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Eine neue Studie aus der Mathedidaktik der Universität Würzburg zeigt: Die KI-Forschung für den MINT-Unterricht fokussiert sich zu sehr auf Technik und vernachlässigt die ganzheitliche Entwicklung von Schülerinnen und Schülern.
Generative Künstliche Intelligenz (KI) wie ChatGPT ist in den Klassenzimmern angekommen und hat eine intensive Debatte über ihre Rolle in der Bildung ausgelöst. Denn diese Technologien stellen die fundamentale Frage, welche menschlichen Fähigkeiten in Zukunft überhaupt noch zählen. Eine neue, umfassende Literaturstudie hat nun systematisch den aktuellen Stand der Forschung analysiert. Ziel war es zu bewerten, wie KI die Bildung im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) voranbringen kann.
Verantwortlich für die Studie waren Professor Hans-Stefan Siller, Inhaber des Lehrstuhls für Mathematik V (Didaktik der Mathematik) der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und seine Wissenschaftliche Mitarbeiterin Alissa Fock. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen haben die beiden in der Fachzeitschrift International Journal of STEM Education veröffentlicht.
Als zentraler Maßstab für das Ideal einer „guten Bildung“ diente dabei das Konzept des „Menschlichen Gedeihens“ (Human Flourishing). Dieses beschreibt das Ziel, junge Menschen zu befähigen, ihr volles Potenzial zu entfalten, ein selbstbestimmtes, sinnvolles Leben zu führen und einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. „Es geht also um weit mehr als nur um die Steigerung kognitiver Leistungen“, erklärt Hans-Stefan Siller. Die Analyse der aktuellen Forschungslandschaft zeige jedoch gerade in diesem Bereich erhebliche Lücken auf.
Studien analysieren die KI, nicht den Menschen
Die Auswertung von 183 wissenschaftlichen Publikationen macht deutlich, dass die Forschung bisher primär technikzentriert ist. „Statt die Wirkung von KI auf Lernende und Lehrende zu untersuchen, konzentrieren sich die meisten Studien auf die Systeme selbst“, sagt Alissa Fock. Im Mittelpunkt der Forschung stehen demnach überwiegend die Leistungsfähigkeit der KI (35 Prozent) und die Entwicklung neuer KI-Tools (22 Prozent).
Besonders aufschlussreich sei dabei: „Von den 139 empirischen Studien in der Analyse untersuchten die Forschenden in rund der Hälfte der Fälle ausschließlich von KI generierte Inhalte, anstatt die Anwendung und Wirkung bei Schülerinnen, Schülern oder Lehrkräften zu beobachten“, kritisiert Siller. Dieser technozentrische Ansatz bringt seiner Ansicht nach die Gefahr mit sich, die eigentlichen pädagogischen Bedürfnisse in den Hintergrund zu rücken und das übergeordnete Ziel – die Förderung junger Menschen in ihrer gesamten Persönlichkeit – aus den Augen zu verlieren. „Dieser Tunnelblick auf die Technik führt dazu, dass weitere zentrale Aspekte der menschlichen Entwicklung vernachlässigt werden“, so Siller.
Ethik, Motivation und Vielfalt bleiben auf der Strecke
Die Analyse deckt weitere kritische Lücken in der bisherigen Forschung auf, die für eine ganzheitliche Bildung entscheidend sind:
• Ganzheitliche Fähigkeiten: Die Forschung fokussiert sich stark auf kognitive Aspekte. Die Förderung von nicht-kognitiven Fähigkeiten wie Motivation, Selbstvertrauen, kritisches Denken und ethisches Urteilsvermögen wird hingegen kaum untersucht.
• Ethische Fragen: Obwohl Themen wie Voreingenommenheit (Bias) in KI-Systemen oder Datensicherheit für den Schulalltag zentral sind, spielen sie in der aktuellen Forschungsliteratur kaum eine Rolle.
• Geografisches Ungleichgewicht: Die Forschung ist stark auf den Globalen Norden konzentriert (73 Prozent der Studien, davon allein 30 Prozent aus den USA). Dies birgt die Gefahr, dass Lösungsansätze entwickelt werden, die kulturelle Vielfalt und unterschiedliche Bildungskontexte weltweit ignorieren.
Die Schlussfolgerung der Studie ist eindeutig: „Die Forschung zu KI im Bildungsbereich muss den Menschen wieder stärker in den Mittelpunkt stellen“, so die Forderung der Autoren. Statt nur zu fragen, was technologisch möglich ist, müsse die zentrale Frage lauten, was junge Menschen benötigen, um in einer von KI geprägten Welt Sinn und Handlungsfähigkeit zu finden.
Lehrkraft und KI müssen zusammenarbeiten
Als konstruktiven Lösungsansatz schlagen Siller und Fock ein Modell für die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und KI vor. In diesem Modell nutzen Lehrkräfte die KI als Werkzeug, um zeitaufwändige Routineaufgaben zu delegieren, etwa die Erstellung von Übungsaufgaben oder ersten Entwürfen für Unterrichtspläne. Die entscheidende Rolle bleibe jedoch beim Menschen: Die Lehrkraft muss die von der KI erstellten Inhalte kritisch auf Fehler, Voreingenommenheit und pädagogische Eignung prüfen und sie mit ihrem Fachwissen und ihrer Praxiserfahrung anreichern.
Dieser Ansatz reduziere die Arbeitslast der Lehrkräfte, erhalte aber gleichzeitig ihre Autonomie und die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit, da die pädagogische Verantwortung und die finale Entscheidungskompetenz beim Menschen verbleiben. Um sicherzustellen, dass KI das Potenzial hat, die Bildung nachhaltig zu verbessern, ist nach Sillers und Fockes Ansicht weitere Forschung notwendig, die konsequent den Menschen und seine ganzheitliche Entwicklung in den Fokus rückt.
Prof. Dr. Hans-Stefan Siller, Lehrstuhl für Mathematik V (Didaktik der Mathematik),
T: +49 931 31-89867, hans-stefan.siller@uni-wuerzburg.de
Generative artificial intelligence in secondary STEM education in the light of Human Flourishing: a scoping literature review. Alissa Fock & Hans-Stefan Siller. International Journal of STEM Education, https://doi.org/10.1186/s40594-025-00589-5
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Informationstechnik, Mathematik, Pädagogik / Bildung
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch

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