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Forschende der Universität Konstanz und des Forschungszentrums Jülich realisieren kontrollierbare “Swarmalatoren”. Das sind Teilchen, die wie Lebewesen ihre Bewegung in Raum und Zeit miteinander koordinieren können.
Was in der Theorie schon lange vorhergesagt worden war, konnte ein Forschungsteam der Universität Konstanz und des Forschungszentrums Jülich erstmals auch experimentell realisieren – ein komplett kontrollierbares „Swarmalator“-System. Eine in Nature Communications veröffentlichte Studie zeigt: Die winzigen selbstangetriebenen Teilchen können ihre räumliche Bewegung koordinieren und sich dabei rhythmisch aufeinander abstimmen, ähnlich wie bei leuchtenden Glühwürmchen, japanischen Laubfröschen oder Fischschwärmen. Die Ergebnisse aus dem Experiment unterstreichen, wie kollektive Dynamiken aus ganz einfachen Wechselwirkungen entstehen können, ohne dass es eine übergeordnete Führung oder Kontrolle gibt. Ein möglicher Anwendungsbereich sind autonome Roboter-Schwärme.
Unter „Swarmalatoren“ versteht man schwärmende Oszillatoren. In diesen Systemen bewegen sich die individuellen Teilchen nicht nur, sondern schwingen auch, wobei sich Bewegung und Rhythmus gegenseitig beeinflussen. Im Tierreich ist diese Art der Kopplung weit verbreitet. Denken wir beispielsweise an die spektakulären Lichtspiele der Glühwürmchen: Die Tiere blinken synchron zu Artgenossen in ihrer Nähe, um Partner effektiver anlocken zu können. Japanische Laubfrösche orchestrieren ihre Paarungsrufe in verblüffend synchronisierten Klangmustern. Und in großen Fischschwärmen koordinieren Tausende von Fischen ihre Bewegungen, wobei jeder den Takt des anderen beeinflusst. Bislang konnte so ein Verhalten jedoch noch nie in einem kontrollierbaren physikalischen System umgesetzt werden.
Kollektive Bewegungsmuster im physikalischen Experiment
Veit-Lorenz Heuthe und Clemens Bechinger (Universität Konstanz) haben nun zusammen mit Priyanka Iyer und Gerhard Gompper (Forschungszentrum Jülich) ein mikroskopisches Swarmalatoren-Modell aus lichtgetriebenen Kolloid-Teilchen entwickelt (Kolloide sind mikroskopisch kleine Partikel, die in einer Flüssigkeit suspendiert sind).
Und das zeigte sich im Experiment: Ein Laser lenkt in einer Rückkopplungsschleife, wohin sich jedes der Teilchen bewegt. Dabei richtet es sich kontinuierlich zu einem Bezugspunkt aus. Die Neuausrichtung der Position geschieht aber immer mit einer kurzen Zeitverzögerung, wodurch eine kreisende, oszillierende Bewegung rund um den Bezugspunkt hervorgerufen wird. Wenn sich nun viele dieser Oszillatoren aufgrund von hydrodynamischen Strömungen in der Flüssigkeit gegenseitig beeinflussen, synchronisieren sie sich spontan und organisieren sich in komplexen Mustern. „Indem wir nur einen Parameter verändern, können wir die Ordnung der synchronisierten Gruppen auf rotierende oder komplett disperse Zustände umstellen”, sagt Veit-Lorenz Heuthe, der die Experimente durchführte.
Besonders bemerkenswert: Die Forschenden konnten erstmals beobachten, wie ein rotierender „Swarmalator“-Zustand entsteht. Dabei erzeugen synchronisierte Teilchen winzige kreisende Strömungsfelder, die sich zu einer kohärent drehenden Gruppe vereinen. Dies ist insofern erstaunlich, da auf die einzelnen Teilchen selbst kein Drehmoment wirkt. Stattdessen ergibt sich diese Rotation aus phasenabhängigen hydrodynamischen Kräften zwischen benachbarten Teilchen. Insgesamt entsteht dabei eine kollektive Bewegung, die Wirbelclustern stark ähnelt, wie sie in einigen biologischen Systemen – etwa Seestern-Embryonen oder Bakterienkolonien – beobachtet werden.
Das Team aus Jülich führte numerische Simulationen durch, die diese Effekte reproduzierten. So konnten die Forschenden zeigen, wie hydrodynamische Kopplung zu synchronisationsabhängigen Anziehungs-, Abstoßungs- und Seitenkräften führt. „Unsere Simulationen decken auf, welche Antworten fluide Strömungsfelder jeweils abhängig von Bewegung und Phase hervorrufen. Also das, was Swarmalator-Verhalten im Wesentlichen ausmacht“, erklärt Priyanka Iyer, die die numerische Modellierung vornahm. „Es ist faszinierend, dass so einfache Systeme die komplexen Gruppendynamiken von Lebewesen nachahmen können“, fügt Clemens Bechinger hinzu.
Da die Kopplungsstärke und Synchronisation der Teilchen exakt kontrolliert werden können, könnte das System auch als Modell für autonome Roboter-Schwärme dienen: Diese könnten sich spontan, also ohne zentrale Steuerung, koordinieren und Aufgaben teilen, so die Erwartung. Die Studie schafft eine vielseitige Grundlage, um weiter zu erforschen, wie komplexes kollektives Verhalten und Gedächtnis aus ganz einfachen Interaktions-Regeln erwächst. So bildet sie eine Brücke zwischen der Welt biologischer Kollektive und synthetischer aktiver Materie.
Originalpublikation: Veit-Lorenz Heuthe, Priyanka Iyer, Gerhard Gompper, and Clemens Bechinger, Tunable colloidal swarmalators with hydrodynamic coupling, Nat Commun 16, 10984 (2025).
Link: https://www.nature.com/articles/s41467-025-66830-5
DOI: 10.1038/s41467-025-66830-5
Hinweis an die Redaktionen:
Eine Abbildung kann im Folgenden heruntergeladen werden:
https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025_ab_Oktober/mit_dem_schw...
Bildunterschrift: Rotierende „Swarmalatoren“: Phasenabhängige hydrodynamische Kräfte von oszillierenden aktiven Teilchen bewirken ein kollektives Drehmoment, welches zu einer Gesamtrotation der Gruppe führt.
Copyright © Tanwi Debnath, Forschungszentrum Jülich
Rotierende „Swarmalatoren"
Quelle: Tanwi Debnath
Copyright: Forschungszentrum Jülich
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch

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