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Um Menschenleben in Extremsituationen retten zu können, bedarf es der Umsetzung vorhandener Konzepte wie deren regelmäßiger Übung. Darauf machte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) vergangene Woche in einer Pressekonferenz im Rahmen ihrer Jahrestagung in Hamburg aufmerksam – und fordert mehr Initiative und Verantwortungsübernahme von allen Seiten – zum Wohle der Patienten. „Die überwiegende Mehrheit der Krankenhäuser in Deutschland hat eine sogenannte KAEP, also Krankenhausalarm- und -einsatzplanung, für Massenanfälle von Verletzten“, erklärte Professor Andreas Markewitz, medizinischer Geschäftsführer der DIVI.
„Aber in der Schublade nützen Pläne nichts. Wir müssen uns alle dringend mehr und aktiv damit auseinandersetzen, was genau im Ernstfall zu tun ist!“
Als Oberstarzt a.D. denkt Markewitz hier vor allen Dingen an den Bündnis- oder sogar Verteidigungsfall in Deutschland. Hierzu steht seit Längerem die Zahl „1000 Verletzte pro Tag“ nach Schätzungen der Bundeswehr im Raum. „In der Regel geht man von 20 Prozent Intensivpatienten aus, also 200 Personen pro Tag“, rechnete Markewitz vor. Diese Zahl an zusätzlichen Patienten setze das derzeitige System unter hohen Stress. „Und deshalb übt man das, um routinierter, professioneller und letztendlich qualitativ besser zu werden.“
„Wir brauchen Eigeninitiative und Weitsicht“
„Der durch eine Vollübung entstehende Finanzierungsbedarf von 50.000 bis 100.000 Euro pro Klinik muss verbindlich gedeckt werden“, zeigte Past Präsident Professor Felix Walcher auf. Bei Großübungen mehrerer Kliniken eines sogenannten Traumanetzwerkes, an denen auch Rettungsdienste, Polizei, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk eingebunden sind, seien jedoch bis zu 500.000 Euro fällig. „Bislang werden diese Übungen nicht in ausreichender Zahl durchgeführt, sie sind aber als Belastungstest einer Region dringend erforderlich“, betonte Walcher, Direktor des Instituts für Public Health in der Akutmedizin (IPHAM) der Universität Magdeburg.
Er selbst hatte nach den Anschlägen 2015 in Paris und 2016 auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz mit einer engagierten interdisziplinären und interprofessionellen Arbeitsgruppe in der Universitätsmedizin Magdeburg den Katastrophen-, Alarm- und Einsatzplan detailliert erarbeitet. Die Mitarbeiter aus allen Bereichen und Fächern des Klinikums wurden für solche Großschadensereignisse intensiv und regelmäßig geschult. „So wusste nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt vor knapp einem Jahr jede und jeder, was genau zu tun ist und wir konnten die 72 teils schwerstverletzten von den insgesamt 300 im Rahmen des Anschlags anfallenden Patientinnen und Patienten zügig versorgen“, sagte Walcher. „Und das Beispiel des Kollegen gilt für ganz Deutschland“, ergänzte DIVI-Generalsekretär Prof. Uwe Janssens. „Wir brauchen krisenfeste Krankenhäuser, damit Patientinnen und Patienten in außergewöhnlichen Lagen gut versorgt sind. Dafür müssen wir heute in Strukturen, Personal und Schutz der Kliniken investieren – besonnen, planvoll und ohne Alarmismus!“ Eigeninitiative und Weitsicht – das brauche es überall.
Nach Urteil gegen Triage-Gesetz: Neuer Leitfaden entsteht in DIVI-Arbeitsgruppe
Vorbereitet sein auf mögliche Versorgungsengpässe war zudem ein weiteres Stichwort für Janssens. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 4. November, das das derzeitige Triage-Gesetz kippte, fehlen gültige Empfehlung. „Wenn wir bei zu vielen Patientinnen und Patienten entscheiden müssten, wen wir behandeln, und wen nicht, was nicht nur in Kriegsszenarien der Fall sein könnte, dann ist es wichtig, dass wir Medizinerinnen und Mediziner hier nach bestem Wissen und Gewissen – und nicht gezwungen durch ein Gesetz – handeln können“, machte der Direktor der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital Eschweiler deutlich. Er selbst war einer der Kläger, die das Bundesverfassungsgericht angerufen hatten.
Nachdem dieses jetzt aber den Auftrag wieder an Bund und Länder gegeben hat, will die Fachgesellschaft schnell sein: „Wir sind bereits dabei, unsere Empfehlungen, die am Anfang der Corona-Pandemie entstanden sind, zu überarbeiten“, berichtete Janssens. Hierdurch soll eine Handreichung an die Bundesländer gehen, die konsentiert als neue Gesetzesgrundlage verabschiedet werden könnte, damit nicht am Ende 16 unterschiedliche Vorgaben in Deutschland existieren. „Wir sind Ärztinnen und Ärzte und wir wollen im Ernstfall Leben retten – so viele wie möglich“, erklärte Janssens. Deshalb auch hier: Initiative.
Unvorbereitet: Das Ende des Jahrzehnts kommt schneller, als man glaubt
So verwies die DIVI auf den Koalitionsvertrag der Bundesregierung: Hier ist festgehalten, dass grundsätzlich gesetzliche Rahmenbedingungen für den Gesundheitssektor und den Rettungsdienst im Zivilschutz, wie auch im Verteidigungs- und Bündnisfall geschaffen werden sollen. Allerdings müsse man sich in den Ressorts noch einigen, Verantwortungen festlegen und die Finanzierung klären.
„Der Bündnis- und Verteidigungsfall wird zum Ende des Jahrzehnts erwartet“, bemerkte deshalb der medizinische Geschäftsführer Markewitz. Walcher gibt folgendes Signal: „Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die jeden einzelnen Bürger betrifft. Die an der Notfall- und Katastrophenmedizin beteiligten Fachgesellschaften haben gemeinsam mit der Bundeswehr umfangreiche Konzepte zu Aus-, Fort- und Weiterbildung von medizinischem Fachpersonal, Materialbedarf, Logistik von Patientenverteilung, Kommunikation und Übungen. Wir brauchen nun von der Politik die gesetzlichen Rahmenbedingungen mit klar definierten Zuständigkeiten der Ressorts in Bund und Ländern sowie die Sicherstellung einer verbindlichen Finanzierung.“
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftspolitik
Deutsch

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