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04.12.2025 10:28

Ausgeprägte Nocebo-Effekte bei Bauchschmerzen

Dr. Milena Hänisch Referat für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Essen

    Bauchschmerzen gelten wegen ihrer diffusen, schwer lokalisierbaren und häufig bedrohlich erlebten Natur als besonders anfällig für ungünstige Erwartungseffekte. Eine aktuelle Studie der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und der Universitätsmedizin Essen zeigt nun erstmals experimentell, dass Bauchschmerzen (viszerale Schmerzen) eine biologische Sonderstellung einnehmen: Sie sind besonders anfällig für starke Nocebo-Effekte.

    Dr. Jana Aulenkamp von der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin an der Universitätsmedizin Essen kommt zu dem Fazit, dass Behandler:innen bei Patient:innen mit Bauchschmerzen besonders erwartungssensibel kommunizieren sollten. Besonders tückisch ist: Auch negative Erfahrungen mit ganz anderen körperlichen Schmerzen können das viszerale Schmerzempfinden negativ prägen. Das Team um Prof. Sigrid Elsenbruch, Projektleiterin im Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“ (Behandlungserwartung) im Fachbereich Neurologie der Universitätsmedizin Essen, veröffentlichte mit ihrem Team die aktuelle Studie in der renommierten Fachzeitschrift PAIN im Oktober 2025.

    Immer wieder schmerzt der Bauch, der Darm, die Eingeweide – aber die Ursache ist unklar und verschiedene Behandlungen greifen nicht. Viele Betroffene mit chronischen viszeralen Schmerzen haben einige negative Diagnose- und Therapieerfahrungen im medizinischen Bereich erlebt. Patient:innen sind oft frustriert – auch von der Kommunikation mit Ärzt:innen. Enttäuschung setzt sich bei chronischen, schmerzhaften, therapieresistenten Beschwerden wie bei viszeralen Schmerzen und auch beim Reizdarmsyndrom, oft als negative Erwartung fest, was Nocebo-Effekte begünstigt. Die Psychologie-Professorin Sigrid Elsenbruch, Projektleiterin im Sonderforschungsbereich (SFB 289) „Treatment Expectation“ an der Universitätsmedizin Essen und Leiterin der Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Ruhr-Universität Bochum, erforscht wie Behandlungserwartungen die Bauchschmerzen und den Erfolg von Therapien beeinflussen. Mit ihrem Team untersuchte sie im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten SFB 289 an 101 gesunden Proband:innen wie Signale aus dem Darm und den darauffolgenden viszeralen Schmerz und im Vergleich dazu einen somatischen Hitzeschmerz auf der Haut am Unterbauch wahrgenommen werden. In einem komplexen Studiendesign, was an die klinische Realität angelegt war, förderte das Team negative Erwartungen bei den Proband:innen und untersuchte die Wirkung auf die Schmerzwahrnehmung. Vorerfahrungen mit Schmerzen war der zweite Aspekt, der als Einflussfaktor getestet wurde. Dies ist die erste experimentelle Studie, die Nocebo-Effekte auf das Erleben von Schmerzen aus dem Körperinneren und an der Körperoberfläche und die gegenseitige Beeinflussung geprüft hat.

