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04.12.2025 10:17

Zukunftsängste belasten Kinder und Jugendliche, aber sie verfügen über gute mentale Ressourcen

Saskia Lemm Unternehmenskommunikation
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

    Die Ergebnisse der achten Befragungsrunde der COPSY-Studie (Child Outcomes in PSYchology) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) zeigen, dass aktuelle gesellschaftliche Diskussionen bei Kindern und Jugendlichen eine große Rolle spielen. Neu ist, dass sich die junge Generation neben ihren Ängsten vor Kriegen und Terrorismus auch Sorgen um die Spaltung der Gesellschaft und Zuwanderung macht.

    Auch ist die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen immer noch schlechter als vor der Pandemie: Ein Fünftel berichtet von eingeschränkter Lebensqualität und psychischen Belastungen, besonders häufig betroffen sind Mädchen und junge Frauen ab 14 Jahren. Die Studie zeigt aber auch, dass Kinder und Jugendliche über gute Bewältigungsstrategien verfügen, um die momentanen Krisen zu meistern.

    „Unsere COPSY-Studie zeigt immer noch eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu den präpandemischen Daten. Aber nicht jedes Kind mit psychischen Belastungen muss auch behandelt werden – viele junge Menschen entwickeln starke Bewältigungsstrategien und verfügen über persönliche Ressourcen. Diese Stärken müssen wir gezielt fördern, idealerweise schon in der Schule, um ihre mentale Gesundheit nachhaltig zu stärken“, fasst Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der COPSY-Studie und Leiterin der Forschungssektion Child Public Health der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des UKE, die aktuellen Studienergebnisse zusammen.

    Lebensqualität und psychische Gesundheit nicht weiter verbessert
    Die Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen hatte sich zu Beginn der Pandemie in 2020 im Vergleich zu den präpandemischen Daten (der BELLA-Studie im Zeitraum von 2014 bis 2017) deutlich verschlechtert, dann in den Jahren 2022 und 2023 wieder verbessert und stagniert jetzt auf einem stabilen Niveau. 22 Prozent der jungen Menschen geben weiterhin eine geminderte Lebensqualität an. Damit liegt die Prävalenz noch etwa sieben Prozentpunkte über den Werten vor der Corona-Pandemie. Neu ausgewertet wurde der Verlauf der Einsamkeit. Hier ist das Ergebnis ähnlich wie bei der Lebensqualität: Fühlten sich während der Pandemie rund 39 Prozent der Kinder und Jugendlichen einsam, sind es aktuell noch 18 Prozent. Auch hier ist noch nicht wieder das präpandemische Niveau von 14 Prozent erreicht.

    Ängste und depressive Symptome stärker ausgeprägt bei jungen Frauen
    Die allgemeinen psychischen Belastungen sind ähnlich wie in den Vorjahren stabil geblieben. Allerdings ist es auffällig, dass Mädchen und Frauen ab 14 Jahren stärker von psychischen Belastungen betroffen sind als Jungen. Vor allem jugendliche Mädchen und junge Frauen berichten deutlich häufiger von depressiven Symptomen, hier stieg der Anteil im letzten Jahr von 11 auf 17 Prozent, sowie von Angstsymptomen, hier konnte ein signifikanter Anstieg von 20 auf 31 Prozent festgestellt werden.

    Deutliche Zunahme der Besorgnis über globale Themen und gesellschaftliche Diskurse
    Die COPSY-Studie zeigt auch, dass aktuelle gesellschaftliche Diskussionen und Krisen einen spürbaren Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben. Während die Folgen der Pandemie kaum noch eine Rolle spielen, setzen sie sich nun intensiv mit Themen wie Kriegen (70 Prozent), Terrorismus (62 Prozent), wirtschaftlicher Unsicherheit (57 Prozent) und der Klimakrise (49 Prozent) auseinander und erleben diese Entwicklungen als belastend. Neu erhoben wurden jetzt Fragen nach gesellschaftlicher Uneinigkeit und migrationspolitischen Herausforderungen: 56 Prozent der Befragten sorgen sich um eine Spaltung der Gesellschaft und 51 Prozent aufgrund von Zuwanderung.

