mittels Elektronenmikroskopie zu untersuchen“, erklärt Alsheimer. Zusammen mit den Daten aus der hochauflösenden Ultra-Expansion-Mikroskopie, die in der Gruppe des Kollegen in Japan erhoben wurden, lieferten die am Biozentrum durchgeführten elektronenmikroskopischen Analysen neue Einblicke in den dynamischen Aufbau der Zentriolen und in die Rolle des Proteins bei der Entwicklung des Spermienschwanzes.
Ein molekulares Stützgerüst als Anker für den Antrieb
Im Zentrum dieser Erkenntnisse steht eine Struktur, der Basalkörper, der als mechanische Verankerung für den Spermienschwanz dient. Die Forschenden entdeckten, dass während der Reifung der Spermien ein spezielles inneres Gerüst aus den Proteinen Centrin und POC5 in einem winzigen Organisationszentrum der Zelle, dem sogenannten distalen Zentriol, massiv verstärkt wird. Dieses Zentriol fungiert als Basis, an der die lange, bewegliche Geißel – also der Spermienschwanz – verankert ist.
Das Besondere an dieser Entdeckung: Diese gezielte Verstärkung ist eine hochspezialisierte Anpassung, die ausschließlich in Spermien vorkommt. In anderen Körperzellen, die ebenfalls geißelähnliche Strukturen (Zilien) ausbilden, findet dieser Prozess nicht statt. Die Analyse zeigte zudem, dass die Verstärkung Teil eines komplexen Reifeprogramms ist, das eine komplette Neuausrichtung der Architektur des Basalkörpers umfasst. Dazu gehört ein unerwarteter Geometriewechsel, bei der sich die räumliche Anordnung der beiden Zentriolen zueinander umkehrt, sowie eine gezielte Entfernung von Proteinen an der Spitze der Zentriolen. Doch welche Folgen hätte es, wenn dieses entscheidende Stützgerüst fehlt?
Ohne das Protein-Gerüst: Männliche Unfruchtbarkeit als direkte Folge
Um die exakte Funktion des Centrin-POC5-Gerüsts nachzuweisen, untersuchte das Team Mäuse, bei denen das POC5-Protein gentechnisch entfernt worden war. Die Ergebnisse waren eindeutig:
• Die männlichen Mäuse waren körperlich vollkommen gesund und zeigten keinerlei andere Entwicklungsstörungen.
• Alle bisher analysierten Männchen waren allerdings zu 100 Prozent unfruchtbar.
• Die detaillierte Analyse zeigte, dass durch das Fehlen von POC5 die strukturelle Integrität des distalen Zentriols gestört war und es sich pathologisch in einzelne Fasern aufspaltete und zum Teil sogar komplett auseinanderfiel. Ohne diesen stabilen Anker konnte sich keine funktionsfähige Geißel ausbilden.
Diese Ergebnisse belegen, dass das Centrin-POC5-Gerüst eine unverzichtbare Rolle speziell für die männliche Fortpflanzung spielt, während es interessanterweise für die Bildung ähnlicher Strukturen in anderen Körperzellen entbehrlich ist. Die Studie liefert damit ein grundlegendes neues Verständnis für die molekularen Ursachen bestimmter Formen männlicher Unfruchtbarkeit.
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wollen die Forschenden nun untersuchen, welche Faktoren diesen entscheidenden Umbauprozess in der Spermienentwicklung steuern. Obwohl es sich zunächst um Grundlagenforschung handelt, könnten diese Einblicke langfristig die Entwicklung neuer diagnostischer Ansätze für Unfruchtbarkeit ermöglichen. Die Studie entschlüsselt damit einen fundamentalen Mechanismus der Spermienbildung, der für den Erfolg der Fortpflanzung unerlässlich ist.
Prof. Dr. Manfred Alsheimer, Lehrstuhl für Zell- und Entwicklungsbiologie (Zoologie I), T: +49 931 31-84282, manfred.alsheimer@uni-wuerzburg.de
Centrin-POC5 inner scaffold provides distal centriole integrity for sperm flagellar Assembly. Yutaka Takeda, Eriko Kajikawa, Jingwen Wang, Morié Ishida, Manfred Alsheimer, Hiroki Shibuya. Science Advances, 3. Dezember 2025. DOI: 10.1126/sciadv.aea4045
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch

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