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Wissenschaft
Hunderte Jahre alte Sammlungen von getrockneten Pflanzen, sogenannte Herbarien, beschäftigen Forschende weltweit. Ihnen lassen sich nicht nur Informationen über die klimatischen Verhältnisse und CO2-Konzentrationen der vergangenen Jahrhunderte entlocken. Sie könnten auch Schlüssel enthalten, um heutige Nutzpflanzen resistenter gegen den Klimawandel zu machen und um Biodiversität besser zu erhalten. Aber wer waren die Menschen, die die Pflanzen sammelten? Und wie wählten sie diese aus? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Prof. Dr. Jan Baedke von der Ruhr-Universität Bochum.
Baedkes Arbeit wird vom Europäischen Forschungsrat mit 2 Millionen Euro für fünf Jahre im Rahmen eines Consolidator Grants gefördert. Das Projekt beginnt Mitte 2026.
Rund 400 Millionen Pflanzenexemplare sind in Herbarien weltweit konserviert. „Dieses unschätzbare Wissen wurde lange vernachlässigt“, sagt Jan Baedke, Professor für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte. Heute werden diese Schätze ausgegraben, die Pflanzen und ihre Metadaten digitalisiert, genetisch untersucht und die Ergebnisse mit Umweltdaten der Gegenwart zusammengebracht – in der Hoffnung, aus der Pflanzenevolution der vergangenen vier Jahrhunderte zu lernen, wie etwa etablierte Nutzpflanzen so weiterentwickelt werden können, dass sie trotz Klimawandel nutzbar bleiben.
Baedke interessiert sich für besondere Aspekte der Herbarien: die Namen lokaler und oft indigener Sammler*innen. Im Projekt „Botanical Legacies: Towards a New History and Philosophy of Virtual Herbaria“, kurz BOTLEG, erforscht er mit seinem Team, wer die Herbar-Belege angefertigt hat. „Oft waren das keine Wissenschaftler“, erklärt der Bochumer Forscher, „sondern indigene Akteure, die im Auftrag von Botanikern aus den USA oder Europa Pflanzen in ihrer Heimat sammelten. Eine einzelne Person kann zehntausende oder gar hunderttausende Exemplare und damit unzählige Biodiversitätsdaten zu heutigen Herbarien beigetragen haben.“
Fallstudien zu Sammlungen aus Indonesien und von der Yucatan-Halbinsel
Mit den Methoden der Digital Humanities möchte Baedke digitalisierte Herbarien durchforsten und in Archiven nach weiteren Informationen zu lokalen Sammler*innen suchen. „Letzteres ist Detektivarbeit“, beschreibt er. „Aber wenn man sich einmal in eine Geschichte dieser wichtigen Akteure vergraben hat, tun sich oft ganz neue Welten auf.“
Im ERC-Grant-Projekt BOTLEG nimmt Baedke in zwei Fallstudien historische Sammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts von der Yucatan-Halbinsel und aus Indonesien genauer unter die Lupe. Diese Orte sind zum einen interessant, weil dort viele wildlebende Pflanzenarten vorkommen, die genetisch eng mit heutigen Kulturpflanzen verwandt sind. Von ihnen lässt sich eventuell lernen, wie man Nutzpflanzen besser an künftige Bedingungen anpassen kann. Zum anderen haben diese Gebiete eine koloniale Geschichte, die den Wissenschaftler interessiert.
„In dem Projekt geht es mir darum, epistemische Ungerechtigkeiten offenzulegen, die lokale Akteure erfahren haben, beispielsweise, ob sie als Expert*innen nicht anerkannt wurden oder ihr Pflanzenwissen unterdrückt oder nicht verbreitet wurde“, erzählt Baedke. Warum haben sie Pflanzen gesammelt – und wo und wann? Waren ihre Sammlungen besser oder schlechter als die von Botaniker*innen?
Bias in den Daten finden
„Für die moderne Forschung ist es relevant zu wissen, ob die spezifische Art des Sammelns indigener Akteure oder Wissenschaftler und Ungerechtigkeit gegenüber lokalen Sammler*innen zu Bias in ihren Daten führte, etwa taxonomischer oder geografischer Bias, was Auswirkungen darauf haben kann, wie zuverlässig diese Biodiversitätsdaten sind und ob sie heute für Zukunftsprognosen herangezogen werden können oder nicht“, so Jan Baedke. Außerdem untersucht der Forscher im ERC-Projekt konzeptuelle und methodologische Probleme, die dabei entstehen, wenn digitale Daten aus den Herbarien mit völlig anders strukturierten Umweltdaten zusammengebracht werden. Zudem schwebt ihm für den Abschluss des Projekts eine virtuelle Ausstellung zu den größten lokalen Pflanzensammlern der Geschichte vor.
Zur Person
Jan Baedke studierte von 2003 bis 2010 in Bochum. 2014 schloss er an der Ruhr-Universität seine Doktorarbeit zu philosophischen Problemen der Epigenetik ab, also zu Vererbungsprozessen, die nicht unmittelbar auf Gene zurückzuführen sind. Es folgten verschiedene Forschungsaufenthalte an der City University of New York, National Autonomous University of Mexico City, University of Exeter, dem Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung in Wien und der University of Cambridge. Jan Baedke war 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie (Ernst-Haeckel-Haus) der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Anschließend kehrte er als Juniorprofessor zur Ruhr-Universität Bochum zurück und warb eine Emmy Noether-Gruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein. Seit Dezember 2025 hat Baedke die Professur für Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsphilosophie in Bochum inne.
Prof. Dr. Jan Baedke
Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsphilosophie
Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 24727
E-Mail: Jan.Baedke@ruhr-uni-bochum.de
Jan Baedke ist an der Ruhr-Universität Bochum Professor für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsge ...
Copyright: RUB, Kramer
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Geschichte / Archäologie, Philosophie / Ethik
überregional
Forschungsprojekte, Wettbewerbe / Auszeichnungen
Deutsch

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