    Das Ergebnis

    Die klinische Wissenschaftlerin Dr. med. Jana Aulenkamp fasst das Ergebnis zusammen: „Nocebo-Effekte sind bei viszeralen Schmerzen aus dem Körperinneren deutlich ausgeprägter und sie können durch Kommunikation, aber auch durch somatische Schmerzerfahrungen von der Körperoberfläche verstärkt werden.“ Diese Befunde bei Gesunden haben für Betroffene mit chronischen Schmerzen besonders weitreichende Implikationen, da sie häufig weitere Beschwerden aus unterschiedlichen Körperbereichen haben. „So ist es zum Beispiel denkbar, dass eine andere Schmerzerkrankung wie erlebte Rückenschmerzen, das Schmerzsystem hochreguliert, so dass dann Bauchschmerzen stärker wahrgenommen werden, auch wenn der Rückenschmerz längst vergangen ist“, erklärt Prof. Elsenbruch. Erfahrungen bei anderen somatischen Schmerzen übertragen sich somit auf den viszeralen Schmerz. Dr. Aulenkamp rät: „Behandle ich Patient:innen mit viszeralen Schmerzen, sollte ich mir bewusst sein, dass es Teil der individuellen Schmerzwahrnehmung ist, dass sie stark durch Kognition, Emotion und Erwartung beeinflussbar sind, insbesondere dann, wenn Betroffene unter verschiedenen Schmerzarten leiden."

    Die Darm-Gehirn-Achse

    Lange Zeit galten wiederkehrende Unterbauchschmerzen ohne nachweisliche Ursachen als typisch psychosomatische Beschwerden, die primär mit Stress zusammenhängen. Der Zusammenhang von Psyche und Darm ist aber sehr viel komplexer und vor allem keine Einbahnstraße vom Kopf zum Bauch, die alleine durch Stress verändert wird. Zwischen Gehirn und Eingeweiden besteht eine direkte Verbindung, die sogenannte Darm-Gehirn-Achse. Entlang dieser Achse läuft eine Kommunikation in beide Richtungen. Die Informationen werden als neuronale Signale des zentralen Nervensystems über den Vagusnerv weitergeleitet, aber auch mithilfe von Darmmikroben, Hormonen und Botenstoffen. Reizdarmpatient:innen zeigen zum Beispiel eine erhöhte Aufmerksamkeit für viszerale Reize und eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit. Verantwortlich sind die Störungen der Kommunikationswege entlang der Darm-Gehirn-Achse. Am Schmerzerleben und dessen Verarbeitung sind viele kognitive und emotionale Faktoren beteiligt. Stress und Angstgefühle können Nocebo-Effekte verstärken und die Funktionen der Gehirn-Darm-Achse beeinträchtigen.

    Gelungene Kommunikation bei viszeralen Schmerzen

    Eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation kann eine gute Basis darstellen, um langfristig die Störung der Gehirn-Darm-Achse zu minimieren und die spürbaren Symptome des viszeralen Schmerzes direkt zu reduzieren. „Durch eine empathische und aufmerksame Zuwendung in der Kommunikation mit Therapeut:innen sowie die Betonung positiver Therapieergebnisse, kann zumindest teilweise die Schmerzwahrnehmung quasi übeschrieben werden“, erklärt Prof. Elsenbruch. Das Autor:innenteam zieht aus der Studie an gesunden Proband:innen das Fazit: Wenn schon bei Gesunden die negative Erwartung bei viszeralem Schmerz viel relevanter ist als bei somatischen Schmerzen, sollte dies in der Klinik unbedingt stärker berücksichtigt werden.

    In der Gastroenterologie, Gynäkologie, Bauchchirurgie und Herzchirurgie sollten Behandler:innen gut kommunikativ geschult sein. „Man sollte in der Klinik wissen, dass Worte auf PatientInnen mit viszeralen Schmerzen viel stärker wirken, als bei einem verletzten Fuß“, weiß Dr. Aulenkamp.


    Originalpublikation:

    https://journals.lww.com/pain/fulltext/9900/unraveling_nocebo_effects_in_viscera...
    Aulenkamp JL, Pawlik RJ, Guddat C, Engler H, Kleine-Borgmann J, Icenhour A, Elsenbruch S. Unraveling nocebo effects in visceral pain: negative suggestion and adverse treatment experience uniquely shape visceral pain unpleasantness. Pain. 2025 Oct 20. doi: 10.1097/j.pain.0000000000003827. PMID: 41114660.


    Weitere Informationen:

    https://www.uni-due.de/med/meldung.php?id=1860


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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