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12.12.2025 16:00

Jenseits der Biomedizin: Gottheiten und übernatürliche Kräfte

Johannes Seiler Dezernat 8 - Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    +++FORSCHUNGSTICKER UNI BONN: Medizinische Diversität offenbart unterschiedliche kulturelle Hintergründe zu Gesundheitsvorstellungen+++ Gesundheitsvorstellungen werden stark durch kulturelle Werte und Normen geprägt, etwa durch religiöse Vorstellungen. In einer zunehmend diverseren Gesellschaft kommen verschiedene Gesundheitsverständnisse zusammen und vermischen sich durch den Austausch. Das haben Kevin Becker und Apl. Prof. Dr. Carsten Butsch vom Geographischen Institut der Universität Bonn, Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Sustainable Futures“, untersucht. Die Ergebnisse sind im Journal Social Science & Medicine erschienen.

    UM WAS GEHT ES?
    Wir haben untersucht, welche Vorstellungen und Erklärungen für Gesundheit die Menschen in sogenannten diversen Stadt-Quartieren haben. Das sind Nachbarschaften, in denen Menschen aus sehr unterschiedlichen Herkunftsgesellschaften zusammenkommen. Konkret haben wir in Bonn-Tannenbusch und Köln-Mülheim geforscht.

    WIE SIND SIE VORGEGANGEN?
    In unserem Projekt verfolgten wir einen „Mixed Methods Research“-Ansatz. Das heißt, dass wir mit verschiedenen Methoden arbeiten. Die hier veröffentlichten Ergebnisse stammen aus der ersten Projektphase, in der wir Tiefeninterviews mit Migrant:innen geführt haben.

    WAS IST DAS WICHTIGSTE ERGEBNIS?
    Erstens, viele Menschen haben Vorstellungen, die nur bedingt mit dem biomedizinischen Verständnis von Gesundheit kompatibel sind. Das bedeutet eine große Herausforderung für die Kommunikation über Gesundheit – für alle Beteiligten im Gesundheitswesen. Außerdem ist es wichtig, dass medizinisches Personal dafür sensibilisiert wird, dass Menschen eventuell ganz andere Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit haben – und deswegen skeptisch sind, was die vorgeschlagenen Therapien angeht. Zweitens: Im Prinzip hatte jede befragte Person eine eigene Vorstellung von Gesundheit und Krankheit, die sich aus sehr verschiedenen Konzepten speist. So kombinieren einzelne Befragte beispielsweise religiöse Erklärungsansätze mit schamanischen Konzepten und Biomedizin.

    WELCHE AUFFASSUNGEN VON GESUNDHEIT/KRANKHEIT UNTERSCHEIDEN SIE?
    Vier Gruppen erklären Gesundheit und Krankheit unterschiedlich. Die erste betont übernatürliche Kräfte wie Gottheiten oder Geister. Die zweite kombiniert solche Einflüsse mit eigenem Verhalten, etwa Bewegung oder Stressvermeidung. Die dritte sieht Gesundheit als Balance, spirituell oder körperlich, beeinflusst durch Konzepte wie Ayurveda oder Traditionelle Chinesische Medizin, die Ausgleich zwischen heiß und kalt oder Körper und Umwelt betonen. Die vierte Gruppe stützt sich vor allem auf biomedizinische Ansätze der westlichen Medizin. Häufig werden jedoch mehrere Sichtweisen gleichzeitig genutzt, was als medizinische Diversität beschrieben wird. Diese Vielfalt prägt individuelles Gesundheitsverständnis und beeinflusst, welche Behandlungen Menschen in unterschiedlichen Situationen bevorzugen können und wählen.

    HABEN SIE ANSCHAULICHE BEISPIELE?
    Eine Befragte berichtete, ihr Mann sei erkrankt, weil sie kein Kopftuch getragen und dadurch Gottes Zorn erregt habe. Dies belastet sie stark, da sie sich schuldig fühlt. Eine junge Frau schilderte zudem eine Augeninfektion, die ihre Mutter als Wirken böser Geister deutete. Ein schamanisches Ritual eines „Heilers“ führte laut ihrer Aussage zur vollständigen Genesung. Solche Erfahrungen verdeutlichen, dass nicht immer das westliche Gesundheitssystem zuerst aufgesucht wird.

    WAS WAR DIE GRÖSSTE HERAUSFORDERUNG?
    Der Kontakt zu den Menschen ist schwierig, da viele keine Zeit, kein Interesse oder Angst haben. Dadurch wird es sehr aufwendig, in diesem wenig erforschten Bereich Grundlagenwissen bereitzustellen.

    SIND DIE ERGEBNISSE AUF ANDERE REGIONEN ÜBERTRAGBAR?
    Die Frage ist schwierig; vermutlich gibt es mehr Typen. Dass Gesundheitsvorstellungen sehr vielfältig sind, unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben und Menschen eigene Vorstellungen konstruieren, sind wahrscheinlich übertragbare Erkenntnisse.

    HABEN SIE KONKRETE EMPFEHLUNGEN?
    Unterschiedliche Gesundheitsverständnisse können die Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen stören und Zugang zu medizinischer Versorgung beeinträchtigen. Daher braucht es Sensibilisierung des medizinischen Personals und Grundwissen über vielfältige Gesundheitsvorstellungen in der Ausbildung. Darauf aufbauend sollten Kommunikationstrainings entwickelt werden, um Patient:innen besser zu erreichen. Besonders in der Prävention ist Diversität relevant, da viele Impfkampagnen biomedizinische Annahmen voraussetzen. Ansätze wie Impfbot:inneneinsätze könnten erweitert werden. Zusätzlich sollte diverses medizinisches Personal ermutigt werden, eigenes Wissen einzubringen, Kolleg:innen zu unterstützen und Erklärungen kultursensibel anzupassen, um Therapien zu fördern.

    WIE GEHT ES WEITER?
    Die bisherigen Ergebnisse stammen aus Phase eins. Aktuell analysieren wir eine Haushaltsbefragung zur Verbreitung verschiedener Gesundheitsvorstellungen und führen Workshops zu Ergebnissen und Zugängen zu Gesundheitsangeboten durch. Mittelfristig planen wir ein Folgeprojekt zur translokalen Nutzung von Gesundheitsdienstleistungen, etwa an Herkunftsorten von Migrant:innen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Apl. Prof. Dr. Carsten Butsch,
    Geographisches Institut der Universität Bonn
    Tel. +49-228-733917
    E-Mail: butschc@uni-bonn.de


    Originalpublikation:

    Kevin Becker, Frauke Kraas, Carsten Butsch: Migrants’ and immigrants’ understandings of health and disease. Medical diversity in two diverse urban neighbourhoods, Social Science & Medicine, DOI: https://doi.org/10.1016/j.socscimed.2025.118851


    Weitere Informationen:

    https://www.geographie.uni-bonn.de/de/forschung/aktuelle-forschung/migequa


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Geowissenschaften, Kulturwissenschaften, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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