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Seit Jahren untersuchen Forschende der ETH Zürich einen molekularen Komplex, der eine Schlüsselrolle bei der Proteinsynthese spielt. Nun haben sie herausgefunden, dass dieser Komplex auch eine entscheidende Funktion dazu beiträgt, dass unsere DNS richtig bearbeitet und verpackt wird.
Die Proteinfabriken in unseren Zellen – die sogenannten Ribosomen – haben eine zentrale Aufgabe: Hier werden bei einem Vorgang namens Translation Aminosäuren entsprechend der Boten-RNS miteinander verknüpft, sodass eine wachsende Peptidkette entsteht, die sich später zu einem funktionellen Protein faltet.
Doch bevor sich ein neu entstehendes Protein überhaupt falten kann, muss es bearbeitet und an den richtigen Ort in der Zelle transportiert werden. Sobald es aus dem Ribosom austritt, können Enzyme seine Start-Aminosäure entfernen, kleine chemische Verbindungen anhängen oder bestimmen, zu welchen Zellkompartimenten das Protein geschickt werden soll. Diese Aktivitäten laufen bereits während der Translation ab und sind für die korrekte Funktion der meisten Proteine unerlässlich. Und hierfür braucht es einen Koordinator.
Was ist NAC und warum ist es wichtig?
Dieser Koordinator ist ein Proteinkomplex, der unter Fachleuten als «mit dem naszierenden Polypeptid assoziierter Komplex» (Nascent polypeptide-associated complex, NAC) bekannt ist. Ohne NAC werden diese frühen Modifikationen ineffizient oder fehlerhaft.
Seit seiner Entdeckung vor etwa 30 Jahren sind die Funktionen von NAC weitgehend unklar geblieben. Doch aktuelle Arbeiten aus dem Labor des ETH-Biologen Nenad Ban zeigen, wie NAC die Proteinreifung reguliert, indem es spezifische Enzyme genau dann und dort rekrutiert, wo sie benötigt werden.
NAC sitzt direkt dort, wo die frisch synthetisierten Polypeptidketten aus dem Ribosom austreten. Er ist damit ideal positioniert, um die ersten Bearbeitungsschritte zu koordinieren.
Der Komplex selbst besteht aus zwei Proteinen, die einen zentralen kugelförmigen Bereich mit vier hochflexiblen Fortsätzen bilden und damit einem Oktopus auf Molekülebene ähneln. Einer dieser Arme verankert NAC am Ribosom. Die anderen drei können eine Vielzahl von Enzymen und anderen molekularen Faktoren binden, die der Proteinherstellung dienen, darunter ein Molekül (SRP), das Proteine zielgerichtet zur Verbauung in Membranen leitet.
Die richtigen Enzyme im richtigen Moment einfangen
Doch das ist nicht alles, was NAC vermag. In ihrer neuen Studie, die soeben in Science Advances veröffentlich wurde, zeigen Ban und seine Kolleg:innen von den Universitäten Konstanz und Caltech eine neue bisher unbekannte Funktion: nämlich wie NAC die korrekte chemische Modifikation der Histone H4 und H2A noch während ihrer Synthese sicherstellt.
Histone sind kleine, reichlich vorhandene Proteine, die schnell produziert werden müssen, wenn sich Zellen auf die Teilung vorbereiten. Acht Histone lagern sich zu sogenannten Nukleosomen zusammen, um die sich die DNA aufwickelt und dadurch in eine kompakte Form gebracht wird. Die chemische Veränderung dieser Proteine während ihrer Synthese ist entscheidend für die richtige Chromosomenfunktion, und Fehler können zu Krankheiten wie Krebs beitragen.
In ihrer Studie zeigen die Forschenden, dass NAC zwei Enzyme zum Ribosom bringt, um zunächst die erste Aminosäure vom Histonprotein zu entfernen und anschliessend das neu freigelegte Ende mit einer Acetylgruppe chemisch zu modifizieren. Da Histone sehr schnell zusammengebaut werden, müssen die beiden Bearbeitungsschritte in der korrekten Abfolge und nahezu sofort erfolgen.
«Für Histone ist das Zeitfenster für Modifikationen unglaublich eng, da ihre Proteinketten sehr kurz sind», erklärt Studienerstautor Denis Yudin. Er ist Doktorand bei Nenad Ban. «NAC stellt sicher, dass das richtige Enzym zum exakt richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist.»
Strukturkenntnisse eröffnen Therapieoptionen
Andere Studien zeigen, dass das Enzym NatD, das Histonproteine mit einer Acetylgruppe modifiziert, in bestimmten Krebsarten häufig überproduziert wird, was die Genregulation verändert und zu Tumorwachstum führt. NACs Kontrolle über den Zugang des Enzyms NatD zum Ribosom könnte daher neue Einblicke in die Tumorbiologie ermöglichen.
Detaillierte Strukturinformationen über NAC und die von ihm rekrutierten Enzyme – einschliesslich der Frage, wie NatD an einen der flexiblen NAC-Arme bindet – könnten neue therapeutische Strategien eröffnen. Optionen sind Wirkstoffe, die die Interaktionsfläche von NatD blockieren oder dessen Rekrutierung zu translatierenden Ribosomen verhindern. Auch andere Erkrankungen, die auf fehlerhafte Verarbeitung während der laufenden Translation zurückzuführen sind, könnten von diesen Erkenntnissen profitieren.
Verständnis der Proteinbiosynthese stark verändert
«Die neuen Erkenntnisse verändern unsere Sicht auf die Proteinsynthese», erklärt Ban. «Sie zeigen, wie koordiniert und dynamisch die Prozesse am Ribosom sind und wie ein kleiner Komplex am Tunnelausgang das Tempo für die Herstellung eines Grossteils der Proteine in unseren Zellen vorgibt.»
Die Erkenntnisse bedeuten zudem, dass bei künftigen Bemühungen um ein tieferes Verständnis der Proteinbildung die Funktion von NAC zwingend berücksichtigt werden muss. «Auch weisen sie auf ein grösseres Forschungsfeld hin, das sich in meinem Labor abzeichnet: die Frage, wie NAC co-translationale Steuerung der Proteine ans Ziel, enzymatische Modifikation, Proteinfaltung und -zusammenbau zu einem koordinierten System integriert.»
In diesem Sinne verhält sich NAC weniger als ein passives Gerüst, sondern mehr wie ein molekularer Torwächter. «Indem es den Zugang zum Ribosom je nach Typ des gerade synthetisierten Proteins gezielt öffnet oder schliesst, wirkt NAC wie ein bemerkenswert präziser Sortierer, der dennoch vollständig den Prinzipien der Thermodynamik folgt», sagt der ETH-Professor.
Prof. Dr. Nenad Ban, Institut für Molekularbiologie und Biophysik, ETH Zürich, Mail: ban(at)mol.biol.ethz.ch
Yudin D, Jaskolowski M, Fan2 Z, Burg N, Chandrasekar S, Lentzsch AM, Scaiola A, Bothe A, Deuerling E, Gamerdinger M, Shan S and Ban N. Mechanism of cotranslational modification of histones H2A and H4 by MetAP1 and NatD. Science Advances 2025, DOI: 10.1126/sciadv.aeb1017
Der Komplex NAC sitzt auf dem Ribosom (blau-grüne Struktur), fischt erforderliche Enzyme (gelb) aus ...
Quelle: D.Yudin/N.Ban, ETH Zürich
Copyright: D.Yudin/N.Ban, ETH Zürich
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch

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