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Um einen reibungslosen Ablauf der Proteinherstellung in unseren Zellen zu gewährleisten, verlangsamt der Proteinkomplex NAC gleich zu Beginn der Proteinsynthese deren Geschwindigkeit. Ein internationales Forschungsteam unter maßgeblicher Beteiligung Konstanzer Biolog*innen fand nun heraus, was dieser bisher unbekannten Funktion des NAC zugrunde liegt.
Proteine zählen zu den wichtigsten molekularen Bausteinen des Lebens. Sie bestehen aus aneinandergereihten Aminosäuren und werden in unseren Zellen in molekularen „Proteinfabriken“ hergestellt, den sogenannten Ribosomen. Als Bauplan dient dabei der genetische Code unseres Erbguts. Er wird Schritt für Schritt in eine für jedes Protein charakteristische Abfolge von Aminosäuren übersetzt. Doch damit nicht genug: Um ihre lebenswichtigen Funktionen in der Zelle ausführen zu können, müssen Proteine teilweise noch während ihrer Entstehung modifiziert werden, sich in ihre funktionelle, dreidimensionale Struktur falten und schließlich ihren Einsatzort in der Zelle erreichen. Ganz wie bei einer richtigen Fabrik bedarf es also bei der Proteinherstellung neben der Grundmontage noch spezifischer Anpassungen und einer aufwändigen Logistik.
Ein Proteinkomplex, der dabei eine wichtige Kontroll- und Steuerungsfunktion in unseren Zellen übernimmt, ist NAC (engl.: „nascent polypeptide-associated complex). Bereits in der Vergangenheit konnten Konstanzer Forschende um Elke Deuerling und Martin Gamerdinger gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen einige der molekularen Mechanismen aufdecken, die der funktionellen Vielschichtigkeit des NAC zugrunde liegen. In ihrer aktuellen Studie, die gerade in der Fachzeitschrift Nature erschienen ist, gehen sie den Geheimnissen des molekularen Allrounders NAC weiter auf den Grund – und beschreiben einen bisher unbekannten Interaktionsmodus des Proteinkomplexes, bei dem das NAC die sehr frühe Proteinentstehung ausbremst, um einen reibungslosen Ablauf der Produktion zu gewährleisten.
Frühere Interaktion als bisher bekannt
Um die Studienergebnisse besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick ins molekularbiologische Detail. „Wir wussten bereits, wo NAC an die ‚Proteinfabriken‘ bindet – nämlich nahe dem ribosomalen Tunnel. Das ist der Ort, an dem die entstehenden Proteine das Ribosom verlassen“, erklärt Deuerling. „Dort bringt es die wachsenden Aminosäureketten je nach Bedarf mit unterschiedlichen Komponenten des biochemischen Werkzeugkastens der Zelle in Kontakt, die dann zum Beispiel spezifische Modifizierungen der Proteine oder deren Transport zu bestimmten Zielorten bewirken.“
In ihrer neuesten Studie wollten die Forschenden nun ein möglichst vollständiges Bild von den Funktionen des Proteinkomplexes NAC bekommen. Dafür untersuchten sie zunächst, mit welchen Proteinen der Komplex überhaupt während ihrer Entstehung wechselwirkt und zu welchem Zeitpunkt. Sie fanden heraus, dass NAC mit einem sehr breiten Proteinspektrum interagiert, zu dem Tausende Proteine mit ganz unterschiedlichen Zielorten und Wirkstätten gehören. Zusätzlich identifizierten sie drei unterschiedliche Phasen der Interaktion: eine sehr frühe Phase, bei der das entstehende Protein noch kürzer als 30 Aminosäuren ist, eine mittlere, bei einer Kettenlänge von etwa 50-60 Aminosäuren, und eine vergleichsweise späte, bei der die wachsende Aminosäurekette bereits länger als 80 Aminosäuren ist.
