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Wissenschaft
Chiralität – das Brechen der Links-Rechts-Symmetrie – ist in der Natur weit verbreitet, vom Schneckenhaus bis zur DNA-Spirale. In aktiver Materie – Systemen, die Energie verbrauchen – zeigt sich Chiralität noch häufiger in der Dynamik bewegter Einheiten, etwa im spiralförmigen Schwimmverhalten von Bakterien und Spermien. Trotz der Bedeutung fehlte Chiralität aber weitgehend in theoretischen Beschreibungen wechselwirkender aktiver Materie. Ein Forschungsteam hat diese Lücke nun geschlossen. Die Ergebnisse wurden in Advanced Science veröffentlicht.
Naturwissenschaft ist ein anspruchsvolles Handwerk. Sie hat das Ziel, die Welt um uns herum und die Prinzipien, nach denen die Natur funktioniert, bis ins kleinste Detail zu verstehen. Nur wenn wir möglichst viel über diese Prozesse wissen, können wir dieses Wissen sinnvoll nutzen, etwa um Medikamente zu entwickeln, Materialien zu optimieren oder neuartige Computer zu entwerfen. Die Theorie steht dabei meist einen Schritt vor dem Experiment: Theoretische Modelle geben vor, was Wissenschaftler später im Labor zu erwarten haben.
Reza Shaebani, Vertretungsprofessor für Theoretische Physik an der Universität des Saarlandes, hat gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam ein Modell entwickelt, das erklärt, wie Chiralität das Verhalten von Objekten in einem „aktiven System“ beeinflusst. Was das bedeutet, erläutert der Physiker so: „Aktive Materie – von wandernden Zellen und Vogelschwärmen bis hin zu synthetischen Mikroschwimmern – besteht aus Einheiten, die Energie aufnehmen und sich dadurch fortbewegen. Solche Systeme werden oft so behandelt, als würden sich ihre Bestandteile symmetrisch bewegen. In Wirklichkeit jedoch ist Chiralität eine allgemeine Eigenschaft aktiver Materie: Sowohl lebende als auch künstliche aktive Teilchen weisen eine gewisse Händigkeit und einen bevorzugten Rotationssinn in ihrer Bewegung auf. Trotz dieser Allgegenwart war bisher wenig darüber bekannt, welche Rolle Chiralität bei den Wechselwirkungen aktiver Teilchen spielt.“
Die neue Studie schließt diese Lücke und zeigt, dass die Dynamik aktiver Materie mit Chiralität wesentlich vielfältiger und komplexer ist als bisher angenommen. Was genau haben die Wissenschaftler getan, um zu dieser Erkenntnis zu kommen? „Wir haben in unseren Simulationen Objekte in eine aktive Flüssigkeit gegeben, in welcher die einzelnen Teilchen der Flüssigkeit einer bestimmten chiralen Bewegung folgen. Diese hinzugefügten Objekte haben je nach Form anders auf die Chiralität reagiert“, erklärt der Physiker Reza Shaebani. Verstärkten sie in ihren Simulationen die Chiralität, wenn die Flüssigkeit aus isotropen Teilchen (eher „kugelförmig“) bestand, wurden die isotropen Teilchen von einem sich insgesamt drehenden Schwarm zu vereinzelt um die eigene Achse rotierenden ‚Spinnern‘ (vom englischen „Spin“ = Drehung).
Bei einer Flüssigkeit aus anisotropen, länglichen Teilchen geschieht jedoch etwas Erstaunliches: Um die eingebetteten Objekte bilden sich spontan wirbelnde Strukturen. Bei einer bestimmten optimalen Chiralität entstehen dabei besonders ausgeprägte Wirbel. Befinden sich die hinzugefügten Objekte nahe beieinander, können sich diese Wirbel gegenseitig beeinflussen und stören, was zu häufigeren Kollisionen führt. Diese durch die Wirbel ausgelösten Kollisionen sind nicht nur ästhetisch interessant, sondern auch physikalisch bedeutsam. Unter optimalen Bedingungen können die daraus entstehenden Kräfte um mehrere Größenordnungen stärker sein als in nicht-chiralen Systemen, in denen sich die einzelnen Teilchen der Flüssigkeit ohne speziellen Rotationssinn bewegen. „Chiralität wirkt somit als verborgener Verstärker mechanischer Aktivität in lebenden und synthetischen Materialien“, fasst Reza Shaebani zusammen. Die mögliche Stärke dieser fluktuationsinduzierten Kräfte kann erklären, wie reale biologische Systeme – etwa das Zellskelett – überraschend große Kräfte erzeugen können, die zum Beispiel Organellen bewegen oder Zellmembranen verformen können.
Neben den grundlegenden Erkenntnissen eröffnet die Studie neue Designprinzipien für die Entwicklung aktiver Materialien. „Durch gezielt erzeugte Chiralität und Krümmung ließe sich steuern, wie Teilchen sich selbst anordnen. Oder man könnte Komponenten unterschiedlicher Händigkeit trennen. Die Ergebnisse könnten den Entwurf von Mikrorobotern, selbstorganisierenden Materialien oder bioinspirierten Systemen unterstützen, die chirale Bewegung nutzen, um Kräfte und Organisation auf der Mikroskala zu steuern“, entwirft Reza Shaebani potenzielle Szenarien, die seine Entdeckung in der Praxis nach sich ziehen könnte. Die Studie wurde durch den SFB 1027 an der Universität des Saarlandes unterstützt.
Interim Prof. Dr. Reza Shaebani,
Tel.: (0681) 3023964
E-Mail: shaebani@lusi.uni-sb.de
H. Fatemi, H. Khalilian, J. Sarabadani, and R. Shaebani, “Optimal Chirality Enhances Long-Range Fluctuation-Induced Interactions in Active Fluids.” Adv. Sci. (2025): e09539. https://doi.org/10.1002/advs.202509539
Reza Shaebani, Interimsprofessor für Theoretische Physik an der Universität des Saarlandes, hat simu ...
Quelle: Thorsten Mohr
Copyright: Universität des Saarlandes/Thorsten Mohr
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Physik / Astronomie
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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