    „Diese globalen Sorgen und gesellschaftlichen Diskussionen führen bei vielen jungen Menschen zu mehr Ängsten und Belastungen. Kinder und Jugendliche, die unter krisenbezogenen Zukunftsängsten leiden, haben ein 3,4 mal höheres Risiko für psychische Auffälligkeiten, Ängste, depressive Symptome und Einsamkeit. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass sie über soziale Medien häufig mit ungefilterten oder belastenden Inhalten konfrontiert werden, was diese Entwicklungen weiter verstärken. Kinder und Jugendliche brauchen eine gute Medienkompetenz, um Inhalte einzuordnen und ihre Nutzung regulieren zu können“, sagt Erstautorin Dr. Anne Kaman, Stellvertretende Leiterin der Forschungssektion Child Public Health der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des UKE.

    Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) für Schule und zum Spiel
    Ebenso haben die Forschenden festgestellt, dass KI bereits fest im Alltag von Kindern und Jugendlichen verankert ist. Am häufigsten wird KI zur Unterstützung beim Lernen im Bereich der Schule und bei den Hausaufgaben (77 Prozent) genutzt. Kinder und Jugendliche sehen KI aber nicht nur als Arbeitsmittel, sondern auch als Spiel- und Kreativwerkzeug: Spaß (66 Prozent), Neugier (56 Prozent) und Erstellen von Bildern/Videos (26 Prozent). Der soziale oder emotionale Einsatz spielt nur eine untergeordnete Rolle. „Wir haben mit Erleichterung festgestellt, dass nur ein sehr kleiner Teil von sieben Prozent der Kinder und Jugendlichen KI nutzt, um über persönliche Sorgen zu sprechen. Das deutet darauf hin, dass KI bisher nicht als emotionaler oder sozialer Ansprechpartner angesehen wird“, sagt Dr. Kaman.

    Intaktes soziales Umfeld schützt vor psychischen Beeinträchtigungen
    Kinder, die Selbstwirksamkeit erleben, in stabilen sozialen Verhältnissen leben und von unterstützenden familiären Strukturen profitieren, zeigen in der Regel eine robustere psychische Gesundheit und berichten seltener von Angst- oder Depressionssymptomen. Im Gegensatz dazu tragen Kinder aus bildungsfernen Haushalten, die unter engen Wohnbedingungen leben und deren Eltern psychisch belastet sind, ein deutlich erhöhtes Risiko für psychische Beeinträchtigungen. „Unsere Daten zeigen, dass diese Kinder häufiger Ängste, depressive Symptome und eine geringere Lebensqualität haben. Für diese Kinder und Familien braucht es niedrigschwellige Angebote in Schulen und im sozialen Umfeld, um diesen sozialen und gesundheitlichen Ungleichheiten zu begegnen“, sagt Prof. Ravens-Sieberer.

    Über die Studie
    In der COPSY-Studie untersuchen die UKE-Forschenden die Auswirkungen und Folgen der Corona-Pandemie und globaler Krisen auf die seelische Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Es ist das einzige langfristige Gesundheitsmonitoring in Deutschland, das sich mit der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen befasst. Insgesamt haben 3.312 Familien mit Kindern und Jugendlichen im Alter von 7 bis 23 Jahren an mindestens einer Befragungswelle der COPSY-Studie von Mai 2020 bis Oktober 2025 teilgenommen, an der achten Befragungswelle nahmen 1.607 Familien teil. Die 11- bis 23-Jährigen füllten ihre Online-Fragebögen selbst aus. Für die 7- bis 10-Jährigen antworteten die Eltern. Die Mehrheit der Eltern hatte einen mittleren Bildungsabschluss. Etwa ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen hatte einen Migrationshintergrund und ein Fünftel der Eltern war alleinerziehend.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer
    Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik
    Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
    Martinistraße 52
    20246 Hamburg
    Telefon: 040 7410-52992
    ravens-sieberer@uke.de


    Originalpublikation:

    Kaman, A, Ravens-Sieberer, U, et. al. Current Global Crises and Youth Mental Health in Germany: The Role of Media Use, Coping and Resources. December 2025, Preprint available at Research Square. DOI: https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-8260872/v1


    Bilder

    v.l. Dr. Kaman, Prof. Dr. Ravens-Sieberer
    v.l. Dr. Kaman, Prof. Dr. Ravens-Sieberer
    Quelle: Axel Kirchhof
    Copyright: UKE


    Anhang
    attachment icon Zukunftsängste belasten Kinder und Jugendliche, aber sie verfügen über gute mentale Ressourcen

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Pädagogik / Bildung
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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