„Überrascht hat uns vor allem die Existenz der frühen Wechselwirkung zwischen NAC und dem entstehenden Protein. Denn bei einer Kettenlänge von 50 Aminosäuren und mehr ragt das wachsende Protein bereits ein Stück weit aus dem Tunnelausgang heraus, sodass NAC von außen Zugriff hat. Um mit den deutlich kürzeren Aminosäureketten in Wechselwirkung zu treten, muss NAC jedoch mit einem seiner ‚Arme‘ in den ribosomalen Tunnel hineingreifen. Diese Interaktionsmöglichkeit war uns bis dato weitgehend unbekannt“, so Deuerling.
Das Wohin bestimmt das Wann
Die Forschenden fanden außerdem heraus, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Zielort der entstehenden Proteine und dem Zeitpunkt der Wechselwirkung mit NAC gibt. So interagieren beispielsweise Proteine, deren Zielort das Membrannetzwerk der Zelle – das Endoplasmatischen Retikulum – ist, vor allem in der frühen und mittleren Phase mit NAC. Dabei fördert der Proteinkomplex in der mittleren Phase den gezielten Transport von Proteinen mit entsprechender Signalsequenz zum Endoplasmatischen Retikulum.
Doch was passiert bei der bisher unbekannten frühen Interaktion? Die Studienergebnisse zeigen, dass die Interaktion mit NAC innerhalb des ribosomalen Tunnels zu einer Verlangsamung des Wachstums der entstehenden Proteine führt. „Über diese Regulierung der Wachstumsgeschwindigkeit sorgt NAC für einen reibungslosen Ablauf der Proteinsynthese. Es optimiert die Bewegung der Ribosomen entlang der genetischen Blaupausen, verringert das Kollisionsrisiko und koordiniert anschließende Faltungs- und Logistik-Vorgänge“, fasst Gamerdinger zusammen.
Mit der Entdeckung dieser weiteren Funktion des NAC verfestigt sich das Bild des Proteinkomplexes als multifunktionelles Kontroll- und Steuerungszentrum während der Proteinherstellung und bestätigt sich erneut dessen elementare Rolle bei der Aufrechterhaltung der Funktion unserer Zellen.
Faktenübersicht:
- Originalpublikation: J. H. Lee, L. Rabl, M. Gamerdinger, V. Goyal, K. M. Khakzar, N. Moreira Barbosa, J. Abramovich, F. Morales-Polanco, A.-K. Köhler, E. Samatova, M. V. Rodnina, E. Deuerling, J. Frydman (2025): NAC controls nascent chain fate through tunnel sensing and chaperone action. Nature; doi: 10.1038/s41586-025-10058-2
- Ein internationales Forschungsteam unter maßgeblicher Beteiligung Konstanzer Forschender entdeckt eine neue Funktion des Proteinkomplexes NAC: Die Regulation der Translationsgeschwindigkeit durch direkte Interaktion mit dem entstehenden Protein noch im ribosomalen Tunnel.
- Beteiligte Einrichtungen: Universität Konstanz (Deutschland), Stanford University (USA), Max Planck Institute for Multidisciplinary Sciences (Germany)
- Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), National Institutes of Health (NIH), Max-Planck-Gesellschaft und Stony Brook University Startup-Förderung
Hinweis an die Redaktion:
Bildmaterial kann im Folgenden heruntergeladen werden
Bild 1: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025_ab_Oktober/proteinherst...
Bildunterschrift: Der multifunktionale Proteinkomplex NAC in verschiedenen Stadien der Proteinsynthese auf dem Ribosom.
Copyright: Martin Gamerdinger, Universität Konstanz
J. H. Lee, L. Rabl, M. Gamerdinger, V. Goyal, K. M. Khakzar, N. Moreira Barbosa, J. Abramovich, F. Morales-Polanco, A.-K. Köhler, E. Samatova, M. V. Rodnina, E. Deuerling, J. Frydman (2025): NAC controls nascent chain fate through tunnel sensing and chaperone action. Nature; doi: 10.1038/s41586-025-10058-2
Der multifunktionale Proteinkomplex NAC in verschiedenen Stadien der Proteinsynthese auf dem Ribosom ...
Quelle: Martin Gamerdinger
Copyright: Martin Gamerdinger, Universität Konstanz
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch

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