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Der vollumfängliche Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die Länder Europas aufgerüttelt. Vielfach wird Sicherheit nun vor allem auf nationaler Ebene gedacht, auf Abschreckung und Verteidigungsbereitschaft gesetzt. Ein neuer KonKoop-Report zeigt weitere Optionen auf, insbesondere für die Staaten an der Ostflanke der NATO.
Der neueste KonKoop In:Security Report beginnt mit einer Feststellung: „Die Sicherheitsordnung Europas ist dysfunktional.“ Anstelle einer umfassenden Sicherheitsarchitektur für den gesamten Kontinent existiere eine „fragmentierte Vorstellung von Ordnung“ sowie sich überschneidende regionale Wirtschafts- und Sicherheitsformate. Die Herausgeberin der Reihe, Nadja Douglas, erkennt zwar die Notwendigkeit der Abschreckung an, aber sie lädt uns auch dazu ein, darüber nachzudenken, wie wir mit individuellen und kollektiven Ängsten und Wahrnehmungen von Sicherheit umgehen können. Dies gilt besonders für die „Staaten dazwischen“, die gespalten sind zwischen der Europäischen Union / NATO und Russland. Für deren „ontologische Sicherheit“, also das Gefühl von Planbarkeit und Verlässlichkeit zu sorgen, sei zentral für jedwede künftige Friedensordnungen, argumentiert Douglas. Der jüngste „Friedensplan“ der US-Regierung zeigt, was passieren kann, wenn diese Staaten außen vorgelassen werden. Die europäischen Staats- und Regierungschefs müssen nun dieser einseitigen Vision von Sicherheit etwas entgegensetzen.
Drei Fallstudien: Ukraine, Moldau und Polen
Der Bericht blickt über derzeitige einseitige Sicherheitsansätze hinaus und konzentriert sich auf Sicherheitsperspektiven „von unten“ sowie „dazwischen“. Wenig überraschend ist in der Ukraine derzeit Abschreckung die Devise. Yevgeniya Gaber beschreibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens dazu, dass genügend militärische Macht aufgebaut werden muss, um das Land zu verteidigen. Das östliche NATO-Mitglied Polen will ebenfalls abschrecken und investiert in den letzten Jahren fast 4,7 Prozent des BIP in die jährliche Verteidigung. Magdalena Jakubowska und Anna Kuczyńska stellen fest, dass die meisten Pol*innen dies befürworten. Aber zum ersten Mal seit 2022 sind mehr als die Hälfte der Pol*innen (55 Prozent) dafür, dass der Konflikt schnell gelöst wird, auch wenn die Ukraine dafür Gebiete an Russland abtreten müsste. Mit nur einem Prozent des BIP sind die jährlichen Verteidigungsausgaben der Republik Moldau im Vergleich zum Rest Europas ziemlich gering. Denis Cenusa zeigt, wie die derzeitige moldauische Regierung anderen Sicherheitsaspekten mehr Aufmerksamkeit schenkt, etwa indem sie die Energiesicherheit stärkt, konsequenter gegen Korruption vorgeht und russische Desinformation aktiver bekämpft. Der Sieg der pro-europäischen Partei von Präsidentin Maia Sandu bei den jüngsten Parlamentswahlen legt nahe, dass diese Strategie tragfähig ist.
Frieden: schwierig, aber nicht undenkbar
In seinem Beitrag empfiehlt Simon Weiß Instrumente, die Wege zu einer neuen Sicherheitsordnung in Europa eröffnen können. Angesichts der aktuellen Kultur der „Megafon-Diplomatie“ plädiert er dafür, eine Form der „stillen Diplomatie“ mit Russland wiederzubeleben, etwa in Form von Track 2 und 1.5 Dialogen – Formate, die sich bereits als hilfreich erwiesen haben, um kreativer zu denken, Spannungen abzubauen und Vertrauen zu fördern. Ein weiteres Instrument ist die „Friedensmatrix“: ein Modell, das den Weg zu mehr Sicherheit und zu einem nachhaltigen Frieden in der Ukraine und in Europa beschreibt. Es unterteilt den Friedensprozess in sehr konkrete, nicht verhandelbare Schritte, darunter Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
In einem weiteren Beitrag von Simon Weiß und Alexandra Dienes geht es um Meinungsumfragen in Russland und der Ukraine. Der Artikel fordert dazu auf, die öffentliche Stimmung als Ausgangspunkt für Fortschritte in der Diplomatie genauer zu betrachten. Der Bericht zeigt auf, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung in beiden Ländern deeskalative Maßnahmen, wie den Austausch von Kriegsgefangenen befürwortet. Und eine bedeutende Minderheit der Russ*innen (45 Prozent) ist bereit, die Souveränität der Ukraine anzuerkennen. Interessanterweise haben jüngere Russ*innen eine versöhnlichere Haltung zu wichtigen Themen. Nach Aussicht von Dienes und Weiß könnte dieser Generationenwechsel „langfristig die Aussicht auf Versöhnung bieten“.
Bericht auf Grundlage des KonKoop-Workshops
Dieser vierte und letzte KonKoop In:Security-Report basiert auf dem KonKoop-Workshop „Vision(en) für die europäische Sicherheit nach dem Krieg“, der am 22. Januar 2025 am ZOiS stattfand. Das Forschungsnetzwerk „Konflikt und Kooperation in Osteuropa“ (KonKoop) wird vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) gefördert. KonKoop untersucht verschiedene Konfliktkonstellationen und Kooperationsdynamiken in Osteuropa, Südosteuropa, Zentralasien und im Kaukasus. Es umfasst sechs wissenschaftliche Einrichtungen aus ganz Deutschland und ist mit vielen internationalen Partner*innen verbunden. Das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) ist der federführende Partner des Projekts. Dort koordiniert Nadja Douglas den Themenbereich „In:Security“ von KonKoop, der einen Bottom-up-Ansatz zu Sicherheit und Unsicherheit verfolgt. Die Ergebnisse werden regelmäßig in den KonKoop In:Security Reports veröffentlicht.
Dr. Nadja Douglas nadja.douglas@zois-berlin.de
Nadja Douglas, Simon Weiß, Yevgeniya Gaber, Denis Cenusa, Magda Jakubowska, Anna Kuczyńska, Alexandra Dienes: Perspectives on European Security: From Below and In Between, KonKoop In:Security Report 2/2025.
https://konkoop.de/index.php/f/perspectives-on-european-security-from-below-and-...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Politik
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch

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